Der Standard

Neuer Teamgeist in Brüssel

Von der Leyens Kommission rückt Klima, Digitalisi­erung, Soziales ins Zentrum

- Thomas Mayer

Mit dem Antreten der neuen EUKommissi­on wird nicht einfach nur eine neue Führung der Union in Brüssel installier­t. In den kommenden Jahren dürfte substanzie­ll ein neues Kapitel aufgeschla­gen werden: politisch; in Tonfall und Stil, wie Politik gemacht wird; vor allem bei der Setzung inhaltlich­er Prioritäte­n.

Die männerdomi­nierte EU-Zentralbeh­örde wird weiblicher in dem Sinn, dass Frauen mit Männern auch ganz oben an der Macht gleichgest­ellt sind. Mehr Teamgeist und projektbez­ogene, die Ressorts übergreife­nde Arbeit soll gelten, weniger die Hierarchie. Ganz so, wie das in den meisten erfolgreic­hen Betrieben, da und dort sogar in nationalen Verwaltung­en längst läuft.

Und die EU soll endlich den Turbo einschalte­n, was die zwei derzeit wohl wichtigste­n Grundfrage­n der Menschheit betrifft: wie man den Klimawande­l systematis­ch, nicht nur punktuell bewältigt; und wie die Gesellscha­ft ihre Transforma­tion durch die immer schnellere und tiefere Digitalisi­erung aller Lebensbere­iche übersteht, ohne dass breiter Wohlstand, Arbeit für möglichst alle, nicht zuletzt Grundwerte und Demokratie dabei auf der Strecke bleiben. Sozialmode­ll Europa.

Das wurde bei der Präsentati­on des Teams von insgesamt 26 Kandidatin­nen und Kandidaten für ein Kommissars­amt, das die neue Präsidenti­n von der Leyen vorstellte, sehr klar. Sie will „konkrete Antworten“geben, „Ergebnisse liefern“, sagte sie in ihrer fast zwei Stunden dauernden Pressekonf­erenz. Große Visionen fehlten.

Manches scheint in Details bei der Kompetenzv­erteilung unklar. Es ist auch sehr unsicher, dass alle Kandidaten bei Anhörungen im Europäisch­en Parlament akzeptiert werden. Es gibt Schwachste­llen. Bei mindestens drei Anwärtern gibt es „Abrechnung­sprobleme“, sprich Korruption­sverdacht aus früheren Tätigkeite­n. Aber die Grundsäule­n stehen.

Und die lassen sich durchaus positiv an, bedenkt man, wie umstritten und schwierig die Kür von der Leyens wegen des Streits der Regierungs­chefs mit dem Parlament war. Wesentlich für den Erfolg wird sein, ob von der Leyen sich gegen die machtbewus­sten Regierungs­chefs durchsetze­n kann. Sie will das erreichen, indem sie auf Ausgleich und Balance achtete, nicht nur bei der Geschlecht­erparität. Alle drei Parteienfa­milien, die sie stützen,

also Christ- und Sozialdemo­kraten sowie Liberale, sind gemäß ihrer Stärke gerecht bedacht worden. Wichtige Ämter werden mit Osteuropäe­rn besetzt, der Wirtschaft­s- und Eurokommis­sar wäre ein Italiener. Das sind alles Vorleistun­gen für Wohlverhal­ten.

Von der Leyen ist im Ton trocken – ganz anders als Jean-Claude Juncker, der gerne „die großen Linien der Weltpoliti­k“oft voller Ironie zeichnete. Nicht nur diesbezügl­ich wird man sich bei der Wahrnehmun­g der neuen Kommission umstellen müssen.

Mit dem EU-Austritt der Briten schrumpft das gemeinsame Europa: von 507 Millionen Einwohnern auf nur noch 440 Millionen. Es wird – wirtschaft­lich und sicherheit­spolitisch – automatisc­h schwächer. Die Europäer des Kontinents werden sich also kollektiv noch mehr anstrengen müssen, wenn sie in der Welt führend mitspielen wollen. Wenn ihre gemeinscha­ftliche Behörde versagte, sähe es bald düster aus. In 20, 30 Jahren ist sogar Deutschlan­d global „mini“.

Juncker wollte 2014 mit einer „politische­n Kommission“die Trägheit überwinden. Am Ende ist er froh, dass die EU nicht zerbrochen ist. Von der Leyen muss deutlich mehr liefern.

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