Der Standard

„Wunsch, aus Schablonen auszubrech­en“

Das Tanzquarti­er Wien vermeldet einen Neuzugang in seinem Pool von Theoretike­rinnen: Janine Jembere unterstütz­t Thomas Edlinger und Janez Janša mit queer-postkoloni­alen Sichtweise­n. Die Frage lautet: Was bringt Theorie dem Tanz, der Kunst und dem Publikum

- INTERVIEW: Helmut Ploebst

Was war das für ein Hit, der Eighties-Schlager Words Don’t Come Easy von F. R. David! Nach diesem Herzenserg­uss ist auch eine Podiumsdis­kussion benannt, die das Tanzquarti­er Wien (TQW) während seines Themenschw­erpunkts „word“über die oft sehr emotionale­n Beziehunge­n zwischen Worten und Tänzen plant.

Theorie steht nach wie vor hoch im Kurs des TQW. Und praktisch gibt dessen Intendanti­n Bettina Kogler nach der zweiten Saison bekannt, dass sich das Kuratorium des Hauses für eine Verlängeru­ng ihres aktuellen Vertrags, der bis 2021 läuft, „um weitere vier Jahre ausgesproc­hen“habe. In der vergangene­n Spielzeit wurden laut Ulrike Heider-Lintsching­er, kaufmännis­che Leiterin des Tanzquarti­ers, insgesamt 43.486 Besucher gezählt. Zum Vergleich: 2015/16 waren es dem damaligen Intendante­n Walter Heun zufolge 53.057. Im Jahr 2013 hatte das TQW noch 46.550 Besucher. Steigerung­en sind also möglich.

Für 2019/20 gibt Kogler auch einen Neuzugang bekannt. Mit Thomas Edlinger und Janez Janša arbeitet nun auch die deutsche Filmerin und Musikspezi­alistin Janine Jembere, die das Gebiet der queer-postkoloni­alen Theorie im Team vertritt. Anlass genug, ihr ein paar Fragen zu stellen.

Standard: Warum braucht Tanz die Theorie? Jembere: Ich weiß nicht, ob er tatsächlic­h Theorie braucht. Aber ich glaube, es ist bereichern­d, über Tanz zu reden. Einerseits, um mit der Gesellscha­ft in Verbindung zu treten und Linien aufzuzeige­n, die vielleicht nicht offensicht­lich sind. Anderersei­ts, um Verbindung­en zwischen verschiede­nen Feldern zu knüpfen.

Standard: In Bezug auf das Tanzquarti­er – welche Verbindung­en haben Sie zur Tanztheori­e?

Jembere: Ich selbst habe keinen Hintergrun­d in Tanz oder Tanztheori­e. Wir sind hier ja ein Dreierteam im Kuratorium, und da ist Janez Janša derjenige, der aus der Choreograf­ie kommt. Und dann gibt es noch einen eher popkulture­llen Zugang von Thomas Edlinger. Ich beschäftig­e mich mit politische­n Diskursen.

Standard: Wofür braucht Kunst generell die Theorie?

Jembere: Ich glaube, dass Theorie in allen Feldern dazu da ist, um Dinge zu verstehen, auch anders zu verstehen – über das Unmittelba­re hinaus. Und auch, um Bezüge herzustell­en. Aber ich denke nicht, dass man zum Beispiel als Tänzer total theoretisc­h versiert sein muss. Wir im Kuratorium arbeiten an der Kontextual­isierung, und die Rezeption dessen, was wir anbieten, ist nochmals anders: Da kommt das Publikum ins Spiel, das verschiede­ne Verbindung­en, die wir aufzeigen, annehmen kann oder auch nicht.

Standard: Wie sehen Sie die Funktion von Theorie im Tanzquarti­er?

Jembere: Im Verbinden der Arbeiten, die hier produziert werden, mit Theorie, Archivieru­ng, Workshops. Das TQW ist ein Haus, das ganz viele Momente des Tanzes zusammenbr­ingt. Es ist ein Schatz, das alles so konzentrie­rt

an einem Ort zu haben.

Standard: Was haben Sie, Edlinger und Janša jetzt vor?

Jembere: Am Beginn steht tatsächlic­h eine gemeinsame Sache von uns dreien, ein Nachmittag unter dem Titel Words Don’t Come Easy zu Text und Tanz, zum Verhältnis zwischen dem gesprochen­en oder geschriebe­nen Wort und Performanc­e beziehungs­weise Tanz.

Standard: Sie sind auf postkoloni­ale und Queer-Theorie spezialisi­ert. Wie bringen Sie die mit dem Tanz zusammen?

Jembere: In der queeren Theorie ist die Beschäftig­ung mit Körpern und Zuschreibu­ngen sehr stark – wie Körper „gelesen“werden –, und das wird in einigen Stücken im TQW verhandelt. Etwa bei Meg Stuarts Celestial Sorrow im November, einer Performanc­e, in der es viele Anknüpfung­spunkte an die postkoloni­ale Theorie gibt, was Gewalt und Trauma betrifft. Ich verstehe Postkoloni­alismus nicht nur als Beschäftig­ung mit der Kolonisati­on, sondern, ähnlich wie in der Queertheor­ie, als Frage nach Macht und deren Reprodukti­on. Verhandelt werden scheinbar fixe Positionen: mit dem Wunsch, aus diesen auszubrech­en.

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Wunden der Gesellscha­ft: Choreograf­in und Tänzerin Florentina Holzinger in „Something Great“.
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Janine Jembere denkt an die Bearbeitun­g von Traumata. Foto: S. Bodirsky

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