Johnson hat dreimal verloren und könnte am Ende doch gewinnen
Das Unterhaus verabschiedete gegen Boris Johnsons Willen ein Gesetz, das den No-Deal-Brexit verhindern soll, und durchkreuzte seinen Neuwahlplan. Dennoch sieht es nicht schlecht aus für den britischen Premier.
Es waren gleich drei krachende Niederlagen binnen 24 Stunden: Zuerst war eine Dringlichkeitsdebatte über einen No-Deal-Brexit zugelassen worden, auch Tories-Abgeordnete stimmten dafür. Dann ging der Gesetzesentwurf gegen einen No-Deal-Brexit im Parlament im Unterhaus durch, er liegt nun im Oberhaus. Und schließlich scheiterte Boris Johnson mit einem Antrag auf Neuwahlen. Und dennoch stehen seine weiteren Chancen gar nicht so schlecht.
Frage: Wie geht es jetzt weiter in Sachen Brexit und Neuwahlen?
Antwort: Als äußerst wahrscheinlich gilt, dass, sollte Queen Elizabeth II am Montag dem Anti-NoDeal-Gesetz ihren royalen Segen geben, es dennoch zu Neuwahlen kommen wird. Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte seine Zustimmung dazu am Mittwoch an ein Inkrafttreten des No-No-Deal-Gesetzes geknüpft. Bei Neuwahlen darf sich Johnson laut Umfragen ungeachtet seiner jüngsten Schlappen gute Chancen ausrechnen. Am wahrscheinlichsten ist derzeit zudem eine Brexit-Verschiebung auf Ende Jänner 2020. Was sich angesichts der Umfragen nach einer Wahl aber überhaupt ändern sollte, steht offen.
Frage: Was steht in dem geplanten Gesetz überhaupt genau?
Antwort: Johnson muss entweder bis 19. Oktober einen Deal oder einen No Deal durch das Parlament bringen. Schafft er beides nicht, muss er die EU um eine Verschiebung des Brexits auf 31. Jänner 2020 bitten.
Frage: Wie hat Johnson reagiert?
Antwort: In der Früh informierte 10 Downing Street – das Amt des Premierministers in Großbritandie nien wird gemeinhin nach dessen Residenz benannt – die Presse über die anstehenden Termine des Tages. Johnson machte dabei kein Hehl daraus, dass er ab sofort auf Werbetour geht. Auch Besuche standen am Donnerstag an: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und US-Vizepräsident Mike Pence reisten nach London.
Frage: Ist ein No-Deal-Brexit jetzt eigentlich vom Tisch?
Antwort: Nein. Er ist aber weniger wahrscheinlich geworden. Ein No Deal könnte aber noch vom Parlament beschlossen oder aber von der EU bestimmt werden. Letzteres würde dann eintreten, wenn Johnson keinen Deal durchbringt und die EU einer dann erbetenen Verlängerung nicht zustimmt. Beides ist unwahrscheinlich.
Frage: Welches Kalkül steckt hinter Corbyns Entscheidung?
Antwort: Labour-Chef Corbyn, der selbst Neuwahlen fordert, hat Mittwochabend seine Partei in die Enthaltung geführt. Was seltsam klingt, leuchtet aus taktischer Sicht durchaus ein. Labour hat seine Zustimmung nämlich an eine zeitliche Frist geknüpft: Erst müsse Königin dem Anti-No-DealGesetz ihren Sanktus geben. Die Verabschiedung durch Unter- und Oberhaus reicht Corbyn nicht aus, weil eine Klausel in der Geschäftsordnung es dem Premier ermöglicht, Details, etwa Fristen, vor dem „royal assent“zu verändern. Weil Johnson eine Zweidrittelmehrheit benötigte, um an die Urnen zu rufen, scheiterte er am Labour-Widerstand. Am Donnerstag bestätigte der konservative BrexitHardliner und Vorsitzende des britischen Unterhauses Jacob ReesMogg, dass die Regierung am Montag einen zweiten Versuch unternehmen möchte.
Frage: Welche Rolle spielt das House of Lords (Oberhaus)?
Antwort: Zu nachtschlafender Zeit war es am Donnerstag so weit: Lord Ashton of Hyde verkündete um 1.30 Uhr Ortszeit, dass das Oberhaus das Anti-No-Deal-Gesetz bis Freitag, 18 Uhr (MESZ) verabschiedet. Darauf hatten die Verfechter des Antrags im Unterhaus (House of Commons) gehofft. Lange war aber unklar, ob die Lords mitspielen würden. LabourAbgeordnete warfen ihren adeligen Kollegen von den Tories vor, den Beschluss mit einer Reihe von Abänderungsanträgen in die Länge zu ziehen. Läuft bei der Abstimmung im Oberhaus alles glatt, ist Elizabeth II am Montag am Zug.
Frage: Was hat es mit den Gerichtsprozessen auf sich, die wegen der erzwungenen Suspendierung des Parlaments gerade laufen?
Antwort: Ein Gericht in Edinburgh hat am Mittwoch die von Johnson vergangene Woche verhängte Zwangspause für zulässig erklärt. Der Court of Session, das höchste schottische Zivilgericht, wies einen Antrag von 75 Abgeordneten zurück. Das Argument: Dies sei eine politische, keine juristische Angelegenheit. Am Donnerstag befasste sich ein Gericht in der Hauptstadt London mit einem neuen Antrag mit demselben Zweck. Diesmal steckt neben der Aktivistin Gina Miller auch ein Kapazunder der britischen Konservativen dahinter, der frühere Premierminister John Major nämlich. 1,7 Millionen Britinnen und Briten haben außerdem eine Petition gegen die „prorogation“unterschrieben.
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