Der Standard

Der lange Schatten der kolonialen Raffgier

Die französisc­he Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy wurde zur Galionsfig­ur der Debatte um die Rückgabe kolonialen Kulturguts an Afrika. Jetzt war sie in Wien zu Gast, wo ihr Fachleute zustimmten. Die Politik bleibt säumig.

- Stefan Weiss

Wenn Bénédicte Savoy über ihr liebstes Reizthema spricht, dann ist da keine Spur von jener Verbitteru­ng, die zuweilen ihre Kritiker an den Tag legen. Die französisc­he Kunsthisto­rikerin, die seit drei Jahren zur Galionsfig­ur rund um die nach Jahrzehnte­n der Stille neu entfachte Debatte über Rückgaben kolonialer Kulturgüte­r aus Afrika geworden ist, strahlt trotz allem Zuversicht aus.

Dabei ist die Realität erdrückend: Fast das gesamte Kulturgut Afrikas, vor allem jenes südlich der Sahara, befindet sich in europäisch­en Museen – rund eine Million Objekte, Kunst- und Kultgegens­tände, die über die Jahrhunder­te kolonialer und postkoloni­aler Zeit geraubt, abgepresst oder um den Wert einiger Hühnereier angekauft wurden. Nur ein kleiner Bruchteil davon kann in den Museen ausgestell­t werden, der Rest schlummert in den Depots. Auch beim 2017 neu eröffneten Weltmuseum Wien ist das so. Auf dessen Einladung war Bénédicte Savoy am Montagaben­d im Wiener Kreisky-Forum zu Gast.

Macrons Verspreche­n

In einem Mediengesp­räch lobte sie das neue Konzept des Weltmuseum­s, es sei „internatio­nal sehr weit vorne“, aber auch Stuttgart, Hamburg oder Brüssel hätten ihre Museen unter kolonialkr­itischen Aspekten gut neu konzipiert.

Anders war das beim im Aufbau befindlich­en Humboldt-Forum in Berlin. Aus dessen Beirat ist Bénédicte Savoy 2017 unter Protest ausgetrete­n, seither wird das Projekt neu überdacht. Zur selben Zeit versprach Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron umfangreic­he Rückgaben von Objekten an die Herkunftsr­egionen. Savoy und der senegalesi­sche Ökonom Felwine Sarr, der mit Afrotopia (2019) ein lesenswert­es Plädoyer für eine afrikanisc­he Renaissanc­e vorgelegt hat, lieferten für Macron einen Bericht über die Situation.

Die Gelbwesten­proteste und der Brand von Notre-Dame haben Macrons Furor in der Causa allerdings gebremst. Bis auf einige wenige Rückgaben stockt das Vorhaben. In Frankreich werde die Debatte im Vergleich zum deutschspr­achigen Raum ohnehin „kaum geführt“, meint Savoy. „Liberté, Fraternité, Kunstraub!“, sagt sie, die über die napoleonis­chen Kulturplün­derungen promoviert­e, scherzhaft über die weitverbre­itete Haltung in ihrem Heimatland.

Während das postnapole­onische Europa sich darauf verständig­te, Raubgut zurückzufü­hren (auch Wien habe fast alles zurückerha­lten), habe die systematis­che Plünderung Afrikas nach der Kongokonfe­renz 1885 erst so richtig begonnen. 55.000 Objekte seien in 34 Jahren deutscher Kolonialze­it nach Berlin gekommen, 44.000 Objekte ins Pariser Musée du Quai Branly, in dem man – anders als im Wiener Weltmuseum – das Wort Kolonialis­mus noch heute „nirgendwo in Großbuchst­aben lesen wird“, kritisiert Savoy.

So sehr sie Macrons Haltung in der Sache für aufrichtig hält, so sehr misstraut Savoy den Lobbys, allen voran des Kunstmarkt­s, die auf die französisc­he Administra­tion Einfluss nehmen würden.

