Der Standard

Deutsch lernen leichtgema­cht?

Was für ÖVP-Chef Sebastian Kurz bereits ohne Evaluierun­g ein Erfolgsmod­ell ist, gestaltet sich in der Praxis oft schwierig: Wer in einer Deutschför­derklasse landet, läuft Gefahr, sozial isoliert und lerntechni­sch abgehängt zu werden. Noha ist eine von ihn

- Karin Riss

Am 20. Juni lässt Noha ihr altes Leben hinter sich. Es ist ein warmer Sommertag, nicht heißer als in Ägypten, als sie mit ihrem Bruder Mohammed (9), Schwester Jana (3) und ihrer Mutter Zeina (34) in Wien-Schwechat landet. Ihr Vater ist zu diesem Zeitpunkt bereits amtlich bestätigte­r Österreich­er. Anfang 2019 hat Abdelfatta­h Salama (40), einst Deutschleh­rer an einem Gymnasium in Ismailia, später langjährig­er Mitarbeite­r der Kulturabte­ilung der saudi-arabischen Botschaft in Wien, die Staatsbürg­erschaft erhalten.

Die Salamas lassen sich in Schwechat nieder, zweieinhal­b Monate später beginnt Noha, die in Ägypten gerade die sechste Klasse Grundschul­e abgeschlos­sen hat, in der NMS Schwechat-Frauenfeld. Weil sie nur Arabisch und etwas Englisch spricht, besucht Noha hier gleich zwei Klassen: eine zum Deutschler­nen und eine, in der sie turnt, musiziert oder zeichnet. Auch den islamische­n Religionsu­nterricht muss sie besuchen.

Alien trifft Stammklass­e

Vier von sechs Stunden verbringt Noha also täglich bei Janine Thurner in der Deutschför­derklasse. Hier sitzen 14 Kinder zwischen elf und 16 Jahren aus Kroatien, Serbien, Tunesien, Georgien.

Sie arbeiten konzentrie­rt an Arbeitsblä­ttern und Unterricht­smateriali­en, die die junge Lehrerin in aufwendige­r Heimarbeit zusammenge­stellt hat. Gerade werden die bestimmten Artikel wiederholt. „Das Frühstück, sehr gut!“, lobt Frau Thurner. Manchmal muss sie nachhelfen: „Nein, es heißt nicht das Reis, sondern ...?“„Der Reis“, fällt es dem Buben, der gerade dran ist, wieder ein.

Die restlichen zehn Wochenstun­den besucht Noha ihre „Stammklass­e“, ein Stockwerk tiefer. Wo sie mehr Freunde hat? „Sie hat eine Freundin in der Förderklas­se“, erzählt ihr Vater, „in der anderen Klasse fühlt sie sich fremd.“Klassenvor­stand Felix Stadler kennt die Perspektiv­e der restlichen 24 Kinder aus der 3B: „Natürlich fehlt sie. Wenn ein Kind nur einen Bruchteil der Zeit im Klassenver­band ist, bleibt es ein Alien.“Trotzdem, es bleibt dabei: Nohas „Stammklass­e“ist hier, bei Herrn Stadler.

Eine begrifflic­he Verortung, die ÖVP und FPÖ bei der Einführung der Deutschför­derklassen im Herbst 2018 gewählt haben – und auf die auch die vom Land entsandte Schulquali­tätsmanage­rin beim Besuch des STANDARD großen Wert legt. Elke Wimmers Anwesenhei­t macht das journalist­ische Bemühen um eine sachliche Darstellun­g des türkis-blauen Prestigepr­ojekts nicht unbedingt leichter. Die Deutschför­derklasse soll als Erfolgsmod­ell verkauft werden – vielleicht lässt Frau Wimmer, deren Profession bis vor kurzem noch Schulinspe­ktorin hieß, deshalb keine Äußerung von Lehrkräfte­n oder Direktorin unkommenti­ert. Immerhin: Jetzt, nach der Wahl, durfte der Termin überhaupt stattfinde­n. Davor hieß es aus der Bildungsdi­rektion: „Politisch zu heikel.“

Für ÖVP-Chef Sebastian Kurz sind die Deutschför­derklassen (neben Noten für Volksschül­er und dem Kopftuchve­rbot) der Ausweis für seine konservati­ve Bildungspo­litik. Viel zu lange habe bei der Sprachförd­erung jedes Bundesland, jede Schule im Alleingang vor sich hingewerke­lt – ohne zufriedens­tellenden Output, so das Argument. Dazu ein paar Fakten: Laut einer 2018 erfolgten Sonderausw­ertung der PisaStudie sind Schülerinn­en und Schüler mit ausländisc­hen Wurzeln an österreich­ischen Schulen leistungss­chwächer und auch weniger motiviert. Auch die Zahl derjenigen, die weder einen Job haben noch eine Ausbildung machen, ist unter jungen Migranten hierzuland­e hoch – die OECD spricht von 25 Prozent. So weit die aktuelle Situation. Die politische Schlussfol­gerung, die ÖVP und FPÖ daraus gezogen haben, heißt Deutschför­derklasse.

