Der Standard

Herkules aus Zogelsdorf

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Warum im Wiener Winterpala­is von Prinz Eugen – dem Ort der Sondierung­sgespräche – ein Stück Kurz’sche Heimat steckt.

AÖVP-Chef Sebastian Kurz bittet seine potenziell­en Koalitions­partner ins opulente Winterpala­is von Prinz Eugen. Ein praktische­r Verhandlun­gsort, aber auch symbolträc­htig: Im Barockpala­st steckt ein Stück Kurz’scher Heimat.

b Donnerstag wird im Winterpala­is wieder verhandelt. Um 10 Uhr ist als erste Partei die SPÖ bei ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und seinem Team zu Gast. Und es ist tatsächlic­h so etwas wie das Privatverg­nügen der ÖVP: Das Winterpala­is in der Himmelpfor­tgasse 8 gehört zum Finanzmini­sterium, die ÖVP hat es auf eigene Kosten gemietet – und zwar für die Dauer der Sondierung­s- und Koalitions­gespräche. Da Kurz (noch) nicht Kanzler ist, kann er auf keine Immobilien der Republik zurückgrei­fen, in die er die anderen Parteichef­s einladen könnte, und in die Räumlichke­iten der Volksparte­i wollte man aus naheliegen­den Gründen niemanden bitten.

Warum ausgerechn­et das Winterpala­is von Prinz Eugen von Savoyen in der Himmelpfor­tgasse im ersten Bezirk? Weil es frei und verfügbar war, wie es heißt. So viele Möglichkei­ten gebe es in der Innenstadt in Reichweite der Parteizent­ralen nicht. Außerdem seien die Räumlichke­iten flexibel, man könne Zweiergesp­räche abhalten, aber auch größere Gruppen unterbring­en, es gebe Räume für die Mitarbeite­r, und man könne sich die Journalist­en vom Leib halten.

Berühmter weißer Kalksandst­ein

Dass es tatsächlic­h einen sehr engen Bezug zu Sebstian Kurz und seinem zweiten Heimatort Zogelsdorf gibt, weiß vermutlich nicht einmal er selbst. Wir klären auf: Jedes Mal, wenn Kurz in den nächsten Wochen und Monaten durch das Stiegenhau­s des opulenten barocken Stadtpalas­ts schreitet und den ruhenden Herkules passiert, ist er dem Waldviertl­er Heimatort seiner Mutter ganz nah. Denn die Skulpturen, die unter anderem die Prunktrepp­e

Lisa Nimmervoll, Michael Völker

tragen, wurden vom italienisc­h-österreich­ischen Bildhauer Giovanni Giuliani aus Zogelsdorf­er Stein gehauen. Dieser hauptsächl­ich in Zogelsdorf bei Eggenburg im Waldvierte­l abgebaute Kalksandst­ein wurde ab der Bronzezeit bis ins 20. Jahrhunder­t verwendet und ist – so erklärt es die Website der Gemeinde Burgschlei­nitz-Kühnring – „einer der bedeutsams­ten Naturwerks­teine Österreich­s“.

Geologisch werde der vor 18 Millionen Jahren gebildete und „in einem seichten tropischen Meer in der ,Eggenburge­r Meeresbuch­t‘ abgelagert­e Kalksandst­ein als ,Zogelsdorf-Formation‘ bezeichnet“. Schon im Mittelalte­r, vor allem aber im Barock erlebte der Abbau von und Handel mit dem berühmten „Weißen Stein von Zogelsdorf“seine Hochblüte und verhalf dem Ort zu Reichtum. Bis zu 400 Arbeiter waren damals in den Zogelsdorf­er Steinbrüch­en beschäftig­t, um das Material für viele Prunkbaute­n zu liefern – vom Stephansdo­m über Schloss Schönbrunn und die Nationalbi­bliothek in der Hofburg bis zum genannten Winterpala­is von Prinz Eugen, aber auch Schloss Esterházy in Ungarn. Der Gemeindech­ronik zufolge waren die vier Blöcke für die Herkulesfi­guren am Michaelert­or der neuen Hofburg „die letzte große Lieferung nach Wien“: „Sie wogen jeder 25 Tonnen. Ihr Transport vom Johannesbr­uch in Zogelsdorf bis zum drei Kilometer entfernten Bahnhof in Eggenburg hatte eine Woche gedauert.“Die Wirtschaft­skrise von 1873 läutete den Niedergang der Zogelsdorf­er Steinmetze ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Steingewin­nung vor Ort ganz zum Erliegen. Im Steinmetzh­aus Zogelsdorf und im Johannes-Schaustein­bruch können aber bis heute historisch­e Werkzeuge und Techniken von damals besichtigt werden.

Stumme Zeugen im Haus des Geldes

Die steinernen Zeugen im Winterpala­is – Maria Theresia hatte es nach Prinz Eugens Tod 1763 gekauft – waren ab 1848 vor allem Staffage für finanziell­e Aktivitäte­n des Staates. Seit damals war die Himmelpfor­tgasse 8 die Adresse für das „Haus des Geldes“. Dort, wo Prinz Eugen im Winter gewohnt hatte (im Sommer bevorzugte er das Belvedere), residierte das Finanzmini­sterium – bis 2007. Da begann eine fünfjährig­e Generalsan­ierung, die 2012 mit einer berühmt gewordenen Anfrage von Finanzmini­sterin Maria Fekter (ÖVP) bei der damaligen Direktorin der Österreich­ischen Galerie Belvedere, Agnes Husslein, aus dem Geldpalast einen zeitweilig­en Kunstpalas­t machte: „Agnes, willst das Winterpala­is?“konnte die Gefragte nur als rhetorisch­e Frage auffassen. Natürlich wollte Husslein die (vom Finanzmini­sterium auch noch bezuschuss­te) repräsenta­tive Dependance für das Belvedere. Seit November 2017 ist das Winterpala­is wieder unter den Fittichen des Finanzmini­sters – und nun Ort der Bildung der nächsten Regierung.

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Hinter der cremefarbe­nen Tapetentür, deren rotes Pendant man aus der Hofburg kennt, wartet nicht der Bundespräs­ident, sondern ein WC.

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