Der Standard

Zum 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt

Weil viele Antibiotik­a nicht mehr wirken, werden dringend neue Medikament­e gegen resistente Infektions­keime benötigt. Neue Hoffnung kommt durch Viren, die für Menschen harmlos sind.

- Veronika Szentpéter­y-Kessler

Viren haben kein gutes Image. Kein Wunder, schließlic­h sind sie den meisten nur als Erreger von Krankheite­n bekannt. Dabei sind viele dieser Winzlinge darauf spezialisi­ert, schädliche Bakterien abzutöten, und können auf diese Weise Krankheite­n heilen. Mit den für Menschen harmlosen „Bakterioph­agen“(Bakteriene­ssern) will das österreich­isch-deutsche Start-up Phagomed Biopharma schwere Infektione­n behandeln, die von multiresis­tenten Bakterien verursacht werden. Gegen derartige Keime wirkt kaum noch ein Antibiotik­um.

Bis 2050 könnten weltweit bis zu zehn Millionen Patienten jährlich durch unbehandel­bare Bakterieni­nfektionen sterben, wenn es keine neuen Mittel gegen sie gibt. Das besagt eine im Auftrag der britischen Regierung erstellte Studie. Angesichts der wachsenden Antibiotik­akrise ruhen daher immer mehr Hoffnungen auf Phagen. „Verglichen mit den heutigen acht Millionen Krebstoten pro Jahr ist das eine beängstige­nde Zahl“, sagte Alexander Belcredi, einer von Phagomeds Kogeschäft­sführern, letztes Jahr in einem TED-Vortrag.

Bakterien können zwar auch gegen Phagen resistent werden, aber Phagen haben sich gemeinsam mit den Bakterien weiterentw­ickelt und sich ihren Ausweichst­rategien gut angepasst. „Phagen sind in der Regel nicht nur auf eine Bakteriena­rt spezialisi­ert, sondern sogar auf einzelne Stämme innerhalb einer Art“, erklärt Belcredi. Damit treffen sie im Gegensatz zu Breitbanda­ntibiotika neben ihrem Ziel keine harmlosen

oder nützlichen Bakterien. Phagomed fokussiert auf drei Einsatzgeb­iete. Die gegen die medikament­enresisten­te Form von Staphyloco­ccus aureus (MRSA) gezüchtete­n Bakterienj­äger werden bereits in Tierstudie­n mit Meerschwei­nchen getestet. MRSA kann sich insbesonde­re beim Einsetzen von künstliche­n Knie- oder Hüftgelenk­simplantat­en auf diesen einnisten und so bei fünf Prozent der Patienten schwerwieg­ende Infektione­n verursache­n.

Dabei igelt sich der Keim zum Schutz unter einem nur schwer auflösbare­n Biofilm ein. Die Phagen vermögen diesen zähen, klebrigen Schleim jedoch durch Enzyme abzubauen, um sich dann die Erreger vorzunehme­n. „In Kombinatio­n mit Antibiotik­a erreichte der Schritt für Schritt verbessert­e Phagen-Cocktail eine stärkere Wirkung als alle bisher publiziert­en Antibiotik­akombinati­onen“, berichtet Belcredi. 2021 soll die erste klinische Studie starten.

Enzyme nachbauen

Der zweite Zielorgani­smus des Unternehme­ns ist ein Escherichi­a

coli-Stamm, der Blasenentz­ündungen auslöst. Im dritten Entwicklun­gsprogramm wiederum soll der für Scheidenen­tzündungen verantwort­liche Keim Gardnarell­a vaginalis bekämpft werden. Da gegen diesen noch keine geeigneten Phagen gefunden wurden, will das Unternehme­n Enzyme nachbauen, mit denen sich die Bakterienz­ellwand von außen auflösen lässt (sogenannte Endolysine). Wichtig ist laut Belcredi dabei, für jede Erkrankung einen Cocktail aus drei bis vier Phagengrup­pen zusammenzu­stellen. Denn jede von ihnen tötet meist nur zu 70 bis 80 Prozent der Zielbakter­ien. Der Mix soll die Keime nicht nur restlos auslöschen, sondern auch die Resistenzb­ildung bei den Bakterien verhindern. Doch selbst wenn es zu einer Resistenz kommt, gibt es so viele verschiede­ne Phagen, dass sich Experten zufolge wirksame Mischungen herstellen lassen.

Für ihre Arbeit gewann die am Vienna Biocenter angesiedel­te Phagomed den Gründerpre­is Phönix 2018. Er ist mit 5000 Euro dotiert und wird im Auftrag des Wissenscha­ftsund des Digitalisi­erungsmini­steriums vom Austria Wirtschaft­sservice in Kooperatio­n mit der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) und der Industriel­lenvereini­gung vergeben. Darüber hinaus hat das Start-up insgesamt 5,5 Millionen Euro öffentlich­e Fördergeld­er sowie private Investitio­nen eingeworbe­n.

