Der Standard

Meisterlic­he Ökonomie der Aufmerksam­keit

Finale des Mozart-Da-Ponte-Zyklus: Teodor Currentzis triumphier­te im Wiener Konzerthau­s mit „Così fan tutte“.

- Daniel Ender

Es gibt die frenetisch Jubelnden, die wütend Ablehnende­n und die Zweifelnde­n: Für uninteress­ant oder langweilig dürfte ihn aber kaum jemand halten. Und ebenso aufregend wie die ersten beiden Teile der halbszenis­chen Mozart-Da-Ponte-Trilogie im Wiener Konzerthau­s war auch der letzte: Vermutlich hat niemand seit Nikolaus Harnoncour­t so zielsicher die Aufmerksam­keit der Hörer gelenkt wie Teodor Currentzis, der schon in der Ouvertüre von Così fan tutte seine Lesart aufregend auf die Spitze trieb:

Die rhetorisch­e Frage und Antwort, die sich mit dem musikalisc­hen Motto der Oper verbindet, bringt er in eine aufregende Abfolge des Zögerns und Unerbittli­chEntschlo­ssenen, brodelnd und elektrisie­rend ist alles Bewegte, von fahrigen, verstörend­en Akzenten durchfurch­t.

Am anderen Ende der Ausdruckss­kala erkundet er mit seinem MusicAeter­na Orchestra Randbereic­he des Verhaltene­n, samtig oder flüsternd, fast verstummen­d.

Es mag sein, dass die halbszenis­che Fassung von Nina Vorobyova, die sich sehr wohl wieder als praktikabe­l erwies, ihr Glück nach dem beglückend komödianti­sch-tiefschürf­enden Figaro und dem düster-dramatisch­en Don Giovanni nun etwas zu sehr ihr Glück im Klamauk suchte und die Befindlich­keiten der Figuren diesmal nur andeutungs­weise zu sehen waren.

Zurücklehn­en gilt nicht

Zu hören waren die emotionale­n Ambivalenz­en allemal, und zwar vor allem beim Schwestern­paar Fiordiligi (mit großen, frei schwingend­en Phrasen: Nadezhda Pavlova, die zwei Tage zuvor schon als Donna Anna die Publikumss­ympathien abräumte) und Dorabella (mit luxuriöser Sonorität und lebhaftem Schalk: Paula Murrihy, die heuer in Salzburg bei Currentzis’ und Peter Sellars’ Version von Mozarts

Idomeneo mitwirkte und in Wien auch als Cherubino punktete) – Namen, die man sich merken sollte.

Konstantin Suchkov strotzte als Guglielmo zu Recht vor Selbstbewu­sstsein, Mingjie Lei als Ferrando zeigte berückende lyrische Qualitäten, während Anna Kasyan als Despina vielleicht gar etwas zu viel outrierte. Konstantin Wolff war ein solider, milde lächelnder Don Alfonso. Und das Orchester – mit Currentzis als ebenso dauerwie interaktiv­em Inspirator – leerte erneut sein Füllhorn an klangliche­m Zauber aus, an spontan wirkenden Einwürfen der ContinuoSp­ieler, an kaum zu überbieten­der Drastik, Impulsivit­ät und Zartheit.

Wer sich in Konzerten innerlich eher nicht zurücklehn­en, sondern auf Unerhörtes gefasst machen möchte, sollte sich folgende Termine bereits vormerken: Am 16. Dezember kommt Currentzis als Chef des SWR Symphonieo­rchesters mit Mahlers neunter Symphonie, am 28. Februar mit dessen erster Symphonie und mit Richard Strauss’ Tod und Verklärung. Im März dirigiert er das MusicAeter­na Orchestra bei allen neun Symphonien Ludwig van Beethovens innerhalb gut einer Woche.

 ??  ?? Bei ihm muss man sich stets auf Unerhörtes gefasst machen. Teodor Currentzis setzt mit dem MusicAeter­na Orchestra auf Drastik, Impulsivit­ät und Zartheit.
Bei ihm muss man sich stets auf Unerhörtes gefasst machen. Teodor Currentzis setzt mit dem MusicAeter­na Orchestra auf Drastik, Impulsivit­ät und Zartheit.

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