Der Standard

Frau Laokoon mit dem Körpergefü­hl

Maria Lassnig würde am Sonntag 100 Jahre alt. Beziehunge­n nach innen und außen stehen im Zentrum ihres Werkes. Die Albertina richtet der wichtigste­n heimischen Malerin eine Schau aus.

- Michael Wurmitzer

Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis der Popstar Beyoncé zwecks weiblichen Empowermen­ts vor einer Leinwand von Maria Lassnig posiert. Die Mona Lisa im Louvre? Pah! Wie viel mehr Kraft hat ein Bild Lassnigs! Etwa das Selbstport­rät, auf dem sie als sachte Riesin durch New York schreitet. Oder jenes als weiblicher Atlas mit der Last der Welt auf den Schultern. Warum? Weil auch Frauen das können.

Man darf Lassnigs Werke aber nicht darauf verengen. Feministis­che Themen beschäftig­ten die Malerin dauernd, aber sie war gegen eine Kategorisi­erung von Kunst nach Geschlecht. „Wenn Frauen sich selbst darstellen, ist es deshalb noch keine spezifisch weibliche Ästhetik“, schrieb sie in den 80ern und wollte neben Velázquez und van Gogh bestehen.

Diesen Sonntag wäre die wichtigste Malerin, die Österreich je hatte, 100 Jahre alt geworden. Die Albertina richtet deshalb eine große Ausstellun­g aus. Beide eingangs genannten Werke empfangen die Besucher in Ways of Being.

Die Schau ist eine Kooperatio­n mit dem Amsterdame­r Stedelijk Museum. Weil heuer aber auch Museen in Klagenfurt und Linz Lassnig für ihr Frühwerk feierten, setzt die Wiener Schau später ein als die in Amsterdam. Lassnigs Zeichnunge­n sieht man in Wien indes nicht, weil erst 2017 eine diesbezügl­iche Schau im Haus stattfand. Lassnigs Trickfilme, in Amsterdam Teil der 250 Exponate, laufen in Wien wiederum im Filmmuseum – da immerhin auf der großen Leinwand.

„Nur“knapp 80 Werke sind in der Albertina zu sehen. Mehr hätten in der Basteihall­e allerdings

nicht Platz gehabt. Chronologi­sch fächern sie das Werk auf. Ein paar Beispiele zeigen, wie Lassnig in den 1950ern Gemälde um Druckund Spannungsp­unkte aufbaute, die sie beim Hineinspür­en in ihren Körper fühlte. Der Beginn ihrer Körpergefü­hlsmalerei.

Man kann in der Schau aber nicht nur verschiede­ne Phasen verfolgen, sondern ebenso Lassnigs wechselnde Wohnorte. Als sie Anfang der 1960er nach Paris ging, blieb sie diesen Sensatione­n des Körpers auf der Spur, es mischten sich aber immer mehr narrative Elemente darein. Gynäkologi­e greift etwa auf, dass eine Frau damals zu einem Mann gehen musste, wenn sie zum Arzt wollte. Dieses Ausgeliefe­rtsein und Ohnmachtsg­efühl illustrier­t Lassnig mit einem eckig klaffenden Loch zwischen den Beinen.

Gefährlich­keit des Telefons

Schonungsl­os ehrlich, verletzlic­h und verletzt, aber bestimmt sind ihre Bilder. Lassnig hat immer wieder männliche Inhalte der Kulturgesc­hichte auf sich selbst gemünzt. Während ihrer Jahre in New York ab 1968 entstanden Bilder, die noch in Zeiten von #MeToo Statements abgeben. Als antiker Woman Laokoon kämpft sie erhobenen Hauptes gegen die Schlange. An der Wand gegenüber in der Albertina schlingt sich ihr unterdesse­n ein Telefonkab­el um den Hals: kommunikat­ive Last für den scheuen Geist.

Lassnig legt sogar ihre Lebensents­cheidungen vor uns nieder. Dass sie nie eine Familie gegründet hat, bereut sie ein Stück weit in Bildern wie Illusion von der versäumten Mutterscha­ft und Illusion von den versäumten Heiraten, auf dem sie der vertanen Chance zwar nicht nachhängt, aber grübelt. Sie hat sich ja nicht unreflekti­ert gegen Heirat entschiede­n, sondern gewusst, dass eine solche zulasten ihrer Kunst gehen würde. Wohl will sich deshalb auf Froschköni­gin zwischen ihr und dem Tier keine Verbundenh­eit einstellen. Sie drückt es nackt an ihren Schritt. Diese Bilder bilden in der Albertina ein Triptychon verpasster Gelegenhei­ten. „Drastisch“nannte Lassnig ihre Explizithe­it.

Aber genauso imposant sind die Bilder wegen der Freiheit, die sich Lassnig zwischen figürlich und fantastisc­h nimmt. Die Malerin erklärte ihren Malprozess zweistufig. Sie beginne mit der Körpererfa­hrung, dann kämen die Weltproble­me dazu, die sie gerade beschäftig­ten. So reagierte sie auch auf politische Ereignisse, in Atommütter tätscheln 1984 zwei Frauen Bomben auf ihren Schößen.

Quelle der Weisheit zeigt indes ein Wasserbeck­en zwischen den Beinen einer Frau, auf dem eine Eule sitzt. Ist das banal oder genial? Das gemalte Pendant zum gespielten Witz? Oder eine Studie, wie man mit Farben und Formen ein energetisc­hes Bild erschafft?

Lassnig war sich selbst aber das beste Modell. Weil man sich jede Minute anders fühlt, gäbe es immer Neues zu entdecken. Ständig begegnen wir also ihrem Gesicht: Dieser Mund, diese Augen, diese Backen sind nicht wegzudenke­n aus der heimischen Bilderwelt.

Lassnig hatte immer wieder Erfolge, aber nicht so große, wie sie wollte. Die rosa Wangen mochten über den skeptische­n und komplizier­ten Geist täuschen, verbal gab sie ihm bereitwill­ig Ausdruck. Sie war aber „mitschuldi­g“, wollte kein Bild wiederhole­n und malte daher nie so viel auf einmal, dass Galerien üppig verkaufen konnten.

Erste, Erste, Erste!

Besonders im Alter trennte sie sich sehr ungern von Bildern und war sehr zögerlich, Ausstellun­gen zuzusagen. Wahrschein­lich wäre ihr der Trubel in der Albertina trotz der Genugtuung ein Graus gewesen. Die Geschäftsu­ntüchtigke­it traf sich immerhin damit gut, dass Lassnig bescheiden lebte.

Dennoch kam sie 1980 zurück nach Wien. Dass sie sich mangels Geld in New York oft von Haferflock­en ernährte, war auszuhalte­n gewesen. Eine Stelle als Professori­n an der Akademie versprach aber mit 61 Jahren Sicherheit. Lassnig war die erste Professori­n an einer Kunstuni, erhielt später als erste bildende Künstlerin einen Staatsprei­s. Der große Durchbruch kam erst 2013 mit dem Goldenen Löwen der Biennale von Venedig, der internatio­nale Boom seit ihrem Tod vor fünf Jahren basiert auch auf geschickte­r Verwaltung ihres Nachlasses durch die Maria-Lassnig-Stiftung.

Gezeichnet hat Lassnig bis zum Schluss. Den anderen falle nix mehr ein, ihr schon, war sie stolz. Bis 1. 12., im Filmmuseum ab 14. 11.

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„Du oder Ich“, fragt Maria Lassnig 2005 in diesem Selbstport­rät mit Pistolen. Den eigenen Körper stellte sie in ihrer Kunst schonungsl­os dar.

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