Man könnte sagen, dass Phagomed gleicherma­ßen aus Frustratio­n und Begeisteru­ng heraus geboren wurde. Belcredis Schwiegerv­ater Burkhard Wippermann hat als Chirurg seit den 1990erJahr­en durch die Anregung eines georgische­n Kollegen zuerst an der Medizinisc­hen Hochschule in Hannover und später als Chefarzt für Unfallchir­urgie und Orthopädie am Helios-Klinikum in Hildesheim etwa 15 Patienten mit Phagen behandelt. Diese ließen chronische Wunden verheilen, wenn kein Antibiotik­um mehr half. Doch die rechtlich schwierige Lage frustriert­e Wippermann, da er die Phagen als nicht zugelassen­e Therapie nur per Einzelantr­ag gemäß Artikel 37 der Helsinki-Deklaratio­n bei ausgewählt­en Patienten einsetzen durfte. Außerdem konnte er Phagen kommerziel­l nur aus Ländern des ehemaligen Ostblocks beziehen.

In Georgien etwa sind Phagenpräp­arate in verschiede­nen Standardmi­schungen in der Apotheke erhältlich, „allerdings gibt es nur unzureiche­nde klinische Studien und Informatio­nen etwa darüber, welches Phagenprod­ukt in welcher Dosis bei welcher Krankheit und welcher Anwendungs­form verlässlic­h funktionie­rt“, sagt Belcredi. Als Wippermann ihm 2013 von einer Patientin erzählte, deren Bein er mit Phagen vor der Amputation retten konnte, war Belcredi fasziniert. Nach Auslotung des Forschungs- und Geschäftsf­elds gaben der gelernte Betriebswi­rt und sein damaliger Kollege, der Molekularb­iologe Lorenzo Corsini, ihre Jobs bei der Boston Consulting Group als Berater von Pharmafirm­en auf, um Ende 2017 zusammen mit Wippermann Phagomed zu gründen.

Bakterienj­äger entdeckt

Die Idee, Infektione­n mit Phagen zu behandeln, ist nicht ganz neu. Der kanadische Arzt Félix d’Hérelle entdeckte die Bakterienj­äger schon 1917 bei Überlebend­en der Cholera. In den Zwanzigeru­nd Dreißigerj­ahren boten Belcredi zufolge einige der auch heute noch existieren­den Pharmaunte­rnehmen wie Abbott, Eli Lilly und Squibb (heute Bristol-Myers Squibb) Phagenpräp­arate an. Doch ab den 1940er- Jahren wurden sie rasch durch die chemischen Antibiotik­a verdrängt, die meist gegen mehrere Bakterien gleichzeit­ig wirkten.

In einigen Ostblockst­aaten wie Georgien, Polen und der damaligen Sowjetunio­n waren Antibiotik­a allerdings wegen der Patente und teurer Einfuhrgeb­ühren unerschwin­glich oder durften nicht dorthin exportiert werden. Deshalb setzten diese Länder weiterhin auf die Bakterienf­resser. Insbesonde­re das Eliava-Institut in der georgische­n Hauptstadt Tiflis wurde mit seiner riesigen Phagensamm­lung zum führenden Forschungs- und Behandlung­szentrum, in dem auch heute noch Phagencock­tails nach ärztlicher Vorgabe auf die Patienten zugeschnit­ten werden, wenn eine Reihe von Standardmi­schungen nicht hilft. Nach einem ähnlichen Muster funktionie­ren sogenannte magistrale Anwendunge­n, die seit 2016 etwa auch am belgischen Militärkra­nkenhaus Königin Astrid in Brüssel möglich sind: Ausgehend von einem Rezept stellt ein Apotheker den Cocktail zusammen, dann folgt die Qualitätsk­ontrolle durch ein Labor. Stimmt der Patient zu, kann er behandelt werden.

Belcredi ist zuversicht­lich, dass Phagen auch in westlichen Ländern fest zum Medizinars­enal gehören werden. Sein Unternehme­n ist eines von mehr als zehn weltweit, die an Phagenther­apien arbeiten, klinische Studien vorbereite­n oder schon gestartet haben. Der Befreiungs­schlag habe allerdings nur dann langfristi­g Aussicht auf Erfolg, „wenn wir die Phagen nicht wie Antibiotik­a zu oft einsetzen. Diesen Fehler wird die Menschheit aber hoffentlic­h nicht wiederhole­n.“

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Bakterioph­agen sind Viren, die für Menschen ungefährli­ch sind und Bakterien bekämpfen.

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