Es ist wieder Freitag
Mit Schulbeginn nehmen auch die Demonstrationen für das Klima wieder Fahrt auf. Geplant sind in den nächsten Wochen zahlreiche Aktionen, Proteste und Streiks – das Momentum für das Thema ist da.
Antonio Donato Nobre ist nicht irgendein Apokalyptiker, der im Internet auffallen will. Nobre ist einer der bedeutendsten Waldökologen der Welt, kennt den Regenwald wie kaum ein anderer, lebte und forschte fast 15 Jahre im Amazonasgebiet. Er ist Professor am Institut für Weltraumforschung in São José dos Campos bei São Paulo, das die Entwaldungen und Waldbrände in Brasilien erfasst. Nobre steht mit beiden Beinen auf dem Boden der Wissenschaft; was er sagt, hat Hand und Fuß.
Und er sagt, vom deutschen Tagesspiegel jüngst zu den Folgen der weltweiten Waldbrände auf das globale Klima befragt: „Wir haben bereits die Katastrophe. Es ist so, als ob das Flugzeug schon abgehoben hat, du bist zu spät, du kommst da nicht mehr rein. Es ist sinnlos, über die Zukunft zu sprechen. Sie ist so schwarz, so erschreckend, so katastrophal, dass die Leute in Panik geraten könnten und völlig paralysiert wären. Die Realität ist: Die Titanic sinkt. Was ist jetzt noch zu tun? Lass die Rettungsboote zu Wasser und hol die Schwimmwesten raus. Und zwar schnell.“
Wer dem Mann Glauben schenkt, muss seine Worte eigentlich gleich wieder vergessen wollen, sie verdrängen, sich ablenken und auf andere Gedanken bringen. Sonst blieben nur wenige Optionen: Panik, Verzweiflung – oder aber sofortige Aktion.
Für Letzteres haben sich jene Menschen entschieden, die unter dem Motto „Fridays for Future“seit Monaten auf die Straße gehen. Die es vorziehen, aktiv zu werden, andere aufzurütteln und sofortiges Handeln von Politik, Industrie und Gesellschaft einzufordern, anstatt in lähmende Weltuntergangsstimmung zu verfallen. Natürlich: Die Klimakrise kennt keine Sommerferien, keine Übergangsregierung und keine Vorwahlzeit. Doch jetzt, da die Schule wieder beginnt und die Studierenden in die Städte zurückkehren, sind die Klimaproteste wieder da. Sie nehmen global an Fahrt auf – und auch der österreichische Ableger gibt ein kräftiges Lebenszeichen von sich.
Viel Zünd und Stoff
Der Sommer hat reichlich Stoff geliefert, der die Drastik der Klimakrise zeigt: die katastrophalen Waldbrände in vielen Teilen der Welt, auftauender Permafrost, geknackte Hitzerekorde weltweit – 42 Grad in Paris und 50 in Indien –, dazu dramatische Wasserknappheit, Unwetter, Verwüstung. Mit Trump und Bolsonaro schalten an neuralgischer Stelle der Welt weiterhin Männer, die den menschengemachten Klimawandel leugnen. Und in Österreich hat der zweite Rekordsommer in Folge viele Menschen sehr unmittelbar, ja körperlich, spüren lassen, was die Erderwärmung für uns heißt.
Man kann also von einem Momentum für einen Systemwandel sprechen. Dieses Gefühl, dass die Klimakrise alle anderen Themen gewissermaßen in den Schatten stellt, dass jedes Alltagshandeln dahingehend zu überprüfen ist, welchen Einfluss es auf das Klima hat – das ist für viele junge Menschen heute ein ständiger Begleiter. Die Klimafrage wurde für sie zum Hauptpunkt, aus dem sich viele andere gesellschaftliche Fragen erst ableiten.
Kipppunkte, galoppierender Treibhauseffekt, Heißzeit: Viele Junge verwenden diese Begriffe heute ganz selbstverständlich; sie wissen um ihre Bedeutung. Denn sie sind jene, die noch lange mit ihnen zu tun haben werden. Die Sozialwissenschaft nennt die weltweiten Klimaproteste mittlerweile eine neue Jugendbewegung.
Große Koalition
Dabei gesellen sich mittlerweile viele Vertreter anderer Gesellschaftsgruppen und Generationen zu den Jungen: Eltern haben sich unter dem Label „Parents for Future“zusammengetan, die „Scientists for Future“formierten sich in mehreren Ländern und reichen den Jugendlichen die Fakten. 12.000 Wissenschafter im deutschsprachigen Raum unterstützten im Frühjahr ihre Anliegen in einem offenen Brief. Dass viele der Forscher aus der Klimatologie, der Meteorologie und der Biologie kommen, macht ihr Engagement gewichtig. „Die Jugend schafft, was der Wissenschaft bisher nicht gelungen ist“, sagte die österreichische Ökonomin Sigrid Stagl vor einiger Zeit dem STANDARD – und meinte damit, dass es die Jungen in den letzten Monaten zustande gebracht haben, die Folgen von Klimakrise und Erderwärmung emotional im Alltagsverstand der Menschen zu verankern. Keine schwache Leistung.