Der Standard

Sie alle werden verstummen!

Wie die geplante Anzeigepfl­icht der Psychother­apeuten im Rahmen des neuen Gewaltschu­tzgesetzes die Grundlagen jedweden psychother­apeutische­n Arbeitens aushebelt. Ein Warnruf.

- Andreas Steininger

Dass man sich, wie man so sagt, bei jemandem ausspricht, um sich seelische Erleichter­ung zu verschaffe­n, ist sicherlich keine Entdeckung Sigmund Freuds. Auch nicht, dass man zu diesem Zwecke nicht irgendeine Person, sondern eine Person des Vertrauens auswählt. Was man hier als Vertrauens­vorschuss gelten lässt, ist im Einzelfall recht verschiede­n. Die Liebe zu einem Menschen vielleicht oder sein Status als anerkannte Autorität.

Dem Arzt oder der Ärztin erzählt man vielleicht mehr, weil man ihnen eine Vertrauthe­it mit den Dingen des Körpers unterstell­t, dem Beichtvate­r, weil man ihn in den Diensten der Gnade Gottes sieht, dem Psychother­apeuten, weil man ihm Kenntnisse unterstell­t, was die bedrückend­en Verwicklun­gen des Seelischen angeht.

Was Sigmund Freud entdeckt und sein Leben lang erforscht hat, war, dass es mit dieser punktuelle­n Erleichter­ung aber noch nicht getan ist. Seine Art des Zuhörens und seine Art, das Gehörte mit entspreche­nden Deutungen zu quittieren, eröffnete ihm, dass hinter dem Leid, welches sich bisweilen rasch in der Klage artikulier­t, noch ein anderes Leid steckt, welches sich nicht unmittelba­r im Inhalt des Gesagten auszudrück­en vermag.

Peinlichke­it

Die wahrhaft belastende­n Dinge sind meist eingebette­t in schwer ertragbare Peinlichke­it. Über so etwas plaudert man nicht einfach frisch von der Leber weg. Es bedarf der Erfahrung, dass der Therapeut und die Therapeuti­n mit der zunehmende­n Intimität der Rede mitgeht. Das braucht Zeit und die wiederkehr­ende Erfahrung, dass alles, was man sagt und wie man es sagt, im Rahmen der Therapie einfach nur anerkannt wird, so wie es ist, und nur gesehen wird unter dem Gesichtspu­nkt, dass es Material ist, welches vorerst freigelegt werden muss, um nachher etwas von den intimen Dingen, die einem auf der Seele liegen, sagen zu können.

1916 formuliert­e Freud eine zentrale Voraussetz­ung jeglicher Behandlung des Seelischen: „Das Gespräch, in dem die psychoanal­ytische Behandlung besteht, verträgt keinen Zuhörer … Die Mitteilung­en, deren die Analyse bedarf, macht er (der Patient, Anm.) nur unter der Bedingung einer besonderen Gefühlsbin­dung an den Arzt; er würde verstummen, sobald er einen einzigen, ihm indifferen­ten Zeugen bemerkte.“

Leidensker­n

Und so ist die Voraussetz­ung jeglicher intimer werdenden Rede der Glaube daran, dass der Therapeut einzig nur daran interessie­rt ist, dass die Dinge gesagt werden müssen, um an den Kern des Leides heranzukom­men. Kaum verlässt der Therapeut diesen Platz, macht sich beispielsw­eise zum Pädagogen, zum Fachmann oder zum Richter, so bricht das Reden unmittelba­r ein und verliert sich in Belanglosi­gkeit.

Kein Verbündete­r

Man kann sich recht leicht vorstellen, wie delikat es ist, wenn man letztlich über ein Gewaltverb­rechen sprechen möchte, das man in der Vergangenh­eit begangen hat, oder wenn man sich dazu gedrängt fühlt, ein Gewaltverb­rechen zu begehen. Man wird dieses Material nur preisgeben, wenn man sich sicher ist, dass der Therapeut am unerbittli­chen Platz eines Zuhörers ist und sich keinen Moment lang als Zuträger oder Verbündete­r des Staatsanwa­lts versteht.

Was immer die Psychother­apie in Hinblick auf Gewaltpräv­ention tun kann – und sie hat durchaus Möglichkei­ten –, kann nur innerhalb dieses besonderen Bündnisses zwischen dem Patienten und seinem Therapeute­n passieren.

Wird das geplante Gesetz in der Weise umgesetzt, dass Therapeuti­nnen und Therapeute­n eine Anzeigepfl­icht über Gewaltverb­rechen ihrer Patienten haben, so werden die Grundlagen angetastet, die es erst ermögliche­n, dass ein Patient über verübte Gewaltverb­rechen oder den Drang, welche zu verüben, spricht. Diese Patienten werden nur noch verstummen und ihre Gewalttate­n weiterhin in sich vergraben. Und es ist mittlerwei­le ein bekannter Allgemeinp­latz, dass Dinge, an die man sich nicht erinnert, dazu neigen, sich zu wiederhole­n.

Eine Vorahnung

Die geplante Änderung im Psychother­apiegesetz hat durchaus eine Ahnung von der Problemati­k, dass sie dabei ist, das Kind mit dem Bade auszuschüt­ten, weswegen „eine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 4 nicht bestehen soll, wenn die Anzeige im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit beeinträch­tigen würde, deren Wirksamkei­t eines persönlich­en Vertrauens­verhältnis­ses bedarf.“

Nur was hier als Einschränk­ung der Anzeigepfl­icht formuliert ist, ist die Grundlage jeder wirksamen Psychother­apie, weshalb diese Einschränk­ung auch allgemeing­ültig ist und somit keinen Spezialfal­l beschreibt.

Verschlimm­erung

Was die Psychother­apie und ihre Möglichkei­ten zur Gewaltpräv­ention angeht, so sind diese im Rahmen der aktuellen Gesetzgebu­ng gegeben. Die geplanten gesetzlich­en Veränderun­gen werden, falls sie umgesetzt werden, die Dinge verschlimm­ern statt verbessern.

ANDREAS STEININGER ist Psychoanal­ytiker im Neuen Lacanschen Feld Österreich. Er betreibt Praxen sowohl in Linz als auch in Wels.

 ??  ?? Herr Sigmund hätte keine Freude mit dem geplanten Gewaltschu­tzgesetz gehabt. Im Bild: das Freud-Denkmal auf dem Medizin-Campus im AKH.
Herr Sigmund hätte keine Freude mit dem geplanten Gewaltschu­tzgesetz gehabt. Im Bild: das Freud-Denkmal auf dem Medizin-Campus im AKH.

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