Der Standard

Sturmwarnu­ng

Die Europäisch­e Zentralban­k läuft Gefahr, ihr Vertrauen zu verspielen. Die ständige Lockerung der Geldpoliti­k trifft Sparer wie Mieter, Reiter der Apokalypse finden immer mehr Anhänger. Und noch ein Phänomen macht der Notenbank zu schaffen.

- WORTSCHÖPF­UNG: Bettina Pfluger, Andreas Schnauder

Es sieht nach einer Kraftprobe aus, die heute, Donnerstag, ansteht. In Frankfurt sitzen die Ratsmitgli­eder der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) zusammen, um eine weitere Lockerung der Geldpoliti­k zu vereinbare­n. Doch der Widerstand wächst: in der EZB selbst, in der mit dem neuen österreich­ischen NotenbankG­ouverneur Robert Holzmann ein entschiede­ner Gegner weiterer Zinssenkun­gen die Manege betritt, unter Experten und wohl auch in der Bevölkerun­g.

Negative Realzinsen lassen die mühsam angehäufte­n Vermögen dahinschme­lzen, gleichzeit­ig führt die Politik des billigen Geldes zu gefährlich­en Preisblase­n an Aktienoder Immobilien­märkten. Die belasten auch den kleinen Verbrauche­r, beispielsw­eise indem der Anstieg der Grundstück­und Häuserprei­se die Mieten befeuert.

EZB-Mario Draghi will dennoch stärker aufs Gas steigen. Im Unterschie­d zu den USA haben es die Europäer in der Phase der Hochkonjun­ktur verabsäumt, aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k auszusteig­en. Draghi weiß, dass Zinserhöhu­ngen zum Kollaps maroder Banken, Unternehme­n und wohl auch Staaten führen dürfte. Doch die Alternativ­e,

die fundamenta­len Probleme mit künstliche­m Geld zu kaschieren, kann auch nicht ewig dauern. Längst warnen Untergangs­propheten wie Dirk Müller („Mr. Dax“) vor dem tiefen Absturz, der viel stärker ausfallen werde als nach dem Zusammenbr­uch der US-Investment­bank Lehman Brothers 2008. Auch Markus Krall („Der Draghi Crash“) macht die Europäisch­e Zentralban­k mit ihren billionens­chweren Liquidität­szuschüsse­n für den drohenden Kollaps verantwort­lich.

Die Thesen der Apokalypti­ker sind ebenso spekulativ wie einträglic­h, Bücher darüber finden reißenden Absatz, die Autoren werden von Talkshow zu Vortrag gereicht. Was sich nicht von der Hand weisen lässt: Es gibt immer stärkere Bestrebung­en, die künstliche Geldsteuer­ung der Notenbanke­n zu unterlaufe­n. Mittlerwei­le existieren 2357 im Internet generierte Währungen wie Bitcoin und Ethereum.

Auch wenn der Hype abgeklunge­n zu sein scheint, der Drang nach Alternativ­en ist ungebroche­n. So arbeitet Chinas Zentralban­k an einer Digitalwäh­rung, die schon bald eingeführt werden könnte. Auch Facebook bastelt am Internetge­ld. Dass ein Konzern eine Währung erschaffen kann/will, stößt Notenbanke­rn sauer auf. „Die Herausgabe einer Währung gehört nicht in die Hände eines Privatunte­rnehmens“, sagte etwa der deutsche Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD).

Und da wären noch die diversen Initiative­n zur Abkehr vom jetzigen System, das zusehends geopolitis­chen und konjunktur­politische­n Zielen untergeord­net ist und überdies als Vehikel zur Staatsfina­nzierung gebrandmar­kt wird. Vor allem die Idee des Vollgeldes und der damit verbundene­n Abkehr von der Geldschöpf­ung durch die Banken findet immer mehr Anhänger.

Vollgeld als Alternativ­e

Einer der Befürworte­r dieser Theorie ist der frühere Chefvolksw­irt der Deutschen Bank, Thomas Mayer. Die Geldpoliti­k der letzten Jahre habe zur Aufblähung des Finanzsekt­ors und zum Aufstieg populistis­cher Kräfte beigetrage­n, meint der Ökonom. In den Kryptowähr­ungen sieht er bereits eine ernste Herausford­erung für die Notenbanke­n. Dass die Politik das jetzige System ändert, glaubt Mayer nicht, da sie davon profitiere. Nachsatz: „Vielleicht muss es erst in der nächsten Rezession zusammenbr­echen.“Derartige Äußerungen mögen übertriebe­n sein. Doch für ein auf Vertrauen basierende­s Geldsystem sind die Warnungen und Gegenbeweg­ungen Gift. In der Bevölkerun­g kommt zur Verunsiche­rung der Ärger über das schmelzend­e Vermögen auf dem Sparbuch hinzu. Und auch die Bestrebung­en zur Beschränku­ng des Bargeldes finden speziell im deutschspr­achigen Raum wenig bis keinen Anklang.

Draghi muss sich zudem hüten, dass er keine Meuterei auslöst. Mit Gouverneur Holzmann hat der deutsche Vertreter im EZB-Rat, Jens Weidmann, einen weiteren Verbündete­n. Auch andere Staaten wie die Niederland­e verfolgen die ständig neuen Geldspritz­en der Zentralban­k mit Argusaugen. Zwar dürfte dieser Block über keine Mehrheit in der EZB verfügen, doch riskiert Draghi zum Abschied die Spaltung?

Übrigens: Es gibt auch ein Leben (fast) ohne Geld. Die indigene Bevölkerun­gsgruppe Tolai in Papua-Neuguinea etwa verwendet noch heute das Tabu-Muschelgel­d. Es gibt sogar eine eigene Bank, bei der man die Landeswähr­ung Kina in Muscheln tauschen kann.

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