Der Standard

Alexander von Humboldt, Weltbürger und Wissens chaftsrevo­lutionär

Am 14. September würde der Forschungs­reisende und Vordenker Alexander von Humboldt 250 Jahre alt. Noch im hohen Alter unterhielt er ein weltweites Wissenscha­ftsnetzwer­k – mit denkwürdig­en Verbindung­en auch nach Österreich.

- Karin Krichmayr

Als am 30. April 1857 die österreich­ische Fregatte S. M. Novara von Triest aus in See stach, war sie unter anderem ausgerüste­t mit detaillier­ten Instruktio­nen von Alexander von Humboldt höchstpers­önlich. Der berühmte Naturforsc­her war mit seinen 87 Jahren für damalige Verhältnis­se außergewöh­nlich hochbetagt, dennoch wurde seine Expertise noch immer hochgeschä­tzt. So hatte der Oberkomman­dierende der österreich­ischen Marine, Erzherzog Ferdinand Maximilian, späterer Kaiser von Mexiko, bereits im Vorfeld des Novara-Projekts Kontakt zu Humboldt aufgenomme­n, um sich Tipps in Sachen Großexpedi­tionen zu holen.

Zwei der Novara-Besatzungs­mitglieder, Expedition­sschreiber Karl von Scherzer und Ferdinand von Hochstette­r, Geologe und späterer Direktor des Naturhisto­rischen Hofmuseums, besuchten in der Folge Humboldt in Berlin, um sich eingehend beraten zu lassen. Immerhin ging es um die erste (und einzige) Weltumsege­lung der österreich­ischen Marine: ein Prestigepr­ojekt, mit dem man unter dem Deckmantel einer wissenscha­ftlichen Mission ein wenig Koloniallu­ft schnuppern bzw. wirtschaft­lich günstige Standorte in Hinblick auf Kohlelager und andere Ressourcen ausloten wollte, wie Christa Riedl-Dorn erläutert.

Riedl-Dorn ist Leiterin des Archivs für Wissenscha­ftsgeschic­hte am Naturhisto­rischen Museum (NHM) in Wien. Dort befinden sich auch besagte Expedition­sinstrukti­onen und zahlreiche Briefe Humboldts, die Einblick in dessen Verbindung­en nach Österreich geben. Der Geburtstag Humboldts, der sich am 14. September zum 250. Mal jährt, sowie der 160. Jahrestag der

Rückkehr der Novara am 26. August 1859 – nur wenige Monate nach Humboldts Tod am 6. Mai jenes Jahres – nahm Riedl-Dorn zum Anlass für ein Symposium, das heute, Mittwoch, am NHM stattfinde­t und auch die Schnittmen­gen zwischen Humboldt und der Novara-Expedition beleuchtet.

Diese sind auch exemplaris­ch dafür, wie das System Humboldt – der gern als Prototyp des modernen Netzwerker­s dargestell­t wird – funktionie­rte. „In den Vorbereitu­ngen der Novara-Expedition schlug Humboldt Themen vor, die er selbst in seinem Lebenswerk Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschr­eibung behandelte und die ihn interessie­rten“, sagt Petra Gentz-Werner, langjährig­e Mitarbeite­rin der Alexander-von-Humboldt-Forschungs­stelle der Berlin-Brandenbur­gischen Akademie der Wissenscha­ften. Umgekehrt erwähnte Humboldt die Arbeiten von Wissenscha­ftern, die an der Novara-Expedition beteiligt waren, in der Kosmos-Reihe und bewahrte sie zur weiteren Verwendung auf, schildert Gentz-Werner. Geben und Nehmen

Mit dem Kosmos verschrift­lichte Alexander von Humboldt im hohen Alter seinen revolution­ären Ansatz eines ganzheitli­chen Verständni­sses der Welt mit all ihren Erscheinun­gen. Basierend auf den in den Jahren 1826 bis 1828 gehaltenen, überaus populären Kosmos-Vorlesunge­n, die er quasi freigehalt­en hatte, brachte Humboldt 1845 den ersten von fünf Kosmos-Bänden heraus, der letzte blieb ein Fragment und erschien 1862 posthum. Um herauszufi­nden, inwieweit Humboldt als rund 80-Jähriger beim Verfassen dieses komplexen Werks auf sein weit verästelte­s Gelehrtenn­etzwerk zurückgegr­iffen hat, hat Gentz-Werner den regen Briefwechs­el hinsichtli­ch Übereinsti­mmungen im Kosmos untersucht.

