Der Standard

Der Bürgermeis­ter, der trotz seiner Religion gewählt wurde

Das erste jüdische Stadtoberh­aupt in Griechenla­nd, Moisis Elisaf, will die Stadt Ioannina öffnen und setzt auf Privatisie­rung

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Moisis Elisaf ist der erste jüdische Bürgermeis­ter in Griechenla­nd – dabei gab es schon einige jüdische Bürger in Ioannina, die versuchten, Politik zu machen. Da war etwa Davidjon Effendi Levi: Der 1877 geborene Schriftgel­ehrte war Vertreter der Stadt im osmanische­n Parlament und dann Mitglied des Regierungs­rates. Doch so weit wie Elisaf ist noch niemand gekommen. Im Juni wurde der 65-Jährige zum Bürgermeis­ter der größten Stadt in der Region Epirus im Nordwesten Griechenla­nds gewählt – nun im September hat er sein Amt angetreten.

„Das Entscheide­nde war, dass die Leute mir vertrauen“, sagt er. Die Wahl war knapp; geholfen hat ihm sicher, dass man ihn gut kennt. Elisaf war zuvor Präsident des Kulturzent­rums in Ioannina. Der Pathologe arbeitete an der Universitä­t der Stadt, war aber auch in Israel – an der Universitä­t in Tel Aviv – tätig.

Er war jahrelang im Stadtrat vertreten

und Präsident der jüdischen Gemeinde in Ioannina sowie Vorsitzend­er des Zentralrat­es der acht jüdischen Gemeinden in Griechenla­nd.

Vor einem Jahr haben junge Leute in Ioannina nun beschlosse­n, eine unabhängig­e Partei, die Neue Zeit, zu gründen. Sie suchten nach Persönlich­keiten, mit denen man antreten konnte. Und Elisaf machte mit. Dass die Partei „aus dem aktiven Teil der Gesellscha­ft“komme, habe zu dem Erfolg beigetrage­n, meint Elisaf. In Ioannina, einer Stadt mit 110.000 Einwohnern, sind nämlich 20 Prozent ohne Arbeit.

Elisaf will nun die Infrastruk­tur verbessern, aber auch die Bürgerdien­ste neu organisier­en. Sein Rezept: Privatisie­rung. Er erhofft auch von der neuen Regierung in Athen Unterstütz­ung dafür. Der Bürgermeis­ter will Ioannina „öffnen“und zu einer modernen europäisch­en Stadt machen, indem er etwa die Verbindung­en mit anderen Universitä­ten verstärkt. „Griechenla­nd befindet sich zwischen dem Westen und dem Osten. Wir haben nicht alle Charakteri­stika des Westens übernommen, aber wir sind dem Westen näher gekommen“, resümiert der herzliche Mann mit dem weißen Bart und den Hornbrille­n.

In Ioannina lebten im Osmanische­n Reich drei Religionen zusammen. Die Stadt kam 1913 während des Balkankrie­gs zum griechisch­en Staat. Die Muslime mussten im Jahr 1922 wegen des Abkommens von Lausanne die Stadt verlassen, nur wenige Albaner durften bleiben. Die Juden der Stadt waren hauptsächl­ich Romanioten, die ursprüngli­ch aus der Levante kamen und eine der ältesten jüdischen Gemeinden in Europa darstellte­n. Sie sprachen Jevanisch oder Romaniotis­ch – eine Mischung aus Hebräisch und Griechisch.

Romanioten in Ioannina

Diese Sprache gibt es heute nicht mehr. Der Begriff Romanioten stammt vom Wort Romaioi. Als Rhomäer wurden die Einwohner des mittelalte­rlichen Byzantinis­chen Reiches bezeichnet. Sie hatten auch eine eigene Version des hebräische­n Alphabets. Wie alle anderen Minderheit­en auch kamen die Juden durch die Nationalst­aatswerdun­g Griechenla­nds zunehmend unter Druck. Im Osmanische­n Reich (1299–1922) waren sie noch einige unter vielen und standen unter dem Schutz des Sultans, doch mit dem Aufkommen des griechisch­en Nationalbe­wusstseins wurden sie vermehrt zu den „Anderen“. Vor der Vernichtun­g während der Shoa lebten 5000 Romanioten in Ioannina – ein Viertel der damaligen Stadtbevöl­kerung. Sie wurden im März 1944 von Wehrmachts­einheiten nach Auschwitz deportiert. Heute leben in ganz Griechenla­nd nur noch etwa 5000 Juden, in Ioannina sind es nur noch 50.

Elisaf diagnostiz­iert heute in Griechenla­nd einen wachsenden Antisemiti­smus, vor allem wachsende Stereotype. Diese hätten sich während der Finanzkris­e noch verstärkt. Laut einer Umfrage der Anti-Defamation League pflegen 67 Prozent der Griechen antisemiti­sche Einstellun­gen. Sie glauben etwa, dass Juden allgemein mit Finanzkapi­tal in Verbindung stehen würden.

Mit diesen Vorurteile­n ist auch Elisaf konfrontie­rt. „Sagen wir es einmal so“, meint er, „ich bin trotz meiner Religion gewählt worden.“Für die jüdische Gemeinde in Griechenla­nd war der Wahlsieg Elisafs aber enorm wichtig. Deshalb sieht er seinen Erfolg auch als Grund für Optimismus.

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