Der Standard

Handke in der Kritik

Politiker und Intellektu­elle in Südosteuro­pa kritisiere­n die Vergabe des Literaturn­obelpreise­s an Peter Handke scharf, weil dieser das rechtsradi­kale, autoritäre Regime von Slobodan Milošević unterstütz­te.

- Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Die Vergabe des Literaturn­obelpreise­s an Peter Handke wird von Intellektu­ellen und Politikern in Südosteuro­pa scharf kritisiert.

Das ist zum Fremdschäm­en!“oder „Pfui“lauteten Kommentare auf Twitter und Facebook. Viele Südosteuro­päer reagierten mit Schock, Zorn und Abscheu auf die Meldung, dass Peter Handke den Literaturn­obelpreis bekommen soll. Der albanische Premier Edi Rama twitterte: „Ich dachte nie, dass ich einmal wegen eines Nobelpreis­es das Gefühl haben würde, kotzen zu müssen.“Der kosovarisc­he Präsident Hashim Thaçi schrieb: „Die Entscheidu­ng für den Nobelpreis fügt ungezählte­n Opfern immensen Schmerz zu.“

Und einer der drei Präsidente­n im bosnischen Staatspräs­idium, Šefik Džaferović, beschrieb die Entscheidu­ng der Königliche­n Schwedisch­en Akademie als „skandalös und zum Schämen“. Denn auch Jahre nach Kriegsende zeige Handke nicht das geringste Anzeichen von Reue und habe sich nicht bei den Opfern von Völkermord und Vergewalti­gungen entschuldi­gt, sondern bestreite bis zum heutigen Tag die Wahrheit und behaupte, dass die Bevölkerun­g von Sarajevo die Massaker während der Belagerung inszeniert habe. Die Entscheidu­ng für Handke sei „keiner Institutio­n würdig ist, die zivilisato­rische Werte fördert“, so Džaferović. Das Nobelkomit­ee habe „seinen moralische­n Kompass“verloren.

„Widerspric­ht moralische­n Normen“

Sein Kollege im Staatspräs­idium, Željko Komšić, kündigte an, eine Protestnot­e an das Nobelkomit­ee zu schicken. „Stellen Sie sich vor, dass jemand, der den Holocaust nach dem Zweiten Weltkrieg leugnet, ausgezeich­net würde. Das ist völlig unangemess­en und widerspric­ht allen moralische­n Normen!“Der Gründer der Nobelpreis­auszeichnu­ng habe Menschen im Auge gehabt, „die Frieden bringen, nicht Charaktere wie Handke, die Hass verbreiten“, meinte Komšić.

Nur der serbische Präsident Aleksandar Vučić, der selbst Teil des MiloševićR­egimes war, gratuliert­e Handke telefonisc­h. Für Erstaunen sorgte in der Region, dass die politische Klasse in Österreich, allen voran Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, keinerlei Kritik an der politische­n Haltung von Handke äußerte, der in den 1990ern das rechtsradi­kale Regime von Slobodan Milošević und Nationalis­ten in der Region unterstütz­t hatte.

Zahlreiche Künstler und Intellektu­elle aus der Region beanstande­ten indes, das mit Handke ein Autor ausgezeich­net werden soll, der historisch­e Fakten wiederholt leugnete und die Ideologie des völkischen Nationalis­mus unterstütz­te, die zu Massenmord führte. So kritisiert­e etwa Svetlana Slapšak aus Serbien, dass Handkes Sympathien nie den Menschen in Serbien, sondern den Führern des gewalttäti­gen Regimes der Neunzigerj­ahre galt und dass er all jene ignorierte, die nicht seinem Milošević-Imaginariu­m entsprache­n. „Es geht um einen Mangel an Beobachtun­g, Wissen, Gefühl oder am Impuls, die Unterdrück­ten und Opfer mehr zu lieben als Tyrannen und Täter. Handke hat Serbien ernsthaft beleidigt, könnte man mit pathetisch­er Intonation sagen, denn das Einzige, was er sah, war das brutale Gesicht der Macht, und er setzte es mit dem Volk gleich“, so Slapšak.

Slapšak trifft damit einen wichtigen Punkt, denn Handke war nie dafür kritisiert worden, dass er eine Volksgrupp­e unterstütz­te, sondern dafür, dass er sich für ein kriminelle­s Regime einsetzte, dass Menschenre­chte und internatio­nale Konvention­en mit Füßen trat. Handke selbst ethnisiert­e allerdings den Konflikt und folgte damit der dominanten Propaganda.

Insbesonde­re antination­alistische Intellektu­elle aus Serbien distanzier­en sich deshalb von Handke. Aber es gibt auch Zustimmung. Der Schriftste­ller Dragan Velikić meinte nun: „Das ist Gerechtigk­eit für Handke.“Und Miljenko Jergović monierte, man solle nicht den „großen Schriftste­ller fast vollständi­g auf Kosten des politische­n Exzentrike­rs und des Provokateu­rs“außer Acht lassen. Die Texte zu Südosteuro­pa seien aber „fünf schlechte Bücher, die seines Talents, aber auch seiner Weltanscha­uung und Abgeschied­enheit nicht würdig waren“, so Jergović. Er kritisiert zudem, dass Handke Faschisten unterstütz­te. „Er tat dies aus Rücksichts­losigkeit und Unwissenhe­it“, so Jergović.

Preis für Genozidrel­ativierer

Der in Deutschlan­d lebende Saša Stanišić twitterte hingegen sarkastisc­h: „Mutige Entscheidu­ng, einem ,provokante­n‘, ,zornigen‘ ,Naturbursc­hen‘ und Genozidrel­ativierer den Nobelpreis zu geben.“Und in Anspielung auf den AfDPolitik­er Alexander Gauland verglich Stanišić: „Mutige Entscheidu­ng, jemanden, der Hitler und Nazis einen Vogelschis­s der Geschichte nennt, zu wählen.“

Viele Südosteuro­päer unterschre­iben indes Petitionen an das Nobelkomit­ee, die Entscheidu­ng zurückzune­hmen. Emir Suljagić, der 1995 aus Srebrenica entkam, wo mehr als 8000 Menschen deshalb ermordet wurden, weil sie muslimisch­e Namen hatten, twitterte auf die Frage, ob er Bücher von Handke gelesen habe: „Nein, wir waren damals damit beschäftig­t, unsere Familien und Freunde zu suchen, die in Massengräb­ern lagen, die er leugnet.“

 ??  ?? Handke 2006 beim Begräbnis Slobodan Miloševićs, der wegen seiner politische­n Verantwort­ung für die massive Gewalt im Rahmen der Jugoslawie­nkriege als Kriegsverb­recher angeklagt war.
Handke 2006 beim Begräbnis Slobodan Miloševićs, der wegen seiner politische­n Verantwort­ung für die massive Gewalt im Rahmen der Jugoslawie­nkriege als Kriegsverb­recher angeklagt war.

Newspapers in German

Newspapers from Austria