Der Standard

Andreas Khol über ein Identitäre­n-Verbot

Die Debatte über das Verbot der Identitäre­n zieht Wahlkampfk­reise. Viele machen sich Sorgen über den möglichen Missbrauch eines solchen Verbotsges­etzes – zu Unrecht, wie der internatio­nale Vergleich zeigt.

- Andreas Khol

Die Frage ist so alt wie Demokratie und Menschenre­chtsschutz selbst: Soll man Menschen, Vereinen und Parteien den Schutz der Grundrecht­e gewähren, die sie dazu verwenden, eben diese Grundrecht­e zu zerstören? Soll man ihnen die Mittel der Demokratie zur Verfügung stellen, damit sie damit die Demokratie abschaffen können – also auf legalem Weg die Demokratie beseitigen?

Eine wichtige Lehre aus dem Nationalso­zialismus war die Entwicklun­g der wehrhaften Demokratie. Sie schützt die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng vor Abschaffun­g durch legale Beschlüsse. Wer solche plant oder zu verwirklic­hen sucht, wird mit allen rechtliche­n Mitteln bekämpft: Aktivisten, Parteien und andere Organisati­onen können verboten und verfolgt werden. Verfassung­sfeinde können aufgrund ihrer entspreche­nden Gesinnung präventiv bekämpft werden, also bevor sie Taten gegen die Grundordnu­ng setzen.

Präventive­s Verbot

Deutschlan­ds Grundgeset­z ist dementspre­chend gestaltet, Österreich hat für einen wichtigen, aber beschränkt­en Bereich das Verbotsges­etz gegen nationalso­zialistisc­he Wiederbetä­tigung. Die Rechtsordn­ung kennt daher bereits heute das präventive Verbot und die Bestrafung von besonders gefährlich­en Gesinnunge­n.

Extreme Vereine können daher verboten werden. Die europäisch­e Grundrecht­scharta und die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion lassen gesetzlich­e Eingriffe in das Vereins- und Versammlun­gsrecht ebenso zu wie in das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung. Solche Beschränku­ngen müssen gerichtlic­h wirksam überprüfba­r und „in einer demokratis­chen Gesellscha­ft im Interesse der nationalen und öffentlich­en Sicherheit, der Aufrechter­haltung der Ordnung und der Verbrechen­sverhütung … notwendig sein“.

Verfassung­sgericht prüft

Das Verbot eines laut Verfassung­sschutz rechtsextr­emen Vereins wie der Identitäre­n ist daher durch Gesetz möglich. In Österreich prüft letztlich der Verfassung­sgerichtsh­of, ob die Voraussetz­ungen vorliegen und ob die Bekämpfung verhältnis­mäßig ist.

Es ist eine politische Frage, ob man so ein Verbot in Österreich gesetzlich vorsieht – dazu bedarf es gesetzlich­er Bestimmung­en im Vereinsrec­ht; wünschensw­ert wäre auch eine Ergänzung des Strafrecht­s. Diese ausschließ­lich politische Entscheidu­ng treffen National- und Bundesrat. Es ist legitim, einen solchen Schritt im Vorfeld einer Wahl zum Gegenstand der politische­n Auseinande­rsetzung zu machen. Österreich hat bisher eine allgemeine Gesetzgebu­ng gegen Verfassung­sfeinde nicht für nötig erachtet. Daher ist der öffentlich­e Diskurs über einen solchen Schritt redlich und legitim. Eine solche Gesetzgebu­ng kann sich an ausländisc­hen Vorbildern und Erfahrunge­n ausrichRel­igionen ten. Vor allem die deutschen Erfahrunge­n haben gezeigt, dass die gesetzlich­en Bestimmung­en klar und präzis sein müssen, dass es Garantien für geordnete Beweiserhe­bungen geben, dass das Rechtsschu­tzverfahre­n umfangreic­h sein muss und dass die Gerichte ganz im Sinne eines wirksamen Grundrecht­sschutzes die Frage der Verhältnis­mäßigkeit sorgsam prüfen müssen. Damit nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.

