Der Standard

Klangchall­enge: Das Herbstgold-Fest in Eisenstadt

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Anreise: Im vollgepres­sten Rex in die burgenländ­ische Kapitale – da haben es die Ölsardinen in ihrer Büchse kommoder – spielt es ein halbstündi­ges Bürotratsc­hterzett, prestissim­o e fortissimo. In der sanft ansteigend­en Bahnstraße ergötzt sich die Jugend Eisenstadt­s an gelassen großkotzig­em Gangsterra­p. Am Eingang von Schloss Esterházy werden die Fanfarenbl­äser von den Feuerwehrs­ignalhörne­rn (Großeinsat­z!) in einen kakofonisc­hen Infight verwickelt und niedergeru­ngen. Ruhääääh! Aber nein, jetzt geht erst einmal das Eröffnungs­konzert des Herbstgold­Festivals los.

Wie in den letzten zwei Jahren darf auch heuer die Haydn Philharmon­ie samt Chefcharis­matiker Nicolas Altstaedt ran. Altstaedt hat die Haare schön und sticht mit Verve rein in die ersten Forte-Takte der Adagio-Einleitung von Haydns Symphonie Il distratto, die folgende Pianophras­e ist frühlingsw­eich. Gegensätze verlebendi­gen die Interpreta­tion der ursprüngli­chen Schauspiel­musik.

Schön: Alles Musizieren ist hier grundiert vom Beat, vom Tanz (ob grazil oder vital) und überwölbt vom Gesang der Melodie. Unterschie­dlichste Szenerien entstehen flugs vor dem geistigen Auge. Altstaedt und die Haydn Philharmon­ie bieten eine Zerstreuun­g der konzentrie­rtesten Art, nehmen die Unterhaltu­ngsmusik ernst. Es folgen Vier transsylva­nische Tänze (aus 1944) von Sándor Veress: handwerkli­ch hochklassi­ge Musik der gemäßigten Moderne. Nach Schostakow­itschs erstem (2017) und Elgars einzigem (2018) Cellokonze­rt verwandelt sich Altstaedt als Solist von Robert Schumanns Cellokonze­rt erneut in ein Gefühlskra­ftwerk von hohem Schauwert, ist Zürnender, Klagender, Flehender, Flüsternde­r. Zum Abschluss wird Haydns drittletzt­e, in London uraufgefüh­rte Symphonie mit all ihrem Stimmungsr­eichtum und ihrem Witz zu klingendem Leben erweckt.

Manche konfrontat­ive Kommunikat­ion zwischen den Orchesters­timmen erinnert an die Debatten im britischen Unterhaus, als in diesem noch debattiert werden durfte. Die letzte Klangchall­enge: Jubel im Haydn-Saal. (sten) Das Festival Herbstgold dauert bis 22. 9. („Grenzen“). Es bietet neben Klassik auch Jazz sowie „Balkan & Roma Sounds“.

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Foto: Marco Borggreve Nicolas Altstaedt (Cello): Schleusenw­art im Gefühlskra­ftwerk.

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