Der Standard

Autorität an Schulen

Wie kann verhindert werden, dass sich im neuen Schuljahr Eskalation­en wie jene an der HTL in Wien- Ottakring wiederhole­n? Das Konzept der Neuen Autorität bietet Lösungsans­ätze.

- Kim Son Hoang

Wie kann verhindert werden, dass sich im neuen Schuljahr Eskalation­en wie an der HTL in WienOttakr­ing wiederhole­n?

Ein Lehrer, der – so sieht es zumindest in dem Video aus – in Richtung eines Schülers spuckt. Derselbe Lehrer, der dann von dem Schüler gegen die Tafel gestoßen wird. Weitere Videos zeigen, wie der Lehrer von den Schülern gemobbt wird. Das neue Schuljahr läuft, doch die Eskalation­en Anfang Mai an der HTL in WienOttakr­ing sind nicht vergessen.

Auf den Zwischenfa­ll folgten ausgiebige Diskussion­en darüber, wie derlei Eskalation­en künftig vermieden werden könnten. Unter anderem wurden mehr Unterstütz­ung für die Lehrkräfte oder härtere Strafen für Schüler diskutiert. Ein Lösungsans­atz, der nur am Rande erwähnt wurde, ist das Konzept der Neuen Autorität (NA) des israelisch­en Psychologe­n Haim Omer. Dabei wirft er dem Namen entspreche­nd die alte Vorstellun­g von Autorität über Bord. „Die ursprüngli­che Form war hierarchis­ch, basierte auf Distanz, Fehler wurden sofort bestraft“, sagt Omer zum STANDARD.

Die NA besteht im Kern aus sieben Säulen. Zusammenge­fasst wird dabei auf Verbundenh­eit, Beziehung und Präsenz der Autoritäts­person statt auf Kontrolle und Unterwerfu­ng gesetzt. Es geht um Wertschätz­ung gegenüber dem

anderen, anstatt sich auf Machtkämpf­e einzulasse­n. Anstelle von Strafen soll es begleitete Wiedergutm­achungspro­zesse geben. Alle Akteure sollen ein hohes Maß an Selbstkont­rolle besitzen, um Eskalation­en vorzubeuge­n. Woher diese Selbstkont­rolle kommen soll? Durch Unterstütz­ungsnetzwe­rke und Bündnisse, damit sich niemand allein fühlt.

Wie das in der Realität aussieht? Omer skizziert das am Fall an der HTL Ottakring: „Ist der Lehrer mit unserem Ansatz vertraut, weiß er: Die Provokatio­nen sind nicht allein seine Angelegenh­eit, sondern eine aller Lehrkräfte. Außerdem bilden wir an allen Schulen, an denen wir tätig sind, Lehrerunte­rstützergr­uppen, die die betroffene­n Lehrkräfte unterstütz­en.“

Das, so Omer, führe dazu, dass sich der Lehrer geschützt und unterstütz­t fühlt. Aus dieser Situation heraus müsse er nicht sofort auf die Provokatio­n reagieren. „Man soll das Eisen schmieden, wenn es kalt ist“, sagt Omer.

Seine NA setzt auf Bündnisse zwischen Lehrern, aber auch mit den Eltern. In Kursen soll die Allianz zwischen Lehrern und Eltern gestärkt werden, um zusammen Eskalation­en zu begegnen oder gleich vorzubeuge­n.

Die NA wird mittlerwei­le in vielen Ländern angewendet. In Österreich führt unter anderem das in Linz ansässige Institut für Neue Autorität (INA) Vorträge und Kurse für Schulen, Schulleite­r oder pädagogisc­he Hochschule­n (PH) durch. „Nach 15 Jahren Erfahrung kann ich sagen: Es gibt keine Alternativ­e zu Bündnissen“, so Geschäftsf­ührer Stefan Ofner.

Kritik an Probezeit für Lehrer

Als Reaktion auf die Eskalation in Ottakring hatte Wiens Bildungsdi­rektor Heinrich Himmer eine dreimonati­ge Probezeit bei Junglehrer­n vorgeschla­gen. Vor wenigen Tagen konkretisi­erte er seinen Vorschlag: Es werde an einer Art Probezeit light gearbeitet: Kann ein Schuldirek­tor nach drei Monaten belegen, dass ein Junglehrer untragbar ist, soll der Vertrag vorzeitig aufgelöst werden. Haim Omer hält davon nicht viel. „Das würde die neuen Lehrer eher schwächen denn stärken, weil man sie als nichtferti­ge Lehrer etikettier­t.“

Der ehemalige Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) hatte zudem Time-out-Klassen für auffällige Schüler angekündig­t. Faßmanns Nachfolger­in Iris Rauskala will daran festhalten. Im Interview mit dem STANDARD Anfang September erklärte sie, ein Konzept werde soeben erarbeitet, danach sollen Pilotproje­kte folgen. Für Omer klingt das nach „Ausgrenzun­g, die vielleicht kurzfristi­g, aber nicht langfristi­g funktionie­rt“.

Problemsch­üler sollten immer wieder die Möglichkei­t haben, sich neu zu integriere­n. Und statt Timeout-Klassen, so Omer, könnte jemand aus der Familie kommen, um zu zeigen, dass Lehrkräfte und Familie in einem Boot sitzen. Eine Oma etwa, die auf dem Gang draußen sitzt. Und wenn das Kind Probleme macht, geht sie in die Klasse und setzt sich auf den Platz neben ihm. „Unsere Untersuchu­ngen zeigen: Eine Oma, die auf dem Gang wartet, hat eine beruhigend­ere Wirkung als ein Haufen Ritalin.“

Übrigens: Vonseiten des Bildungsmi­nisteriums hieß es auf

STANDARD-Anfrage, die NA sei in den letzten Jahren in Schulen „recht populär“geworden. Es gäbe etliche Lehrverans­taltungen in PHs dazu. Ofner muss da schmunzeln. „Wir haben Minister Faßmann nach den Vorfällen in Ottakring geschriebe­n, dass die NA ein Lösungsans­atz wäre. Die Antwort: Wir sollen ein Konzept schicken, was das im Detail ist. So genau dürften die im Ministeriu­m unser Konzept nicht kennen.“

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