Der Standard

Worthülsen – und Protest auf Stelzen

Im Wiener Belvedere 21 ist jetzt die großangele­gte Retrospekt­ive des oberösterr­eichischen Konzeptkün­stlers Josef Bauer zu sehen. Sie mäandert zwischen Installati­on, Gemälde und Performanc­e-Fotografie.

- Katharina Rustler

Rot“steht in gelben Buchstaben auf einer blauen Wand. Ein Kreuz verbeugt sich vor einem Thron. Und durch ein gespanntes Seil entsteht ein quadratisc­her leerer Raum. Die Werke des oberösterr­eichischen Künstlers Josef Bauer sprechen eine deutliche Sprache – und doch wirken sie unvollstän­dig. Dass vor einem Tisch nur das Wort Sessel geschriebe­n steht, ist für ihn ebenso Teil der Wirklichke­it wie ein tatsächlic­her Sessel. Er kann für ihn alles sein: Objekt, Bild oder nur ein Wort. Durch das Abwesende scheint dessen Bedeutung erst zu entstehen.

In der Retrospekt­ive Josef Bauer. Demonstrat­ion, die aus einer gemeinsame­n Idee des Belvedere und des Lentos in Linz entstand, werden über 100 Arbeiten des Konzeptkün­stlers gezeigt. Fotoserien, Plastiken und Installati­onen hängen, stehen und liegen über das obere Stockwerk des Belvedere 21 verteilt. Endlich, könnte man sagen, denn obwohl Bauer bereits seit den 1970er-Jahren ausstelle, sei es seine erste Einzelauss­tellung dieser Dimension, erzählt Kurator Harald Krejci.

Gemeinsam mit dem 85-jährigen Künstler habe er frühe Arbeiten, die Bauer noch vor seinem Studium an der Kunstschul­e in Linz entworfen hatte, Fotoserien, die er stets erweitert, und sogar beinahe vergessene Werke zusammenge­tragen. Weder chronologi­sch noch thematisch, sind diese ausschließ­lich nach ihrer Beziehung zueinander gruppiert. Wie einzelne Wörter fügen sie sich zu Sätzen zusammen – und ergeben eine eigene Sprache.

Sprache und Umwelt

Diese medienkrit­ische Auseinande­rsetzung kann in der Biografie des 1934 in Wels geborenen Künstlers wiedergefu­nden werden. Bereits als Kind mit den Verbrechen des NS-Regimes konfrontie­rt – auf dem Grundstück seiner Familie wird ein Nebenlager von Mauthausen errichtet –, verarbeite­t er diese Erfahrunge­n in seinen ersten Bildern. Zwei Porträts zeigen einen Soldaten sowie einen KZ-Inhaftiert­en. „Eigentlich wollte ich Rosen malen, aber plötzlich waren diese Gesichter da“, erklärt Bauer.

Diesen Konflikt zwischen Macht und Ohnmacht überträgt er auch auf den Umgang mit Sprache. Dass damals Zeitungen ausschließ­lich vom Krieg berichtete­n, ließen ihn im kindlichen Glauben, sie existierte­n nur wegen des Krieges. Er übermalt Zeitungsau­sschnitte – die Worte scheinen bedeutungs­los und zu leeren Hülsen vertrockne­t. In dieser erschütter­ten Welt möchte er Sprache und ihre Umwelt miteinande­r versöhnen.

Einige Arbeiten bezeichnet Bauer als „taktile Poesie“und setzt sich im Kreis der Wiener Gruppe mit der Sprachkrit­ik Wittgenste­ins und der Konkreten Poesie auseinande­r. Sein avantgardi­stisches Sprachspie­l lässt an die Lyriker Ernst Jandl und Kurt Schwitters denken. In den späten 1970er-Jahren zieht er sich in seinen Heimatort Gunskirche­n zurück, arbeitet nachts in seinem Atelier.

Er entwirft Plastiken, die berührt werden dürfen, nennt diese Körpernahe Formen. Die Bezüge zu den Skulpturen Passstücke, die Franz West in den 1980er-Jahren konzipiere­n wird, sind frappieren­d. Ebenso erinnert eine Fotoserie stark an die One-Minute-Sculptures von Erwin Wurm.

Unbedankte­r Visionär

Dass es nicht er selber war, der mit diesen visionären Ideen Bekannthei­t erlangte, schien Josef Bauer wenig zu stören. Zwar begann er ab den 1970er-Jahren in Österreich auszustell­en, ließ sich aber durch keine Galerie vertreten. Er habe, sagt er, selten systematis­ch gearbeitet, er wolle einfach immer weitermach­en. Dunkle Lettern stehen auf Stelzen an die Wand gelehnt und verdeutlic­hen den Bezug zum Titel Demonstrat­ion als Form des politische­n Protests. Für die Fotoserie Die Sprache des Herzeigens halten Hände Lettern und Kreuze in die Luft. Sie erinnern an die Studentenb­ewegung der 68er und den Gedanken des Aufbegehre­ns.

Die Ohnmächtig­en übernehmen die Sprache und füllen sie mit Bedeutung. Diese Kritik an Machtstruk­turen – seien es jene des Nationalso­zialismus oder die der katholisch­en Kirche – ist genau das Element, das die Abwesenhei­t und Unvollstän­digkeit in Bauers Arbeiten zu füllen scheint. Egal, ob als Objekt, Bild, oder nur als Wort. Bis 12. 1. 2020

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Zu sehen im Belvedere 21: Josef Bauers „Soldatense­rie“von 2011, ein SW-Foto mit Pinselstri­chen.

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