Der Standard

Overkill im Fernsehwah­lkampf

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Hat irgendjema­nd noch die Nerven, sich eine weitere Fernsehsen­dung zum Wahlkampf anzuschaue­n? Diese Wahlausein­andersetzu­ng war und ist vom Fernsehen geprägt wie noch keine vor ihr. Die Bilanz: Es war ein Overkill. Und demokratie­politisch problemati­sch.

Fast kein Abend, an dem die Spitzenkan­didaten nicht auf irgendeine­m Sender und in irgendeine­r Zusammense­tzung zu sehen sind, in Interviews, Gesprächen, Runden, Duellen oder in so manchem Schlagabta­usch. Das soll das Publikumsi­nteresse erhöhen. Ob es auch unsere Urteilsfäh­igkeit erhöht, ist eine andere Frage.

Kann man sich vorstellen, dass sich Bruno Kreisky, wenn er heute lebte, wie ein Zirkusäffc­hen tagein, tagaus von einem Auftritt zum anderen jagen ließe? Würde er nicht eher sagen: Jetzt reichts, lasst mich in Ruhe! Dabei war er es, der seinerzeit als Erster bereit war, mit anderen, seien es Journalist­en oder politische Gegner, auf Augenhöhe zu diskutiere­n und seine Positionen zu verteidige­n. Vorher hatte man Politiker nur gesehen, wenn sie Reden hielten oder Reportern Audienzen gewährten.

Insofern ist die allgemeine Sichtbarke­it und Angreifbar­keit von Wahlkämpfe­rn ein Fortschrit­t. Aber inzwischen ist der

Fernsehwah­lkampf mehr und mehr zur Show geworden. Eine Arena. Auftrittsm­usik. Farbige Scheinwerf­erlichtspi­ele. Und dann der Einmarsch der Stars. Die Persönlich­keit ist alles, die Inhalte treten in den Hintergrun­d. Das Publikum wartet auf „Sager“, die dann zitiert und weitergege­ben werden, unabhängig davon, ob sie etwas Wichtiges enthalten oder nicht. Salatblätt­chen. Schmutzküb­el. Drinks bei Sonnenunte­rgang.

Längst sagen die Leute nicht mehr: Ich wähle die ÖVP. Oder die SPÖ. Oder die Grünen oder die Neos. Sie sagen: Ich wähle den Kurz, die Rendi, den Kogler oder die Meinl-Reisinger. Oder den Pilz. Die Kandidaten müssen, ob sie wollen oder nicht, Showqualit­äten entwickeln, wenn sie Erfolg haben wollen. Hätte ein kluger, zurückhalt­ender, dem Rampenlich­t abholder Politiker überhaupt eine Chance, auch wenn er fachlich und politisch hervorrage­nd wäre? Schwer zu sagen. Der Trend geht in eine andere Richtung: Inszenieru­ng vor Qualität.

Jeder Wahlkampf ist anders, jeder hat seine eigene Atmosphäre und seine eigenen Themen. Beim letzten Mal drehte sich alles um die Migration, heute dreht sich alles in erster Linie ums Klima, in zweiter um die Parteienfi­nanzierung. Entspricht das wirklich den Interessen der Wähler? Sind es die Bürger, die die Themen setzen, oder doch auch die Medien, die Influencer, die Spindoktor­en?

Dass Greta Thunberg und ihre jugendlich­en Anhänger erreicht haben, dass der Klimaschut­z das Ausländerb­ashing aus den Schlagzeil­en verdrängt hat, ist eine gute Sache. Aber dass eine ordentlich­e Integratio­nspolitik und der Umgang mit den hunderttau­senden Zuwanderer­n in der öffentlich­en Diskussion kaum noch eine Rolle spielt, ist schade. Bei den ORF-Sommergesp­rächen kam das Thema überhaupt nicht zur Sprache. Dabei geht unter, dass weiterhin Menschen abgeschobe­n werden, auch wenn sich später erweist, dass die Asylverwei­gerung unrechtmäß­ig war. Auch das gehört ins Kapitel Wahlkampf als Show: Probleme kommen in und aus der Mode. Nicht gut für die Demokratie.

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