Von der Leyen stellt Klima und Digitalisierung ins Zentrum
Budgetkommissar Hahn direkt EU-Kommissionschefin unterstellt
Wien – Erderwärmung und digitaler Wandel sind die größten Herausforderungen, denen sich die Europäische Kommission in den nächsten fünf Jahren stellen will. Das jedenfalls geht aus der Ressortund Machtverteilung im Team der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hervor, das diese am Dienstag offiziell vorstellte. Der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans – er soll einer von drei geschäftsführenden Vizepräsidenten werden – wurde dabei mit der Ausgestaltung des sogenannten „Grünen Deals“betraut, soll sich also der Klimapolitik sowie der Koordinierung von Gesundheit, Umwelt und Verkehr widmen. Er gilt ebenso als Schwergewicht wie die dänische Liberale Margrethe Vestager. Auch sie wird geschäftsführende Vizepräsidentin und soll sich um Digitalisierung und Wettbewerb kümmern. Der Christdemokrat Valdis Dombrovskis ergänzt die beiden als Zuständiger für „Wirtschaft, die den Menschen dient“. Der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn, bisher für Erweiterungspolitik zuständig, wird Haushaltskommissar und ist direkt von der Leyen unterstellt. Hahn wird federführend bei der Erstellung des mehrjährigen EUFinanzrahmens sein.
Nachdem die geplanten Ressortzuteilungen nun fix sind, sollen noch im September die Hearings der Kandidatinnen und Kandidaten im Europäischen Parlament beginnen. (red)
Bis zuletzt, so wurde es kolportiert, soll „Chaos pur“geherrscht haben. Am Ende aber konnte die designierte EUKommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen ihr Wunschteam nach der einen oder anderen Adaption in letzter Minute am Dienstag pünktlich präsentieren. Die erste Überraschung: Von der Leyen verpasste sich nicht wie angenommen zwei, sondern drei Exekutiv-Vizes. Vorab standen nur der Sozialdemokrat Frans Timmermans und die Liberale Margrethe
Vestager fest. Sie hatten sich ursprünglich selbst um von der Leyens Job beworben. In ihrem Bemühen um eine Mehrheit bei der Wahl im EU-Parlament hatte die CDU-Politikerin der Kandidatin und dem Kandidaten der beiden anderen großen Fraktionen vorab eine herausgehobene Rolle als Vizepräsidenten „auf Augenhöhe“versprochen.
Zu dem Trio stieß nun der lettische Christdemokrat Valdis Dombrovskis als dritter geschäftsführender Vize sowie Kommissar für Finanzdienstleistungen, Wirtschaft und Soziales hinzu. Der Niederländer Timmermans soll fortan für das als prioritär behandelte Dossier Klimaschutz, die dänische, bisherige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zusätzlich noch für den Bereich Digitales zuständig sein.
Hinzu kommen fünf weitere Vizepräsidenten, die ressortübergreifend koordinierende Aufgaben wahrnehmen. Ein wichtiger Kommissarsposten ging an den Österreicher Johannes Hahn (Haushalt und Verwaltung). Hahn erhält nicht nur ein gewichtiges Ressort, er ist auch als einziger direkt der Kommissionspräsidentin unterstellt – eine Vertrauensposition, die von der Leyen mit der Erfahrung des neben dem Slowaken Maroš Šefčovič dienstältesten Kommissars begründete.
Der Zusammenstellung ihres Teams ging dem Vernehmen nach ein penibles Austarieren der Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten voraus, präziser: all jener Staaten, die von der Leyen bei ihrer Wahl im Juli die knappe Mehrheit verschafft hatten. Mit dem Bereich Migration ist die Schwedin Ylva Johansson zwar als Innenkommissarin, Margaritis
Schinas aber als Vizepräsidentin beauftragt. Die späte Ernennung Dombrovskis zum Exekutiv-Vizepräsidentin hingegen, der Lettland in seiner Zeit als Regierungschef einen harten Sparkurs verpasst hat, gilt als Zugeständnis an Euro-Hardliner wie Deutschland oder die skandinavischen Länder.
Sie hatten zuvor ihre Sorge geäußert, dass mit dem Italiener Paolo
Gentiloni nach dem Franzosen Pierre Moscovici erneut ein Südländer für Wirtschaft und Währungsunion verantwortlich zeichnen soll. Dass für die Belange der Justiz und Rechtsstaatlichkeit mit
Didier Reynders zwar ein Belgier zuständig ist, ihm aber mit der Tschechin Věra Jourová eine Vizepräsidentin vorgesetzt wurde, die den Zustand der Grundwerte in allen EU-Staaten überwachen soll, wird als Entgegenkommen den Osteuropäern gegenüber gewertet.
Das neue Führungspersonal muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden. Dafür müssen sich die Nominierten in den kommenden Wochen in den zuständigen Ausschüssen inhaltlichen Anhörungen stellen. Traditionellerweise dürfte dort noch die Auswechslung einiger der zwölf Frauen (exklusive von der Leyen) und 14 Männern gefordert werden. Große Vorbehalten äußerten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier schon gegen die Vorschläge aus Ungarn, Polen und Rumänien.
Der Ungar László Trócsányi (Erweiterungsressort) steht in der Kritik, weil er eine umstrittene und inzwischen wieder gestoppte Justizreform mitgetragen hat. Zudem steht sein Land für das Gegenteil von dem, was auf dem Balkan notwendig wäre: mehr Rechtsstaatlichkeit, ernsthafte Reformen und weniger autoritäre Führer. Die Rumänin Rovana
Plumb sieht sich dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs ausgesetzt. Gegen den polnischen Kandidaten Janusz Wojciechowski ermittelt die europäische Antibetrugsbehörde Olaf wegen womöglich falscher Reiseabrechnungen.
Olaf überprüft zudem auch Vorwürfe gegen die französische Kandidatin Silvie Goulard aufgrund von Vorwürfen der Scheinbeschäftigung im EU-Parlament. Dass Goulard dennoch das Schlüsselressort europäischer Binnenmarkt, Verteidigungsindustrie und Raumfahrt zufällt, ist ein Geschenk an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf den die Erfindung der Kandidatur von der Leyens zurückgeht. Ähnliches gilt für den bisherigen spanischen Außenminister Josep Borrell, dessen Premier Pedro Sánchez als Nachfolger von Federica Mogherini als Außenbeauftragter durchgedrückt hat. In seinem Fall sind es sein Alter (72), seine harte Haltung in der Katalonien-Frage und diverse FinanzAffären, die für Verstimmung sorgen.