„Ich habe zu Noha gesagt: Was, du hast kein Englisch?“Herr Salama ist empört. Nach und nach lernt er: Seine Tochter wird auch in Physik, Chemie oder Mathematik nicht unterricht­et. Mathematik! „In Ägypten war sie die Nummer eins in Mathematik“– die Beste der ganzen Schule. Seither sorgen sich die Eltern, der Vater telefonier­t im Wochenrhyt­hmus mit Mathematik­lehrer Stadler und ersucht ihn: „Bitte geben Sie Noha Bücher!“, man werde das Mädchen eben daheim unterricht­en. Die Salamas erträumen für ihre Kinder ein gutes Studium, einen angesehene­n Job – Ärztin etwa oder Richter. Sie wissen, damit diese Pläne in Erfüllung gehen, müssen sie Noha und ihre Geschwiste­r ans Gymnasium bringen. Um den Anschluss zu schaffen, haben sie zwei Jahre Zeit. Dann fällt Nohas Status als außerorden­tliche Schülerin, dann wird sie, wie alle anderen auch, benotet. Wird es möglich sein, die anderen Fächer positiv abzuschlie­ßen, wenn sie in dieser Zeit ausschließ­lich Deutschför­derung bekommt?

Ein Bub aus der Deutschför­derklasse muss das Experiment demnächst wagen. Er steht vor dem Wechsel in eine reguläre Klasse – der dritte Neuanfang für ihn. Wer in der Deutschkla­sse landet, steigt nicht mit der „Stammklass­e“auf, sondern fängt jedes Jahr wieder auf derselben Schulstufe an (siehe Wissen unten).

Direktorin Gudrun Taller versucht in Vorbereitu­ng auf den Umstieg ein wenig Freiraum zu schaffen, damit der Bub bereits jetzt so oft wie möglich an den Deutsch-, Englischun­d Mathematik­stunden teilnehmen und seine Fertigkeit­en üben kann. „Sie trauen sich nicht reden“, beschreibt Frau Thurner aus der Deutschför­derklasse ein wesentlich­es Problem ihrer Schüler. Ließe sich diese Hürde nicht am besten in Gesellscha­ft sprachsich­erer Peers bewältigen?

Erfolgsmod­ell?

Die Schulleite­rin ist Pragmatike­rin. Ja, organisato­risch seien die Deutschför­derklassen eine Herausford­erung. Aber es gebe auch Positives, etwa dass die Entscheidu­ng darüber, wer überhaupt wie viel Förderung brauche, endlich standardis­iert erfolge: „Vorher haben wir eingestuft, wie wir es für richtig hielten – jetzt habe ich ein besseres Gefühl.“Dass jene Kinder, die beim Einstufung­stest „mangelhaft­e Deutschken­ntnisse“hatten, jetzt nur sechs statt bisher elf Förderstun­den bekommen, bleibt trotzdem nicht unerwähnt. Man versuche hier intern noch etwas mehr Sprachunte­rstützung zu ermögliche­n, oberstes Ziel sei schließlic­h immer das Wohl der Kinder und ihre späteren Chancen auf dem Arbeitsmar­kt.

Und während für Ex-Kanzler Kurz bereits feststeht, dass es sich bei der Einführung der Extraklass­en um ein Erfolgsmod­ell handelt, geben sich die Praktiker weitaus vorsichtig­er. „Erst nach ein bis zwei Jahren wird man beurteilen können, ob und wie weit sie das zurückgewo­rfen hat“, glaubt Mathelehre­r Stadler. Deutschleh­rer Salama übt in der Zwischenze­it erste kurze Sätze mit Noha. Dass sie bisher nur einzelne Wörter gelernt hat, reicht der Familie nicht: „Ich mache alles, damit sie auf die deutsche Sprache nicht sauer ist.“

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Fotos: Hendrich/Riss Sorgt sich um die Zukunft seiner Tochter: Abdelfatta­h Salama.

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