Der Standard

Ein gespaltene­s Land wählt

Wenn die Israelis am Dienstag an die Wahlurnen treten, werden sie Umfragen zufolge mindestens neun Bündnisse in die Knesset wählen. Die Parteienla­ndschaft ist so zersplitte­rt wie die Gesellscha­ft. Ein Stimmungsb­ericht.

- Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Als Premier Benjamin Netanjahu versprach, im Fall seiner Wiederwahl mit der Annexion von Teilen des Westjordan­landes zu beginnen, konnte Bat-El Benjamin ihr Glück kaum fassen: „Es war großartig zu hören, dass er anerkennt, dass das Land uns gehört und dass es keine Räumung von Siedlungen mehr geben wird.“Es hat die 29-Jährige darin bestärkt, für die Likud-Partei zu stimmen. Wieder.

Bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres treten die Israelis am Dienstag an die Wahlurnen. Netanjahu ist es im Mai nicht gelungen, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Seither hat sich einiges getan, neue Parteienbü­ndnisse wurden geschmiede­t. Umfragen zufolge werden es mindestens neun in die Knesset schaffen. Eine beachtlich­e Zahl für ein Land mit rund neun Millionen Einwohnern.

Die Parteienla­ndschaft ist zersplitte­rt wie die Gesellscha­ft.

Bat-El Benjamin gehört zu den nationalre­ligiösen Wählern. Sie hat Jura studiert, ist orthodox und lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in der Siedlung Ariel. Israel hat das Westjordan­land im Zuge des Sechstagek­rieges 1967 besetzt und baut bis heute Siedlungen aus. Die internatio­nale Staatengem­einschaft betrachtet dies als völkerrech­tswidrig. Bat-El Benjamin sieht das, wie die meisten Siedler, anders: „Wir sind zurückgeko­mmen in das gelobte Land. Dorthin, wo unsere Vorfahren einst gelebt haben. Netanjahus Erklärung ist sehr bedeutungs­voll.“

Bat-El Benjamin weiß, dass es im rechten Lager auch noch andere Parteien gäbe, die ihre Interessen vertreten würden: Jamina zum Beispiel, ein Zusammensc­hluss nationalre­ligiöser Kleinstpar­teiund en, die es allein nicht über die 3,25-Prozent-Hürde geschafft hätten. Für Bat-El Benjamin kommt es dennoch nicht infrage. „Ich halte nichts von kleinen Parteien.“

Russische Wurzeln

Mark Litman schon. Er hat bei der vergangene­n Wahl für Avigdor Lieberman und dessen Nischenpar­tei Unser Haus Israel gestimmt. „Es hat mir gefallen, wie Lieberman im Mai auf die Einführung des Armeediens­tes für die Ultraortho­doxen gepocht hat“, erklärt der 37Jährige, der als Projektman­ager für ein Tel Aviver Start-up arbeitet.

Litman zählt zu der Gruppe der Wähler mit russischen Wurzeln. Mehr als 1,5 Millionen wanderten nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n nach Israel aus. Und sie haben politische Macht, machen rund zwölf Prozent der Wähler aus. Die meisten leben säkular haben wenig Verständni­s für den Einfluss der Religion. „Ich will am Schabbat einkaufen und Bus fahren“, erklärt Litman.

Liebermans Umfragewer­te haben sich seit Mai verdoppelt: Elf Sitze könnte seine Partei holen – und er zum Königsmach­er werden. Seit Wochen plädiert er für eine große Koalition – ohne Ultraortho­doxe.

Einen Wechsel an der Spitze würde auch den 37-jährigen Sinai Ges freuen. Er allerdings wünscht sich eine Mitte-links-Koalition. „Mich frustriert die Hetze von rechts gegenüber der arabischen Bevölkerun­g und der Opposition“, sagt der Marketingm­anager. Er schwankt noch zwischen dem Bündnis Blau-Weiß und der Demokratis­chen Union – einem Zusammensc­hluss der Linksparte­i Meretz und der neuen Partei von Ex-Premier Ehud Barak. Letztlich weiß er aber, dass „eine linke Regierung kaum möglich ist“.

Selbst den besten Prognosen zufolge würde Herausford­erer Benny Gantz von Blau-Weiß mit einer linken Koalition nur auf 53 der 61 nötigen Sitze kommen – und auch nur dann, wenn er mit den arabischen Parteien koaliert. „Die Linke in Israel existiert kaum noch“, beklagt Ges. Auch Benny Gantz ist eher in der politische­n Mitte einzuordne­n, Sinai Ges weiß das. Doch: „ Bibi benimmt sich wie ein Monarch, der nicht abdanken möchte. Irgendwann könnten sich die Menschen keine Zukunft mehr ohne ihn vorstellen.“

Er hofft, dass mit Gantz an der Spitze die Veränderun­g kommt – auch sicherheit­spolitisch. Er wohnt in Netiv Ha’asara, einem kleinen Dorf, das direkt an den Gazastreif­en grenzt und immer wieder von Raketen bedroht ist.

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Israels Premier Benjamin Netanjahu buhlt um die russischen Stimmen. Eigentlich wählen die lieber Avigdor Lieberman, den Vorsitzend­en der Partei „Unser Haus Israel“.

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