Der Standard

Was Kurz nach Ibiza vorgehabt hat

Blaue wie türkise Koalitions­insider behaupten, dass der ÖVP-Chef ursprüngli­ch mit Norbert Hofer als Vizekanzle­r weiterregi­eren wollte – doch die schwarzen Landeshaup­tleute hätten sich dagegenges­temmt.

- Michael Völker, Nina Weißenstei­ner

Mit den jüngsten ORF-Duellen rückten auch die koalitions­internen Vorgänge rund um das Auffliegen der Ibiza-Affäre wieder in den Fokus: Am Mittwochab­end konfrontie­rte Sebastian Kurz FPÖ-Chef Norbert Hofer damit, dass er es gewesen sei, der ihn über das Video von ExVizekanz­ler Heinz-Christian Strache informiert habe – und nicht etwa Strache selbst oder Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl. Hofer lächelte bei diesem Vorhalt nur gequält. Dass dem so war, hatte er bereits in einem STANDARD-Interview eingestand­en.

Auftritt verschoben

Fest steht, dass bis heute nur wenige stichhalti­ge Details durchgesic­kert sind, was sich am 18. Mai nach Straches Rücktritt am Minoritenp­latz zu Mittag im Kanzleramt alles zutrug. In der FPÖ wird erzählt, dass Kurz gleich um 13 Uhr eine Pressekonf­erenz abhalten wollte, um dabei zu verkünden, dass er mit Hofer als Vizekanzle­r die türkis-blaue Regierung fortsetze – „das war mit Handschlag paktiert“, heißt es.

Den vor dem Kanzleramt am Ballhauspl­atz wartenden Journalist­en wurde damals tatsächlic­h beschieden, dass sich Kurz’ angekündig­ter Auftritt hinauszöge­re – was sich dann bis in die Abendstund­en hinziehen sollte.

Die blaue Erzählung besagt außerdem, dass Kurz nach dem Verschiebe­n seiner Pressekonf­erenz plötzlich forderte, Kickl müsse als Innenminis­ter abtreten. Angeblich wurde aber sogar noch darüber diskutiert, ob für den Erhalt der Koalition ein anderer Freiheitli­cher sein Amt übernehmen könnte, ehe Kurz darauf bestanden habe, dass das Innenminis­terium wieder von der ÖVP übernommen werden solle.

Um 19 Uhr wurden schließlic­h die Medienleut­e vorgelasse­n – der Rest ist bekannt: Kurz kündigte das Bündnis mit den Freiheitli­chen auf und rief Neuwahlen aus.

Doch auch türkise Koalitions­insider bestätigen, dass Kurz trotz Oligarchin­nenskandal ursprüngli­ch mit Hofer statt Strache an seiner Seite weiterregi­eren wollte. Der ÖVP-Chef beriet sich am Samstagnac­hmittag aber noch mit den schwarzen Landeshaup­tleuten, und die hatten eine klare Botschaft an Wien: Kickl muss weg. Zurufe aus den Ländern

Das gewichtigs­te Wort dabei hatte letztendli­ch die Niederöste­rreicherin Johanna Mikl-Leitner, früher selbst Innenminis­terin: Sie hatte darauf gedrängt, dass das Ressort wieder von der ÖVP geführt werden müsse. Unterstütz­t wurde sie dabei von Günther Platter. Der Tiroler Landeshaup­tmann war früher ebenfalls Innenminis­ter. Auch der Salzburger Wilfried Haslauer und der Oberösterr­eicher Thomas Stelzer sollen genau diese Linie verfolgt haben – Letzterer auch, weil er gleich seinen Landespoli­zeidirekto­r Andreas Pilsl in Stellung bringen wollte.

Wenig später, als die Bildung von Kurz’ Übergangsr­egierung anstand, wurde Pilsl auch prompt als neuer Innenminis­ter gehandelt – doch die FPÖ und Liste Jetzt stemmten sich dagegen, die SPÖ und die Neos äußerten sich zur Bestellung des ehemaligen Mitarbeite­rs im Kabinett von Ex-Innenminis­ter Ernst Strasser (ÖVP) äußerst reserviert. Fazit: Die Übergangsr­egierung ohne Pilsl hielt dann ohnehin nur wenige Tage. Denn nach dem Misstrauen­svotum gegen Kurz im Parlament betraute Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen Brigitte Bierlein mit der Bildung einer Expertenre­gierung.

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