Welche Brexit-Karten Premier Johnson noch ausspielen kann
Inmitten all des Chaos in Westminster stehen dem bedrängten Premier doch noch ein halbes Dutzend Hintertüren offen
Das britische Unterhaus ist seit Dienstag in der fünfwöchigen Zwangspause, die letzte Sitzung endete mit Tumulten und Anfeindungen. Und doch: So verfahren die Situation rund um den Brexit nun auch scheint, eine Handvoll Optionen bleiben dem bedrängten Premierminister Boris Johnson noch.
Szenario 1: Deal
Seit fast einem Jahr liegt ein fertiger Deal auf dem Tisch, der von Johnsons Vorgängerin Theresa May nämlich. Selbst wenn Brüssel doch noch mit Johnson nachverhandelt: Viel dürfte schon zeitlich nicht mehr zu machen sein. Ein wichtiges Detail wird von britischen Beobachtern zuletzt aber immer wieder aufgeworfen, jenes zu dem bei Johnson und den anderen Brexiteers so verhassten Backstop nämlich. Die Garantieklausel für eine offene Grenze auf der irischen Insel, so der kolportierte Plan, könnte auf Nordirland beschränkt werden. De facto würde Nordirland, wo die Bevölkerung gegen den Brexit gestimmt hat, dann aus dem britischen Binnenmarkt ausscheiden.
Szenario 2: Gesetzesbruch
Noch kurz vor seiner Abfahrt aus dem Parlament in der Nacht auf Dienstag bestand Johnson darauf, keinesfalls bei der EU um eine weitere Verschiebung des Brexits ansuchen zu wollen. Nach derzeitigem Gesetz muss der Premierminister dies aber tun, sollte beim EUGipfel am 17. Oktober kein neuer Deal zustande kommen. Weigert er sich, droht ihm die Opposition mit einem Gerichtsprozess. Zwar könnte sich Johnson dann als „Märtyrer“inszenieren – er würde mit einem offenen Gesetzesbruch aber einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen.
Szenario 3: Postskriptum
Eine weitere diskutierte Strategie ist eine Beilage zu dem Brief, den Johnson im Falle eines erfolglosen Brexit-Gipfels nach Brüssel schicken müsste. Die Regierung könnte offiziell um Aufschub ansuchen, aber eine Epistel beilegen, in der sie darlegt, dass sie eigentlich keine Verschiebung wünscht.
Szenario 4: Rücktritt
Um sein Versprechen, den Brexit so schnell wie möglich durchzuziehen, nicht brechen zu müssen, könnte Johnson auch sein Büro in der Downing Street räumen. Weil die Konservativen über keine Mehrheit im Unterhaus mehr verfügen, könnte dies Labour-Chef Jeremy Corbyn ins Amt des Premierministers hieven. Dieser müsste dann nach dem EU-Gipfel um Aufschub ansuchen.
Szenario 5: Allianz
Ein anderes EU-Land könnte Johnson zur Seite springen und einen No-Deal-Brexit erzwingen. Einem möglichen Aufschub müssen nämlich alle 27 Mitgliedsstaaten zustimmen. Ob etwa Ungarn einen handfesten Konflikt mit den anderen EU-Ländern riskiert, um einer auf wackeligen Beinen stehenden britischen Regierung bei der Umsetzung ihrer Pläne zu helfen, steht in den Sternen.
Szenario 6: Absage
Bis 23:59:59 Uhr am 31. Oktober kann die britische Regierung per „Revoke“, also Rücknahme, von Artikel 50 den Mechanismus des Ausstiegs aus der EU stoppen. Dafür brauchte Johnson nicht einmal das Parlament. Allerdings kann es ihn auch nicht dazu zwingen. Nun, in der Zwangspause, schon gar nicht. (flon)
Britischer Arbeitsmarkt Seite 23
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