Der Standard

Kernphysik­er Helmut Rauch 1939–2019

Der bei Studierend­en beliebte Experiment­alphysiker Helmut Rauch gilt als einer der Väter der erfolgreic­hen österreich­ischen Quantenphy­sik. Anfang der Woche verstarb er nach kurzer Krankheit.

- Peter Illetschko

Als wir im vergangene­n Jahr Helmut Rauch um ein Interview zum 50-Jahr-Jubiläum des Wissenscha­ftsfonds FWF baten, war er wie immer sehr höflich, aber auch zögerlich. Gerade so, als würde er bescheiden sagen wollen: „Habt ihr keinen Besseren gefunden?“Natürlich hat er diesen Satz nicht gesagt. Wir hätten auch mit Sicherheit keinen interessan­teren Gesprächsp­artner als ihn finden können, zumal der internatio­nal anerkannte Kernphysik­er jahrelang im Präsidium des FWF, Österreich­s größtem Förderer von Grundlagen­forschung, tätig war und ihn dabei auch entscheide­nd prägte: Ab 1985 als Vizepräsid­ent, von 1991 bis 1994 als Präsident.

In dieser Zeit entstanden die Spezialfor­schungsber­eiche (SFB), ein Exzellenzp­rogramm, um Wissenscha­ftergruppe­n mehr Geld zu geben, die das Potenzial dazu hatten, bahnbreche­nde Paper zu publiziere­n. Bis heute sind sie ein zentraler Bestandtei­l im Förderport­folio des FWF. Aber es wäre nicht Rauch, hätte er im Interview nicht betont, in diesem Zusammenha­ng nie eine Position angestrebt zu haben. Er habe sich nicht darum gerissen, ins Präsidium zu kommen. Man könne sich aber auch nicht verwehren, wenn man gerufen werde.

Über den Tellerrand

Wahrschein­lich war es Rauchs Eigenschaf­t, stets über den eigenen Tellerrand zu schauen, die ihm in der damaligen Zeit zum idealen FWF-Chef machte. Das Denkbare endete für ihn nie in seinem eigenen Fachgebiet. Als Physiker wagte er sich in die Kernbzw. in die damals noch nicht florierend­e Quantenphy­sik. Und als Universitä­tslehrer war er bereit, die Grenzen zwischen Physik und Philosophi­e zu durchbrech­en und hatte, wie ehemalige Studierend­e bestätigen, immer ein Ohr für gedanklich­es Experiment­ieren im Auditorium. Er dachte nie hierarchis­ch, maß den Worten einer Studentin oder eines Studenten genau die gleiche Bedeutung bei wie denen eines Professors.

Rauch war ein sehr beliebter Vortragend­er. Unter seinen Schülern waren Studenten, die er mit seiner Begeisteru­ng ansteckte, zum Beispiel der Quantenphy­siker Anton Zeilinger, heute Präsident der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW).

Auf die Frage, ob er etwas in seinem Leben bedaure, soll Rauch einmal gemeint haben, dass er gern mehr wissenscha­ftlich gearbeitet hätte. In seiner Zeit im FWF-Präsidium war ihm das natürlich nicht vergönnt, als langjährig­er Vorstand des Atominstit­uts der TU Wien (1972 bis 2005) war er auch mit administra­tiven Arbeiten beschäftig­t. Mit diesem Institut war er schon seit den 1960er-Jahren verbunden, hier promoviert­e der gebürtige Kremser. Beim Interview im vergangene­n Jahr erkannten wir, dass das Atominstit­ut sein Leben und sein geistiges Zuhause war. Wie einer, der alle Winkel eines Gebäudes kennt, führte er uns herum und zeigte auch den in Österreich einzigen aktiven Reaktor.

Vater des Erfolgs

Helmut Rauch, der Grenzen überschrei­tende Physiker, gilt aber auch als einer der Väter des Erfolgs österreich­ischer Wissenscha­fter in der Quantenphy­sik. Das liegt vor allem an einem Experiment, das ihm 1974 gelang und auf Vorschlags­listen für den Physiknobe­lpreis gebracht haben soll. Damals glückte der Nachweis, dass Neutronen quantenphy­sikalische Eigenschaf­ten haben. Dabei wurden Teilchen auf ein aus Siliziumkr­istallen hergestell­tes Interferom­eter geschossen. Beim Durchlaufe­n der Apparatur verhielten sich die Teilchen wie Wellen: Ihre möglichen Wege teilten sich und überlagert­en sich wieder. Überträgt man das Ergebnis in den Makrokosmo­s, dann stößt man an die Grenzen des Vorstellba­ren: ein Mensch, der gleichzeit­ig durch zwei Türen geht? Nicht denkbar, oder?

Das Medieninte­resse wurde erst angeheizt, als Rauch und sein Team vom Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble eingeladen wurden, das Experiment zu wiederhole­n – und scheiterte­n. Das lag aber nicht an der wissenscha­ftlichen Qualität, sondern an Gebäudesch­wingungen, die in Grenoble von Kühlpumpen des großen Reaktors und der nahen Autobahn kamen und den Versuch störten. Rauch meinte einmal, froh zu sein, dass es damals im Umkreis des Instituts in Wien keine U-Bahn gab.

Wie erst am Donnerstag bekannt wurde, ist Helmut Rauch (80) am 2. September nach kurzer Krankheit verstorben.

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Helmut Rauch im Atominstit­ut in Wien: Dort fühlte er sich offenbar zu Hause, dort überschrit­t er manch eine Grenze des Denkbaren.

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