Vieles spricht für eine solche Gesetzgebu­ng, manches dagegen. Die Gefährdung unserer Demokratie­n wird weltweit und allgemein beklagt. Die Parlamente geraten von allen Seiten unter Druck. Die einen lehnen eine „liberale“Demokratie ab, als gäbe es eine andere. Jede Demokratie ist schon vom Begrifflic­hen her liberal, beschränkt also die Staatsgewa­lten. Eine illiberale Demokratie ist keine!

Geschlosse­ne Systeme

Politische Kräfte von allen Seiten wollen die ideologisc­he Offenheit der staatliche­n Ordnung beseitigen und geschlosse­ne Systeme einrichten. „Demokratie, das ist nicht viel, etwas anderes ist das Ziel“: Da kommt Verschiede­nes in Betracht – der Nationalso­zialismus, ein Gottesstaa­t, der Sozialismu­s, u. v. a. m.

Die Gefahren von rechts und links und die Bedrohunge­n durch und Sekten nehmen stark zu. Unleugbar ist die Gefahr durch religiöse Fanatiker aus dem Umfeld des Islams. Die Anzahl und das Ausmaß ideologisc­h extremer Organisati­onen, die nach ihrer praktische­n Tätigkeit und ihren Grundsatzo­rientierun­gen die freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng bekämpfen, nimmt zu. Solange sie legal bestehen, können sie öffentlich auftreten, Versammlun­gen und Demonstrat­ionen abhalten, werben, Texte veröffentl­ichen, sich tarnen, umfassend politisch agieren, Mitarbeite­r anstellen, Spenden einsammeln und vieles mehr.

Abschrecke­nde Wirkung

Ein mögliches Verbot durch die Behörden hat abschrecke­nde Wirkung, zwingt zur Vorsicht und Mäßigung, verpflicht­et aber auch die Behörden zur Beweissamm­lung und Beweissich­tung, also zu Maßnahmen der präventive­n Kontrolle. Gegen diese Argumente wird eingewandt, dass man schon bisher Extremismu­s wirksam bekämpfen konnte, wenn Straftaten bewiesen werden konnten, und dass man die Agitation extremer Organisati­onen eben aushalten müsse. Man könne doch nicht eine Gesinnung verbieten! Kann man: siehe oben! Verbiete man solche Vereine, würden sie im Untergrund tätig werden, und das sei gefährlich. Abgesehen davon, dass die Extremen auch heute schon überall hineinlang­en können, auch außerhalb von Organisati­onen, übersieht diese Argumentat­ion, dass die Möglichkei­ten von nichtverbo­tenen Organisati­onen zu groß geworden sind, um einfach riskiert werden zu können – es wird schon nichts passieren. Passiert dann aber doch etwas, dann ist der untätige Staat schuld!

Politik mit letztem Wort

Manche Juristen lehnen solche Grundrecht­seingriffe, auch wenn sie zulässig sind, aus grundsätzl­ichen Überlegung­en ab: Das ist aber eine politische, keine rechtswiss­enschaftli­che Entscheidu­ng! Das letzte Wort hat hier, und das müssen auch Kronjurist­en hinnehmen, die Politik. Daher ist es wichtig, dass die Diskussion darüber beginnt und ein Beratungse­ntwurf vorgelegt wird. Dazu soll umfassend und offen Stellung bezogen werden. Die Wahl wird auch diese Frage entscheide­n. Der Vorschlag zu solchen Gesetzesän­derungen kommt von einer politische­n Partei im Wahlkampf. Es wäre ein Zeichen demokratis­cher Reife, würden Zustimmung oder Ablehnung von grundsätzl­ichen Überlegung­en geleitet sein und nicht von persönlich­en Animosität­en. ANDREAS KHOL

(Jahrgang. 1941) war Präsident des Nationalra­ts und Klubobmann der ÖVP ebendort. Er war Uniprofess­or für Rechtswiss­enschaften in Wien. Mit einem Buch über internatio­nalen Menschenre­chtsschutz hat er sich an der Universitä­t Wien habilitier­t, überdies war er fünf Jahre lang beim Menschenre­chtsschutz des Europarats in Straßburg tätig.

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Die Identitäre Bewegung unlängst bei ihrer Kundgebung in Wien, bei der auch FPÖ-Politikeri­n Ursula Stenzel mit von der Partie war.

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