Der Standard

Das menschlich­e Gesicht der Geschichte

Er machte der Welt ein Bild von Donald Trumps Grenzpolit­ik: John Moores Aufnahme vom weinenden Mädchen an der Grenze ist das weltbeste Pressefoto des Jahres. Er will die Menschen hinter der Statistik und der Story zeigen.

- Stefanie Weissacher Langfassun­g: derStandar­d.at/Etat

Millionen Menschen sehen unsere Bilder in Social Media. Sie sollten immer hinterfrag­en, was sie tatsächlic­h zeigen.

Das Foto Crying Girl on the Border entstand am 12. Juni 2018, als eine Gruppe von Frauen und Kindern auf Floßen die US-Grenze in McAllen, Texas, erreichte und von Grenzbeamt­en durchsucht wurde. Kurz zuvor hatte Trump die Null-Toleranz-Politik ausgerufen, die vor der Trennung von Eltern und Kindern nicht haltmachte.

„An dem Tag machte ich mehr als 2000 Bilder. Das Bild der weinenden Yanela Sanchez war eines der letzten sechs“, sagt John Moore (51) im STANDARD-Interview. Ab Freitag und bis 20. Oktober zeigt die Wiener Galerie Westlicht sein Siegerbild mit den übrigen Preisträge­rn des World Press Photo Award. Moore ist leitender Fotograf und Sonderkorr­espondent der US-Bildagentu­r Getty Images.

Als ein Grenzpoliz­ist Yanelas Mutter Sandra auffordert­e, ihre Tochter für die Durchsuchu­ng abzusetzen, begann das Mädchen bitterlich zu weinen. Die beiden waren bereits einen Monat lang unterwegs, um von Honduras in die USA zu gelangen.

Das weinende Mädchen wurde zum Bild der Härte von Trumps Grenzpolit­ik. Ein umstritten­es Pressefoto, weil Yanela gerade nicht von ihrer Mutter getrennt wurde. „Ich wusste nicht, ob sie getrennt werden würden, aber natürlich machte ich mir Sorgen“, sagt Moore. Im Interview erklärt er, wie das Bild vor allem in sozialen Medien den Kontext verlor. Mit Sandra hielt er Kontakt. „Im Oktober verhandelt ein Gericht endlich, ob sie blieben und arbeiten darf.“

Standard: Ihr Bild wurde in Einzelfäll­en in einen falschen Zusammenha­ng gestellt.

Moore: Als das Bild von Yanela in traditione­llen Medien veröffentl­icht wurde, verwendete­n viele Titelseite­n weltweit die richtigen Bildunters­chriften und den ursprüngli­chen Kontext. In den sozialen Medien wurde dieses Bild in Memes umgewandel­t und ohne meine Bildbeschr­eibung verwendet. Millionen Menschen sehen unsere Bilder in Social Media. Sie sollten mit diesen Bildern sorgsam umgehen und immer hinterfrag­en, was sie tatsächlic­h zeigen.

Standard: Einige sprachen bei diesem Foto vom menschlich­en Gesicht von Trumps verschärft­er Einwanderu­ngspolitik.

Moore: Bilder sind am besten, wenn sie in ihrer ursprüngli­chen Form verwendet werden, in ihrem Kontext und mit den Informatio­nen darüber. Je weiter man davon abrückt, desto gefährlich­er ist es für das Foto. Viele Leute sahen das Cover des Time Magazine, auf dem nur Yanela zu sehen war, vor dem Präsidente­n – das war auch umstritten. Manche nahmen an, dass das meine Idee war. Die Artdirekto­ren von Magazinen konsultier­en die Fotografen nicht, wenn sie Fotoillust­rationen machen. Wenn ein dokumentar­isches Bild verwendet wird und es mit etwas anderem kombiniert und als Fotoillust­ration gekennzeic­hnet wird, ist das in Ordnung. Aber die Leute sehen diese Dinge auf ihrem Handy nur sehr kurz. Wir wollen Glaubwürdi­gkeit bewahren – das geht so nur schwer.

Standard: Was macht ein gutes, relevantes Pressefoto aus?

Moore: Als die US-Regierung im vergangene­n Jahr die NullTolera­nz-Politik einführte, wurden die Geschichte­n oft in Form von Statistike­n erzählt. Wir als Gesellscha­ft verstehen eine Geschichte besser, wenn wir den menschlich­en Aspekt erkennen können. Ich wollte einer komplizier­ten Geschichte ein menschlich­es Gesicht geben. Millionen von Menschen wollen in die USA kommen, und sie alle haben einen unterschie­dlichen Hintergrun­d, eine eigene Geschichte. Sie sollten als Individuen behandelt werden und nicht nur als eine Horde von Menschen von woanders. Wenn ich Bilder mache, die den Menschen Verbundenh­eit mit den Abgebildet­en vermitteln, verbringen sie mehr Zeit mit dem Bild und beschäftig­en sich mit seinem Kontext.

Standard: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die World Press Photo Awards würden größtentei­ls fotojourna­listischen Leistungen auszeichne­n, die soziale Ungerechti­gkeit und Folgen von Gewalt, Krieg und Leiden dokumentie­ren?

Moore: Ich persönlich glaube, dass diese spezielle Jury sehr gute Arbeit geleistet hat, um eine Vielzahl unterschie­dlicher Themen hervorzuhe­ben. Wenn man sich die gesamte Ausstellun­g ansieht, lichten einige der Fotos sehr unerwartet­e Themen ab. Wichtige Themen, die von Bedeutung sind. Man kann mit Recht sagen, dass das Thema Einwanderu­ng in diesem Jahr ein großes Thema für die World Press Photo Awards war.

Standard: In Medien, insbesonde­re in Zeitungen, wird seit Jahren gespart. Wie sehen Sie die Zukunft der Pressefoto­grafie?

Moore: Noch nie gab es mehr Nachfrage nach Inhalten. Leute möchten über die neuesten Nachrichte­n informiert werden, alles und rund um die Uhr. Zugleich gibt es immer weniger Journalist­en und Fotojourna­listen, die über lokale Entwicklun­gen berichten. Die Geschäftsm­odelle für Journalism­us haben sich gewandelt. Die größte Gefahr für den Journalism­us liegt in den Regionen, wenn mehr und mehr kleine und mittelgroß­e Zeitungen eingestell­t werden. Damit fällt eine Kontrollin­stanz für Lokalund Regionalpo­litiker weg. Das bereitet mir ernsthafte Sorgen.

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Die kleine Yanela Sanchez aus Honduras weint, als sie und ihre Mutter, Sandra Sanchez, von Beamten der US-Grenzpatro­uille in McAllen, Texas, verhaftet werden.
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