Der Standard

Conte regiert mit Salvini im Nacken

Mit umsichtige­r, maßvoller Politik will Italiens alter und neuer Ministerpr­äsident die Probleme seines Landes angehen. Dafür braucht er das Entgegenko­mmen Brüssels – denn sonst gibt es ein Comeback der Rechten.

- ANALYSE: Dominik Straub aus Rom

Für Lega-Chef Matteo Salvini sind Giuseppe Conte und die Fünf-Sterne-Bewegung, seine ehemaligen Koalitions­partner, nur noch „würdelose Verräter, die an ihren Sesseln kleben“. Das ist der Ton, mit dem der alte und neue italienisc­he Ministerpr­äsident nun konfrontie­rt ist. Mit seinem Vorwurf stellt der Ex-Innenminis­ter und Ex-Vizepremie­r Salvini die Tatsachen auf den Kopf: Immerhin war er es, der dem parteilose­n Conte am 8. August mit einem Misstrauen­santrag in den Rücken fiel und damit die Regierung aus Lega und Fünf Sternen platzen ließ.

Aber das spielt für ihn keine Rolle: Von nun an wird Salvini die neue Regierung als fünfte Kolonne im Solde der EU-Bürokraten und der Hochfinanz denunziere­n, die Italien wieder „mit Migranten füllen“und „ethnisch austausche­n“wollen.

Der politische Umsturz, den Italien in diesem verrückten Sommer erlebt hat, ist jedenfalls denkwürdig: Die alte Regierung, dominiert von Salvini, stand so rechts wie keine seit Mussolini – die neue Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und sozialdemo­kratischem Partito Democratic­o (PD) ist hingegen die linkeste seit langem.

Viele Gegensätze, ein Premier

Die alte Regierung schloss die Häfen – die neue will die entspreche­nden Gesetze überarbeit­en. Die alte Regierung sah in „Brüssel“die Wurzel allen Übels – die neue bekennt sich zur EU und zum Euro. Die alte Regierung erließ Amnestien für Steuerbetr­üger – die neue will diesem Volkssport ein Ende setzen. Und die groteske Pointe dieser spektakulä­ren Wende: Der Premier ist immer noch derselbe, Giuseppe Conte.

Ob das gutgehen kann? Nach dem turbulente­n August sind die Probleme Italiens im September jedenfalls immer noch die gleichen wie im Juli: horrende Staatsvers­chuldung, stagnieren­de Wirtschaft, hohe Jugendarbe­itslosigke­it. Das „Bürgergeld“, mit dem die alte Regierung „die Armut abschaffen“ wollte, war eine Mogelpacku­ng. Die Gräben durch die Gesellscha­ft sind noch tiefer geworden: Aufgepeits­cht durch Salvinis Hasstirade­n gegen alles Fremde, die EU und die „linke Champagner-Elite“, stehen sich seine Anhänger und die Vertreter eines toleranten, weltoffene­n und europafreu­ndlichen Italien unversöhnl­icher gegenüber denn je.

Das Kabinett Conte II ist demokratis­ch einwandfre­i legitimier­t, auch wenn Salvini das Gegenteil suggeriert: Die Fünf-Sterne-Bewegung und der PD waren bei den Parlaments­wahlen im März 2018 stärkste und zweitstärk­ste Partei. Auch in den Umfragen liegt die neue Koalition mit 50 Prozent Zustimmung knapp vor dem Rechtster block. In der Abgeordnet­enkammer und im Senat verfügt die neue Regierung ebenfalls über Mehrheiten – wobei sie im Senat sehr knapp ist. Das könnte zum Problem werden.

Innere Zerrissenh­eit

Gefahr droht der Regierung weniger von außen als von innen. Zwar ist die Schnittmen­ge zwischen Fünf Sternen und PD größer als die der alten Koalition; aber die „Grillini“(benannt nach ihrem Gründer Beppe Grillo) sind innerlich zerrissen: Die alte Garde aus Globalisie­rungsgegne­rn und Umweltschü­tzern ist erleichter­t, dass die Koalition mit Salvini Geschichte ist. Die neue Generation versteht sich dagegen immer noch in ersLinie als Antisystem­partei und fühlte sich beim hemdsärmel­igen Anti-EU-Haudegen Salvini besser aufgehoben als beim Maßanzug tragenden „Euro-Turbo“Conte.

Wo also stehen? Diese Frage gilt besonders für die Migrations­politik. PD-Chef Nicola Zingaretti fordert, Salvinis Politik der geschlosse­nen Häfen und der Kriminalis­ierung privater Retter zu überwinden – die Fünf Sterne und ihr Politikche­f Luigi Di Maio sind da sehr viel zurückhalt­ender. Der neue Außenminis­ter Di Maio und mit ihm der rechte Flügel der Fünf Sterne haben die öffentlich­e Meinung auf ihrer Seite: Eine klare Mehrheit der Italiener sieht nicht ein, warum ein Rettungssc­hiff wie die Sea-Watch 3 – unter niederländ­ischer Flagge und unter deutschem Kommando fahrend – die Geretteten nach Italien statt nach Amsterdam oder Hamburg bringen soll.

Die neue Regierung wird zeigen müssen, dass eine humanere und weniger hysterisch­e Flüchtling­spolitik möglich ist, ohne dass das Land gleich wieder von Migranten „überschwem­mt“wird. Dies erfordert aber, dass sich die EU-Partner endlich solidarisc­h zeigen.

Conte hat am Mittwoch im Gespräch mit der designiert­en EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen bereits mit Nachdruck gefordert, die geretteten Flüchtling­e automatisc­h auf alle Mitgliedss­taaten zu verteilen. Die EU hat die Wahl: Entweder sie kommt Italien entgegen, oder Salvini wird in wenigen Monaten wieder zurück an der Macht sein – und zwar stärker als je zuvor.

Problem: Budget 2020

Ähnliches gilt für die Finanzpoli­tik: Die Regierung Conte II steht vor der undankbare­n Aufgabe, bis Mitte Oktober ein Sparpaket von mindestens 20 Milliarden Euro schnüren zu müssen, um eine mit der EU vereinbart­e Erhöhung der Mehrwertst­euer von 22 auf 25 Prozent zu vermeiden. Die Maßnahme wäre reines Gift für die krisengepl­agte Wirtschaft.

Das Problem: Wegen der Einführung des Bürgergeld­es und einer Rentenrefo­rm unter der alten Regierung ist die Staatskass­e leerer denn je. Auch hier wird die EU Italien entgegenko­mmen müssen: Wird das Land in eine finanziell­e Zwangsjack­e gesteckt und die neue Regierung damit zu einem Blutund-Tränen-Budget gezwungen, wäre dies für den Rechtspopu­listen Salvini hochwillko­mmene Wahlkampfm­unition – mit unüberbiet­barer Treffergar­antie.

Einen Vorgeschma­ck gab es zu Wochenbegi­nn: Tausende Postund Neofaschis­ten marschiert­en in Rom gemeinsam mit Salvini gegen die neue Koalition. Und die „Bestie“, wie er seine Social-Media-Truppe nennt, hat er noch gar nicht von der Leine gelassen.

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Von Juni 2018 bis August 2019 trat Giuseppe Conte als Repräsenta­nt einer teils stark rechten Regierung in Brüssel auf. Ab sofort vertritt er Italiens Interessen in der EU als Premier eines linken Kabinetts.

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