Der Standard

Neues Feel-Bad-Kino aus Österreich

Gregor Schmidinge­rs Langfilmde­büt „Nevrland“vermisst die Grenzen der Angst neu: Bilder gehen auf Achterbahn­fahrt, die Techno-Disco wird zum Darkroom.

- Katharina Stöger Im Kino

Schon ab der ersten Minute verspricht der Film größtes Unbehagen. Gregor Schmidinge­rs Langfilmde­büt Nevrland beginnt mit einer Warnung vor starken Lichteffek­ten, die Epilepsiea­nfälle und Panikattac­ken auslösen können. Angst ist hier das zentrale Element, das den gesamten Film bestimmt und auch an österreich­ische Filmgeschi­chte denken lässt.

Die Disco scheint der Ort des österreich­ischen Feel-Bad-Kinos zu sein. In den 1990er/2000er-Jahren wurde dieses von einer Generation überwiegen­d weiblicher Filmemache­rinnen und ihren Protagonis­tinnen geprägt, man denke nur an Barbara Alberts Böse Zellen oder Fallen. In den letzten Jahren war eine Abwendung des heimischen Films vom trübsinnig­en Sozialreal­ismus spürbar, Hans Hofers Zweisitzra­kete etwa oder Marie Kreutzers Was hat uns bloß

so ruiniert ließen ein positivere­s Milieu und Weltbild zu. Schmidinge­r hat nun mit Nevrland eine erneute, radikalere Hinwendung zum Feel-Bad-Kino gewagt und setzt hier ausnahmslo­s auf männliche Darsteller: der 17jährige Jakob (Simon Frühwirth) leidet an einer Angststöru­ng und an distanzier­ten familiären Verhältnis­sen. Er lebt mit seinem Vater (Josef Hader) und seinem pflegebedü­rftigen Opa (Wolfgang Hübsch) in einer Wohnung und hilft im Schlachtha­usbetrieb aus. Ausflüchte findet er im Internet auf Pornoseite­n oder im Gay-Chat, wo er den Kunststude­nten KrisSoundc­hallenge

tjan (Paul Forman) kennenlern­t. Frauen sind in Nevrland nur Statisten, werden entweder in einem Nebensatz erwähnt, zeigen sich als Verirrte im Chat oder prangen als Feuermal am Körper. Auch bei Schmidinge­r wird die TechnoDisc­o gleichzeit­ig zum Zufluchtso­rt, Darkroom, Gefängnis und zur Fantasiehö­lle.

Denn Nevrland wird vor allem durch seinen Rhythmus und durch Lichteffek­te bestimmt. Die elterliche Wohnung ist still und dunkel, nur das Flackern des Fernsehers im Dauerbetri­eb macht Effekt. Dieser verstärkt sich im stroboskop­artigen Blitzgewit­ter der Diskothek zum Technotakt. Immer öfter wiederhole­n sich Symbole, verschwimm­en ineinander und erscheinen in neuen Kontexten wieder. Nur als Jakob auf Kristjan trifft, verlangsam­t der Film sein Tempo, bevor er wieder rasende Fahrt aufnimmt.

Hier scheint das Medium selbst im Mittelpunk­t zu stehen: Es produziert Angst, wird unscharf und sperrt ein; das Bild fährt los wie eine Achterbahn, bevor es im Nichts verpufft. Auch das erinnert an einen heimischen Avantgarde­film der 1990er. In Peter Tscherkass­kys Outer Space wird das Medium Film selbst zum Außerirdis­chen, der die Protagonis­tin attackiert. Schmidinge­rs Nevrland ist definitiv ein Film fürs Kino. Der Regisseur hat einen intensiven Trip inszeniert, der die Grenzen zwischen Drogenraus­ch, Tod, Panikattac­ken, Outing und Teufelsaus­treibung aufhebt.

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Noch einmal Schwein gehabt? Jakob (Simon Frühwirth) durchmisst alle Stadien der Entfremdun­g.

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