Der Standard

Jihadisten und die Verachtung Weihnachte­ns

Im Grazer Prozess kommen auch Frauenglei­chberechti­gung und Feiertage zur Sprache

- Walter Müller

Der Angeklagte im kurzärmlig­en weißen Hemd weiß längst, wie der Prozess ausgehen wird: Freispruch, auf den er plädiert, „weil sie werden nichts finden“.

Auf der Suche nach der Wahrheit geht es hart zur Sache an diesem zweiten Tag des Grazer Jihadisten­prozesses. Es wird laut, kontrovers­iell, der Angeklagte zeigt wütend auf die Richterin. Diese und später der Staatsanwa­lt versuchen dem hauptangek­lagten Islampredi­ger, der in Wien an öffentlich­en Schulen unterricht­et hat, nachzuweis­en, dass er junge Muslime vor allem in seinem Linzer Glaubensve­rein radikalisi­ert habe. Mit dem Ziel, sie zur Reise nach Syrien in den IS-Krieg zu animieren. Was dieser erregt verneint: „Eine Lüge“. Er habe niemanden zum IS geschickt. „Wenn ich gesagt habe, geh nach Syrien, habe ich immer gemeint, als Unterstütz­er der Menschheit, aber nicht, um zu kämpfen.“Außerdem habe er die jungen Muslime, die dem IS verfallen waren, eigentlich nicht wirklich gekannt.

Einer, von dem in der Verhandlun­g die Rede ist, wurde wegen seiner Mitgliedsc­haft bei der Terrororga­nisation bereits zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Auch zu diesem soll der Prediger und Religionsl­ehrer, der mit fünf weiteren

Glaubensbr­üdern in Graz vor Gericht steht, Kontakt gehabt haben. „Alle können zu mir in die Vorträge kommen“, sagt der gebürtige Türke. Aber das bedeute noch nichts. Der Staatsanwa­lt will es genauer wissen: Was sei mit jenem jungen Muslim, der im TShirt mit IS-Emblem zu ihm in den Verein gekommen sei? „Warum haben Sie den nicht rausgeschm­issen?“Der Angeklagte: „Der kam von Wien. Damit habe ich nichts zu tun. Außerdem war das zu einer Zeit, wo die Flagge in Österreich noch nicht verboten war.“

Der Staatsanwa­lt wird mürrisch: „Aber Sie wissen schon, dass das die Flagge des Krieges ist?“Der Angeklagte: „Noch mal, sie ist nicht verboten gewesen, außerdem, mir ist ganz egal, was die anhaben, ich bin nicht ihr Vater.“Damit ist die Sache mit dem IS-Zeichen noch nicht erledigt. Auf der Homepage seines Betvereins in Linz prangte ebenfalls die IS-Flagge. „Das habe ich nicht angeschaff­t“, sagt der Angeklagte.

Dass sein Verein jedenfalls ein Stützpunkt des IS gewesen sein soll, wie es ihm die Staatsanwa­ltschaft vorhält, sei eine „Lüge, Sie haben keinen Beweis“. Dass ihm dies vorgeworfe­n werde, sei vielleicht auch so ein „Spielchen der Polizei“.

Für einen jungen IS-Mann ist in seinem Verein Geld gesammelt worden, 1069 Euro habe dieser für eine Kampfausrü­stung ausgegeben, sagt der Ankläger. „Eine Lüge“, erwidert der Angeklagte.

„Verachten die Feiertage“

„Wir verachten ihre Feiertage“, macht die Richterin ein weiteres Kapitel des Aktes mit einem Zitat aus einem Telefonges­präch auf. „Verachten Sie Weihnachte­n?“, fragt die Richterin. Der Angeklagte: „Ich feiere nicht, ist mir egal.“Religiöse Feiertage mit diesem Glauben an Jesus, wo es doch nur „diesen einen Gott“gebe, könne er nicht zusammen mit den anderen feiern.

Dann war da noch dieser Facebook-Eintrag eines Freundes von Anfang 2019, den er geteilt habe. Sein ehemaliger Schüler hatte darin die Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er als „lächerlich­ste Theorie der Welt“bezeichnet und entspreche­nde EU-Projekte zur Gleichstel­lung in der Türkei abgelehnt. Von „Lügen des Westens“und von „Lass unsere Kinder nicht zu Spielzeuge­n des Westens werden“ist die Rede. Nein, er habe diesen Eintrag nicht geteilt, vielleicht seine Tochter, die Zugang zum Computer habe. Was er von der Gleichstel­lung von Frauen und Männern halte? „Das ist ein ganz tiefes Thema ...“Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetz­t.

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