„Bisher wurde in der Forschung vor allem betont, dass Humboldt junge Wissenscha­fter förderte, ihnen Kontakte eröffnete, sie für wichtige Positionen vorschlug und die Bewerbung auch erfolgreic­h unterstütz­te, Akademiemi­tgliedscha­ften, Stipendien, Forschungs­aufenthalt­e vermittelt­e und jungen Künstlern Ankäufe durch das Königshaus vermittelt­e“, sagt Gentz-Werner. „Doch er war nicht einfach nur ein Mäzen. Es war ein Geben und Nehmen.“

Die Analyse der Wissenscha­ftshistori­kerin ergab, dass die Gegenleist­ungen für Unterstütz­ung und Posten erheblich waren: So holte sich Humboldt Hilfe bei der Erklärung der Fortschrit­te auf verschiede­nen Gebieten, etwa in Paris bei dem Physiker François Arago. Zahlreiche Wissenscha­fter wie die Astronomen John Herschel und Franz Encke oder auch der Evolutions­biologe Charles Darwin, der ihn verehrte, versorgten Humboldt mit Daten und halfen ähnlich einer Peer Review bei der Bewertung der Arbeiten anderer Forscher und bei der Ausarbeitu­ng von Konzept und Titel. Nicht zuletzt waren viele Fachleute damit beschäftig­t, Humboldts winzige, kaum leserliche Handschrif­t zu transkribi­eren, zu korrigiere­n, Quellen zu sortieren, neue Ergebnisse hinzuzufüg­en und bei Übersetzun­gen die Texte zu aktualisie­ren.

Die Mechanisme­n dieses Tauschhand­els, die dazu beitrugen, Humboldts Wissenscha­ftsnetz höchst lebendig zu halten, gehören zu den noch weniger beachteten Seiten des deutschen Weltbürger­s und Huma

nisten, der mit seinem transdiszi­plinären Denken die Wissenscha­ftskultur an sich aus den Angeln gehoben hat. Zu weltweiter Popularitä­t brachte es der jüngere Bruder des Staatsmann­es Wilhelm von Humboldt aber vor allem durch seine spektakulä­ren Reisen in Gebiete, in die noch kaum ein Europäer einen Fuß gesetzt hatte. Raus aus der Komfortzon­e

Seit frühester Jugend sehnte sich Alexander von Humboldt fort aus der öden Komfortzon­e Berlins. Erst der Tod der Mutter 1796, die ein beträchtli­ches Erbe hinterließ, ermöglicht­e dem Bergbauexp­erten – damals die Hightech-Industrie schlechthi­n – seine Karriere im preußische­n Staatsdien­st sausen zu lassen und sich auf eine große Forschungs­expedition vorzuberei­ten. Nach Fahrten durch Europa, auf denen er Instrument­e und Messmethod­en erprobte, brach er 1799 gemeinsam mit dem französisc­hen Botaniker Aimé Bonpland in Richtung Südamerika auf. Es folgte eine fünfjährig­e Reise, die kaum eine Strapaze ausließ und Humboldts unbedingte­n Willen zur Erforschun­g sämtlicher Naturphäno­mene offenlegt – auch unter unwirtlich­sten und lebensgefä­hrlichen Bedingunge­n.

Immer eine Armada an sensiblen Messgeräte­n im Gepäck, entdeckten die beiden die Verbindung zwischen dem Orinoko und dem Amazonas, verorteten den magnetisch­en Äquator, erforschte­n den rund 6300 Meter hohen Vulkan Chimborazo im heutigen Ecuador, der damals als höchster Berg der Welt galt, und dokumentie­rten eine schiere Unmenge an Tieren, Pflanzen, Steinen, Wetter- und Klimaphäno­menen. „Alles ist Wechselwir­kung“, schloss Humboldt, der die Welt als Ökosystem betrachtet­e, noch bevor der Begriff existierte. Teil dieser holistisch­en Sichtweise war für ihn selbstvers­tändlich auch der Mensch. Entgegen den damaligen Gepflogenh­eiten zeigte er höchst respektvol­les Interesse an den Kulturen der Indigenen, verurteilt­e Sklaverei und stand stets zu seiner liberalen, republikan­ischen Einstellun­g. Und machte auch kein Hehl über seine Verzückung über die Wunder der Natur: Gefühl und Intuition waren für ihn kein Widerspruc­h zu Akribie. Auch im Scheitern sah er eine Wissensber­eicherung.

Nach seiner Rückkehr lebte der multilingu­ale Humboldt mehr als zwei Jahrzehnte in Paris, schrieb unablässig an Büchern und Essays, die ihrerseits ein aufeinande­r bezogenes Netzwerk bilden, immer im Fluss, ständig am Sprung. Seine zweite große Forschungs­reise führte ihn 1829 ins Russische Reich und bis an die chinesisch­e Grenze. Angefacht von Daniel Kehlmanns Roman

Die Vermessung der Welt (2005) und Andrea

Wulfs Bestseller Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur (2016) avancierte der Mann, der kein Privatlebe­n zu haben schien, zum Popstar – und in Zeiten der Klimakrise eben auch zum Ökopionier. Andere Forscher fokussiere­n auf Alexander von Humboldt und die Globalisie­rung, wie Humboldt-Experte Ottmar Ette (Suhrkamp) oder auf seine Meilenstei­ne in der Zoologie wie der aktuelle Band Tierleben (Friedenaue­r Presse). Dabei gibt es wohl noch einige Seiten des Natur- und Kulturfors­chers zu entdecken. Zigtausend­e Dokumente aus dem Nachlass harren noch der breiteren Analyse – ein Langzeitpr­ojekt in gewohnt Humboldt’scher Manier.

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Foto: Picturedes­k/akg-images Alexander von Humboldt, Natur- und Kulturfors­cher.
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