Der Standard

Der Traum von der Macht

- Manuela Honsig-Erlenburg

König der Welt“zu werden war sein Kinderberu­fstraum, doch nun ist der britische Premier von seinem Parlament auf ein bürgerlich­es Maß zurechtges­tutzt worden. Boris Johnson, dessen Ansichten von der Dehnbarkei­t der Demokratie ähnlich vermessen sind wie seine kindlichen Fantasien, muss sich von den Abgeordnet­en vorschreib­en lassen, dass er das Vereinigte Königreich am 31. Oktober nicht ohne Abkommen aus der EU führen darf. Von einer Lösung im Brexit-Dilemma ist man aber nach wie vor meilenweit entfernt.

Viel wahrschein­licher sind Neuwahlen, ein Wahltermin im Oktober ist nach wie vor möglich. Zumindest wenn am kommenden Montag ein Neuwahlant­rag durchgeht, nachdem das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit abgesegnet ist. Wer jetzt glaubt, dass Boris Johnson für seine berechnend­en Lügen abgestraft wird, könnte irren. Die Umfragen stehen immer noch gut für die Konservati­ven. Und Johnson und sein Team arbeiten seit Wochen an ihrer Dolchstoßl­egende: König Johnson als Garant für die erlösende Umsetzung des Volkswille­ns auf der einen Seite – Jeremy Corbyn und das Parlament als Volksverrä­ter auf der anderen.

Sollte der Poker aufgehen und Johnson Großbritan­nien Ende Oktober als gewählter Premier aus der EU führen, wird das Erwachen am 1. November für alle Seiten schmerzhaf­t: Die Probleme bleiben dieselben, werden nur viel komplexer. Und Johnson muss dann endlich liefern.

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