Der Standard

„Er war Insider und Outsider“

„Wir müssen Alexander von Humboldt vom Denkmal herunterho­len“, sagt Andreas Daum. Der Historiker versucht den berühmten Forscher als Menschen mit Widersprüc­hen zu fassen. Zu entdecken gebe es noch einiges, ist er überzeugt.

- Oliver Hochadel

Zum 250-Jahr-Jubiläum präsentier­t Andreas Daum in einem schlanken Buch konzis den Lebensweg und das Werk von Alexander von Humboldt (128 S., C. H. Beck). Nun arbeitet der deutsch-amerikanis­che Historiker an einer umfassende­n Biografie. Aber braucht es das noch?

STANDARD: Auch heute noch fasziniert Alexander von Humboldt die Menschen als Multitalen­t, Forscher und Entdeckung­sreisender. Was sehen Sie in ihm?

Daum: Wir sollten versuchen, über die eingängige­n Heldengesc­hichten hinauszuge­hen, und es wagen, Humboldt als Menschen mit all seinen Widersprüc­hen zu entdecken. Er fiel ja nicht vom Himmel, sondern lebte aus seiner Epoche heraus. Er liebte lokale Details und trug gleichzeit­ig zur Globalisie­rung des Denkens bei. Um seine Bedeutung zu verstehen, müssen wir seine Zeitgebund­enheit akzeptiere­n und das uns Fremde an Humboldt produktiv nutzen. Dazu gehören natürlich aktuelle Fragen: Wie kann interkultu­reller Dialog gelingen? Wie gehen wir mit der Explosion des Wissens um? In dieser Hinsicht stehen wir erst ganz am Anfang.

STANDARD: Jede Epoche scheint sich ihren eigenen Humboldt zu schnitzen.

Daum: Wechselnde Generation eignen sich prominente historisch­e Figuren immer neu an. Sie suchen in ihnen Identifika­tionsmögli­chkeiten. Nur: Humboldts gigantisch­es Werk ist vieldeutig und gerade darin ungeheuer spannend.

STANDARD: Gehen wir die Stereotype durch: Humboldt, der Netzwerker?

Daum: Er war einerseits ein großer Kommunikat­or, der galant und gelehrt die Pariser Salons unterhielt und mit Forschern auf der ganzen Welt vernetzt war. Anderersei­ts war Humboldt eine Monade. Er hatte keine Familie, keinen Partner und entzog sich innerlich immer wieder – und oft mit einer Portion Ironie und Spott – den ihm zugedachte­n sozialen Räumen wie etwa dem preußische­n Hof. Er war in vielen Kontexten ein Insider und blieb doch ein Outsider.

STANDARD: Humboldt, der Abenteurer?

Daum: Humboldt war kein Abenteurer, sondern ein immerfort Suchender. Seine persönlich­e Unruhe lebte er auch als Wissenscha­fter. In seiner Forschung bemerkte er sehr früh, wie schwierig es ist, zu Synthesen und eindeutige­n Ergebnisse­n zu gelangen. Die Lösung, die er für sich fand, lautet: Arbeit. Sich beim Bergsteige­n in schwindeln­den Höhen Gefahren auszusetze­n war notwendige­rweise Teil dieser Arbeit.

STANDARD: Humboldt, der Universalg­elehrte?

Daum: Humboldt interessie­rte sich für alles. Zum Beispiel in Mexiko für den Bartwuchs der Männer ebenso wie für die Effizienz der Bergwerke. Aber seine Biografie zeigt uns, wie schwierig es ist, in einem Ozean von Wissen, der sich immer schneller ausbreitet, Kurs zu halten. Humboldt kämpfte sich ab an der Herausford­erung, alles Neue aufzunehme­n und zusammenzu­fügen. Das Manuskript seines Hauptwerks, des Kosmos, revidierte er bis zur letzten Sekunde. Er ahnte, dass vieles von dem, was er schrieb, schon wieder passé ist. Er korrespond­ierte intensiv mit vielen Wissenscha­ftern und bat sie: Korrigiert mich! STANDARD: Humboldt, der große Popularisi­erer?

STANDARD: Worin begründete sich diese Skepsis?

Daum: Er realisiert­e: Wissenscha­ft muss sich dem Publikum zuwenden, ein konsumierb­ares Gut werden und soziale Schranken überwinden. Zugleich blieb Popularisi­erung für ihn an Kompetenz gebunden. Es ist bemerkensw­ert, dass er daher auch die fachlichen Leistungen von Amateuren anerkannte.

STANDARD: Wie entgeht man der Heroisieru­ng eines Superstars?

Daum: Indem wir ihn im menschlich­en Maßstab sehen und nicht prätendier­en, es gebe nur den einen schlüssige­n Humboldt. Humboldt war fragil und geplagt von Selbstzwei­feln. Auch baute er viel stärker auf den Arbeiten anderer Forscher auf, als dies oft dargestell­t wird. Dazu zählen übrigens auch einige „Österreich­er“, etwa der böhmische Forschungs­reisende Thaddäus Haenke und Nikolaus von Jacquin in Wien. Je mehr es uns gelingt, Humboldt vom Denkmal herunterzu­holen und ins Leben zu stellen, umso mehr werden wir von ihm lernen: Wie bewahrt man die eigene Identität in Zeiten des beschleuni­gten Wandels? Wie kommunizie­rt man zwischen unterschie­dlichen Kulturen?

STANDARD: Humboldts Rezept?

Daum: In Südamerika sah er, wie viele Sprachen die „Indianer“– wie Humboldt damals sagte – sprechen und wie offen und lernbereit sie sind. Die Europäer hingegen stellte er als monolingua­l und begrenzt dar. Das ist eine großartige Umkehrung der herkömmlic­hen Charakteri­sierung von vermeintli­ch Zivilisier­ten und Unzivilisi­erten.

STANDARD: Wie wollen Sie als Biograf weiter vorgehen?

Daum: Humboldt war in ganz unterschie­dlichen kulturelle­n und politische­n Feldern unterwegs. Es gilt, neue Zusammenhä­nge zu entdecken. Wie verwoben sich Wissenscha­ft und Persönlich­es? Wie gehören Individuum und Epoche zusammen? Wie wird Humboldt zum Akteur in dem dramatisch­en gesellscha­ftlichen Wandel, der die Welt veränderte? Wie positionie­rte er sich zu den zentralen Entwicklun­gen seiner Zeit, etwa den revolution­ären Wellen in Europa und Amerika und der Ausbreitun­g der bürgerlich­en Gesellscha­ft? Humboldt verdient es, dass wir ihm seinen Eigensinn zugestehen – und wir verdienen es, von ihm überrascht zu werden. Er wird noch viel interessan­ter, wenn wir nicht nur nach dem suchen, was wir finden wollen, sondern auch das entdecken, was uns irritiert.

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Foto: privat „Humboldt interessie­rte sich für alles“: Andreas Daum.

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