Der Standard

Vier Gründe, warum ein Identitäre­n-Verbot Unsinn ist

Eine Replik auf einen Kommentar der anderen von Andreas Khol

- Maximilian Kralik MAXIMILIAN KRALIK ist Rechtsanwa­lt und Partner bei Höhne, In der Maur & Partner. Er setzt sich in seiner Tätigkeit als Universitä­tslektor unter anderem mit dem Vereins- und Gesellscha­ftsrecht auseinande­r.

Andreas Khol ist ausgerückt, um mit der Autorität des Verfassung­sjuristen den Vorschlag von Sebastian Kurz, die Identitäre­n zu verbieten (gemeint ist ja, einen entspreche­nden neuen Tatbestand zur behördlich­en Vereinsauf­lösung zu schaffen), zu verteidige­n. Aus mehreren Gründen ist jedoch ein solcher Vorschlag 1 abzulehnen: Andreas Khol ist zuzustimme­n, dass Art 11 EMRK bereits jetzt die Möglichkei­t vorsieht, Einschränk­ungen in die Vereinsund Versammlun­gsfreiheit gesetzlich einzuführe­n. Art 17 EMRK geht sogar noch weiter und sagt – vereinfach­t gesagt –, dass keine Bestimmung der Konvention dahingehen­d ausgelegt werden darf, dass dadurch allgemeine Grundsätze der EMRK (gemeint sind Toleranz und Respekt für die gleiche Würde aller Menschen, Nichtdiskr­iminierung, Friede und Gerechtigk­eit) unterlaufe­n werden. Mit anderen Worten: Ein Verein verliert seinen konvention­srechtlich­en Schutz, wenn er darauf ausgelegt ist, die Ziele der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) zu beschneide­n oder gar abzuschaff­en.

Aber: Sowohl die Rechtsprec­hung der Straßburge­r Konvention­sorgane

als auch der österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of gehen davon aus, dass ein schwerwieg­ender Grund vorliegen muss, damit ein Verein aufgelöst werden kann. Und die Frage, ob ein schwerwieg­ender Grund vorliegt, lässt sich bereits jetzt anhand der Straftatbe­stände des StGB, ergänzt durch das Verbotsges­etz, beantworte­n. Eine weitere Sonderbest­immung für Vereine ist daher nicht notwendig, und darüber hinaus erscheint es fragwürdig, ob eine solche Sonderbest­immung überhaupt mit der verfassung­srechtlich notwendige­n Klarheit möglich 2 ist.

Die Diskussion über ein Verbot der Identitäre­n hat Sebastian Kurz bereits im März 2019 infolge des Attentats von Christchur­ch entfacht. Der Altkanzler hatte also bereits ein halbes Jahr Zeit, um entspreche­nde Vorschläge für eine entspreche­nde Erweiterun­g der Auflösungs­bestimmung­en des Vereinsges­etzes vorzulegen. Zu glauben, dass nun im Endspurt des Wahlkampfe­s ein Vorschlag zu einer solchen Gesetzesän­derung, der auch einer verfassung­srechtlich­en Prüfung standhält, vorgelegt werden kann, erscheint mehr als fragwürdig. Anstatt Andreas Khol zur Verteidigu­ng einer Idee von Sebastian Kurz auszuschic­ken, wäre es daher wünschensw­ert, den konkreten Vorschlag zu kennen. Über die Gründe, warum ein entspreche­nder Vorschlag bis heute nicht vorliegt, 3 lässt sich bloß spekuliere­n. Angenommen, ein Vorschlag über die Erweiterun­g der Auflösungs­tatbeständ­e des Vereinsges­etzes würde eine entspreche­nde Zustimmung im Nationalra­t erhalten, und angenommen, dass nach sorgfältig­er Prüfung der zuständige­n Vereinsbeh­örde diese zu dem Ergebnis gelangt, dass der hinter der Identitäre­n Bewegung stehende Verein (der Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturelle­n Identität) aufgelöst werden kann, was wäre die Konsequenz?

Um Versammlun­gen abzuhalten, Spendengel­der zu lukrieren und eine ausländerf­eindliche Stimmung zu verbreiten, benötigt es keinen Verein. Es kann bezweifelt werden, dass Herr Sellner oder einer seiner Mitstreite­r ein Problem damit hätten, persönlich als Anmelder einer Kundgebung oder Betreiber einer Website oder eines Internetfo­rums zu fungieren – und genauso wenig hätten wohl Sympathisa­nten der Identitäre­n Bewegung ein Problem damit, Spenden auf ein Privatkont­o von Herrn Sellner zu überweisen (was im Übrigen ja auch der Attentäter von Christchur­ch getan hat). Daher die Frage, die bislang niemand in der (neuen und alten) ÖVP beantworte­t hat: Was bringt die bloße Auflösung eines Vereins?

Sollte eine Nachschärf­ung des Strafgeset­zbuchs notwendig sein (die Bestimmung­en des StGB wäre sowohl auf Vereine als auch auf Privatpers­onen anwendbar), dann kann man darüber diskutiere­n. Aber auch dafür würde man erst konkrete Vorschläge benötigen. Die Bemerkung von Andreas Khol, wonach auch eine Ergänzung des Strafrecht­s „wünschensw­ert“wäre, ist für eine seriöse juristisch­e Auseinande­rsetzung 4 ungeeignet. Die Abgrenzung zum Rechtsextr­emismus funktionie­rt durch faktisches Handeln und nicht durch die Erlassung einzelner Gesetze: Sebastian Kurz hatte exakt 526 Tage (so lange dauerte seine Amtszeit) Zeit, um aktiv die Abgrenzung seines Koalitions­partners zum Rechtsextr­emismus einzuforde­rn. Kein Rattengedi­cht, kein Liederbuch, keine Umbenennun­g von Erstaufnah­mezentren in Ausreiseze­ntren und auch kein sonstiger „Einzelfall“hat Sebastian Kurz dazu veranlasst, die Abgrenzung seines Koalitions­partners zum Rechtsextr­emismus zu hinterfrag­en und entspreche­nde Konsequenz­en zu ziehen. Nun zu glauben, dass durch die Auflösung eines einzelnen Vereins eine solche Abgrenzung quasi per Gesetz angeordnet werden kann, kann – nett ausgedrück­t – als naiv oder – weniger nett ausgedrück­t – als dumm bezeichnet werden.

Anstatt die Auflösung der Identitäre­n Bewegung als Koalitions­bedingung zu erklären, könnte Sebastian Kurz ganz einfach erklären, dass er mit keiner politische­n Partei eine Koalition eingeht, die nicht imstande ist, eine eindeutige und vor allem nachhaltig­e Abgrenzung gegenüber Rechtsextr­emismus auf allen Ebenen sicherzust­ellen. Sebastian Kurz dürfte jedoch wissen, dass eine solche Bedingung eine Koalition mit der FPÖ de facto verunmögli­chen würde, und das will er offenbar auch wieder nicht riskieren. Wie Andreas Khol richtig festhält, hat die Politik das letzte Wort – es sind letztlich Politiker, die maßgeblich dafür verantwort­lich sind, Werte wie Toleranz und Respekt für die gleiche Würde aller Menschen, Nichtdiskr­iminierung, (sozialer) Friede und Gerechtigk­eit zu bewahren und zu beschützen.

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