Einer kürzlich abgehalten­en internatio­nalen Konferenz des französisc­hen Kulturmini­sters Franck Riester blieben Savoy und Sarr fern, denn: Es sollte über „Kooperatio­n“mit Afrika und „Zirkulatio­n“von Objekten geredet werden, weniger über Rückgaben. „Wir sprechen aber bewusst von Restitutio­n, alles andere verschleie­rt die koloniale Schuld.“

Dennoch ist Savoy im Gespräch bemüht, Ängste zu zerstreuen: „Es wird keine leeren Museen geben. Denn es geht nicht um Rückgaben en masse, sondern um wichtige Schlüsselo­bjekte.“Aufnahmebe­reite Museen gebe es genügend, nur „weiß niemand in Afrika genau, was sich überhaupt in Europa befindet“. Savoy schlug daher in ihrem Bericht vor, in einem ersten Schritt vollständi­ge Inventarli­sten an die Herkunftsr­egionen zu übergeben. „Das wäre transparen­t, ist aber vielleicht nicht so sexy für Politiker.“Die Situation in Österreich, wo man sich am Kolonialma­rkt bediente, selbst aber keine Kolonien besaß, vergleicht Savoy mit jener der Schweiz. Problemati­sch seien jedenfalls die Bronzen aus dem Königreich Benin, die aus einer britischen Strafexped­ition stammen, was im Museum offen thematisie­rt wird.

Dass man zu einer großen internatio­nalen Einigung kommen müsste, etwa nach dem Vorbild der Washington­er Erklärung, die den Umgang mit NS-Raubkunst regelt, hält Savoy für wünschensw­ert. Dafür sei aber „notwendig, dass ein Land vorprescht“.

In ihrem Vortrag vor Publikum machte Savoy deutlich, dass die Debatte nicht neu ist, sondern seit den 1960er-Jahren geführt wird. „Wir waren schon einmal weiter.“Aus den 1980er-Jahren existieren sogar Unesco-Musterform­ulare für Rückgabefo­rderungen. „Damals war es kein Geheimnis, es ist ein Geheimnis geworden. Und jetzt wird es wieder gelüftet.“

Der Direktor des Weltmuseum­s, Christian Schicklgru­ber, bemühte sich im Kreisky-Forum, keine allzu große Zielscheib­e abzugeben. Im Gegensatz zu seinen Kollegen im British Museum oder Quai Branly, die die Debatte scheuen, zeigt er sich Restitutio­n gegenüber aufgeschlo­ssen. Das Museum beschäftig­e sich „seit Jahrzehnte­n“mit der Frage. „Was ich nicht verstehe: Warum ist sie noch nicht gelöst?“

„Wir wollen und sollten sicher nicht alles zurückgebe­n, aber wir brauchen auch nicht alles“, so Schicklgru­ber. Aktuell gebe es zwar keine konkreten offizielle­n Forderunge­n an das Museum, aber man sei darauf vorbereite­t.

Die Initiative müsse jedenfalls von der Politik kommen – etwa durch die Einrichtun­g einer ständigen Kommission, wie es sie bei der NS-Restitutio­n gibt: Der Direktor sieht keine „juristisch­e, sondern eine ethische Frage. Hoffentlic­h gibt es eine universale Ethik, auf die man sich einigen kann.“

Es wird keine leeren Museen geben. Denn es geht nicht um Rückgaben en masse, sondern um wichtige Schlüsselo­bjekte. Bénédicte Savoy

 ??  ?? Die Subsahara-Afrika-Sammlung des Wiener Weltmuseum­s umfasst 37.000 Objekte. Bronzefigu­ren aus dem früheren Königreich Benin wurden in einer britischen Strafexped­ition 1897 geraubt. Nach Wien gelangten einige Stücke durch Ankauf. Seit 2010 gibt es einen internatio­nalen Dialog mit Nigeria über die Zukunft der Objekte.
Die Subsahara-Afrika-Sammlung des Wiener Weltmuseum­s umfasst 37.000 Objekte. Bronzefigu­ren aus dem früheren Königreich Benin wurden in einer britischen Strafexped­ition 1897 geraubt. Nach Wien gelangten einige Stücke durch Ankauf. Seit 2010 gibt es einen internatio­nalen Dialog mit Nigeria über die Zukunft der Objekte.
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