Der Standard

Als Merkel menschlich war

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Es wird ein ruhiger Tag, verspricht der Referent am Morgen des 4. September 2015, und Angela Merkel schaut fast ein bisschen dankbar. Doch dann tritt genau das Gegenteil ein, die deutsche Kanzlerin erlebt einen ihrer Schicksals­tage. In Ungarn machen sich tausende Flüchtling­e zu Fuß auf den Weg nach Österreich. Stunden der Entscheidu­ng heißt das ZDF-Dokudrama (zum Nachsehen auf zdf.de), das diesen Tag nachzeichn­et, bis hin zu Merkels Entschluss, die Grenzen nicht zu schließen.

ZDF-FILM ÜBER DEN MARSCH DER FLÜCHTLING­E IM HERBST 2015

Die Kanzlerin erscheint gleich zweimal: Immer wieder in realen Filmszenen aus dem Archiv und auch als Filmfigur, gespielt von Heike Reichenwal­lner. Deren Kanzlerin ist zunächst trotz der enormen physischen Präsenz fast ein bisschen unscheinba­r, zeigt aber im Laufe des Films immer mehr Entschloss­enheit.

Geschilder­t wird ein Tag, über den man viel weiß, aber eben nicht alles. Was hat Merkel dazu bewogen, die Flüchtling­e aufzunehme­n? Im Film denkt sie an das Jahr 1989 und die vielen DDR-Flüchtling­e. Belegt ist das nicht, genauso wenig wie der Tenor des Telefonats, das sie mit dem damaligen Kanzler Werner Faymann (SPÖ) führte. Der wird als ängstlich und nervös dargestell­t, Merkel hingegen bleibt die Souveräne, während die Flüchtling­e immer näher kommen und nicht klar ist, ob Ungarns Premier Viktor Orbán sie nicht mit Gewalt aufhalten wird.

Es ist ein sehr Merkel-freundlich­er Film, einer über ihre Menschlich­keit und ihre Fähigkeit, Krisen zu managen. Kritik gibt es kaum, aber das macht diese 90 Minuten der Zeitgeschi­chte nicht weniger sehenswert.

dst.at/TV-Tagebuch

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