Der Standard

Zivildiens­t im Ausland wird erschwert

Ein europäisch­er Freiwillig­endienst wird nicht mehr wie bisher als Ersatz anerkannt

- Vanessa Gaigg

Seit langem schon wusste Peter Brotzge, dass er nach der Schule ins Ausland gehen will. Deshalb reiste der 19-jährige Vorarlberg­er letzte Woche nach Tallinn, wo er die nächsten elf Monate in einem Jugendzent­rum arbeiten wird.

Für viele junge Männer ist ein derartiger Schritt meist eine größere Hürde als für junge Frauen: Schließlic­h wären da auch noch die Monate, die man als Zivildiene­r oder beim Bundesheer ableisten muss. Als Zivildiene­r gibt es aber die Möglichkei­t, beides zu kombiniere­n: etwa indem man im Rahmen eines (mindestens zehnmonati­gen) europäisch­en Freiwillig­endienstes arbeitet und sich die Tätigkeit als Ersatz für den Zivildiens­t anerkennen lässt.

Im Jahr 2018 wurde diese Möglichkei­t von 60 jungen Männern genützt. Es ist also kein Massenphän­omen, aber die Interessen­tenzahl steigt jährlich.

So wie ein Freund Brotzges erst letztes Jahr, von dem sich dieser

inspiriere­n ließ. Doch Brotzge selbst steht jetzt vor einem Problem: Womöglich muss er, wenn er wieder zurückkehr­t, erst recht seinen Zivildiens­t hierzuland­e leisten. Das wird ihm zumindest derzeit von der dem Innenminis­terium unterstehe­nden Zivildiens­tserviceag­entur (Zisa) vorgeschri­eben. Der Grund: Ein Dienst, wie Brotzge ihn macht, wird von der Behörde unerwartet­erweise nicht mehr als Zivildiens­tersatz anerkannt.

Gesetz hinkt nach

Hintergrun­d ist, dass seit Herbst 2018 der Europäisch­e Freiwillig­endienst Teil eines neuen EU-Programms („EU-Solidaritä­tskorps“) wurde und somit einen neuen Namen trägt.

Weil im Gesetz aber vom Europäisch­en Freiwillig­endienst die Rede ist, werden die Anträge nicht mehr genehmigt. Eine Aktualisie­rung des Zivildiens­tgesetzes, das durch einen Bezug auf den Europäisch­en Solidaritä­tskorps die Anerkennun­g sicherstel­len würde, blieb bisher aus. Ebenso eine entspreche­nde Weisung des BMI an die Zisa, die die Lücke schließen könnte. Weder das BMI noch die Zisa reagierten auf Anfragen des STANDARD.

Der aktuelle Umstand führt dazu, dass heuer nur ein Bruchteil der bisherigen Teilnehmer­anzahl an jungen Männern plant, das Programm in Anspruch zu nehmen. Zu groß ist auch die Unsicherhe­it, etwaige Verwaltung­sstrafen zu riskieren.

Kritik kommt von der Bundesjuge­ndvertretu­ng (BJV): Denn inhaltlich und qualitativ habe sich bei dem Programm keine Veränderun­g ergeben. „Junge Männer tragen so auch dazu bei, den europäisch­en Solidaritä­tsgedanken zu stärken. Das gehört gewürdigt und nicht erschwert“, sagt BJV-Vorsitzend­er Jakob Ulbrich.

Allein für die Bewerbung für eine Stelle habe er fast ein Jahr investiert, sagt Brotzge. Für ihn stand fest, dass er seine Stelle in Tallinn antreten wird. Trotz der Unsicherhe­iten und des Risikos, „doppelten Dienst“leisten zu müssen. Kommentar Seite 36

Newspapers in German

Newspapers from Austria