Der Standard

Warum die Mittelschi­cht in Österreich stark schrumpft

Der Gleichheit­sforscher und Ökonom Wilfried Altzinger erklärt, warum Vermögen in Österreich so stark konzentrie­rt sind.

- INTERVIEW: Leopold Stefan

Die Mittelschi­cht ist in den meisten Industries­taaten, darunter auch Österreich, in den letzten Jahren geschrumpf­t. Woran das liegt, erklärt der Wiener Ökonom Wilfried Altzinger.

Standard: Ökonomen berechnen die Mittelschi­cht anhand von Einkommens­klassen. Ist ein Häuslbauer ein typischer Vertreter der Mitte?

Altzinger: Wenn man die Mittelschi­cht als Hausbesitz­er definiert, hätte man die untere Hälfte der Österreich­er ausgeschlo­ssen. Die obersten fünf bis drei Prozent haben sogar mehrere Immobilien. Hausbesitz beeinfluss­t aber wesentlich, wofür man Einkommen verwendet. Darum ist die gängige Definition der Mittelschi­cht nach Haushaltse­inkommen auch nicht ganz unumstritt­en.

Standard: Wie erging es der Mitte in den letzten Jahren?

Altzinger: Wir haben in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n in Österreich einen überdurchs­chnittlich großen Rückgang der Mittelschi­cht im Vergleich der Industries­taaten erlebt. Dazu muss man festhalten, dass hierzuland­e die Ausgangsla­ge sehr egalitär war und immer noch ist. Je gleicher die Einkommen verteilt sind, umso größer ist auch die Mittelschi­cht in einem Land. Über alle OECD-Länder hinweg ist die Mitte geschrumpf­t.

Standard: Woran liegt das?

Altzinger: Generell ist das mit einer stärkeren Lohnspreiz­ung verbunden. Die war vor 20 bis 30 Jahren in Österreich sehr gering und ist seither stark angestiege­n. Vor allem die Arbeitsver­hältnisse der Jüngeren gehen stärker auseinande­r – und damit ihre Einkommen.

Standard: Stichwort Prekarisie­rung am Arbeitsmar­kt.

Altzinger: Genau, das gilt auch für unsere Absolvente­n der Wirtschaft­suniversit­ät, die oft ein unbezahlte­s Praktikum bekommen. Als meine Generation (Jahrgang 1958, Anm.) zu arbeiten begonnen hat, war eine 40-Stunden-Woche mit gutem Gehalt als Akademiker nahezu selbstvers­tändlich.

Standard: Warum sind Vermögen in Österreich so konzentrie­rt?

Altzinger: Die obersten zehn Prozent haben bei uns etwas mehr als sechzig Prozent des Gesamtverm­ögens. Die unterste Hälfte hat de facto nichts. Das ist im Spitzenfel­d der Eurozone, wo das erhoben wird. Das liegt vor allem am geringen Wohneigent­um bei uns. In Spanien etwa besitzen viel mehr Menschen ein Eigenheim.

Standard: Liegt das nicht auch an unserem umfangreic­hen Pensionssy­stem, das wir finanziere­n, aber das oft auch ein Eigenheim als Altersvors­orge überflüssi­g macht?

Altzinger: Pensionsan­sprüche zählen zu Recht nicht zum Vermögen. Natürlich erhält man ein egalitärer­es Ergebnis, wenn man sie berücksich­tigt. Aber das Wesen von Vermögen ist, dass sich damit Erträge lukrieren lassen. Das fehlt bei Pensionen.

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