Der Standard

1989 – eine Erfolgsges­chichte mit Fehlern

Madeleine Albright und Joschka Fischer diskutiert­en in Wien über die Lehren

- Eric Frey

Die renommiert­e Central European University (CEU) hat erst vor wenigen Wochen seinen Campus in Wien-Favoriten eröffnet. Was Wien mit der Universitä­t gewinnt und Budapest, von wo sie vertrieben wurde, verliert, ist bereits unübersehb­ar.

Am Donnerstag trafen einander Madeleine Albright und Joschka Fischer, die Außenminis­ter der USA und Deutschlan­ds um die Jahrtausen­dwende, für eine hochrangig­e Diskussion in der CEU über die Lehren von 1989. Mit auf dem Podium saß Daniel Mitow, bis 2017 Außenminis­ter Bulgariens.

Nach einer kurzen Protesterk­lärung von jungen Linken, die Albright als „neoliberal­e Imperialis­tin“und „Schlüsself­igur der amerikanis­chen Kriegsmasc­hinerie“beschimpft­en, erklärte die Amerikaner­in mit tschechisc­hen Wurzeln, warum der Traum von 1989 aus ihrer Sicht zum Teil geplatzt ist: Man habe im Westen nicht genug verstanden, wie sehr die Gesellscha­ft Osteuropas von Kommunismu­s und Diktatur durchdrung­en war und wie dies die Menschen verändert hat; die Privatisie­rungen seien zu schnell geschehen, und: „Wir haben zu viel Zeit mit den Eliten verbracht und nicht geschaut, wie Normalbürg­er leben.“Dazu sei die gesichtslo­se Globalisie­rung gekommen, die die Suche nach Identität verstärkt habe, und die unvorherse­hbaren Folgen neuer Technologi­en.

Mitow, der den Mauerfall als Elfjährige­r in Sibirien erlebt hat, wies auf andere Fehler hin: Man habe den Staatssich­erheitsapp­arat und dessen Netzwerke nicht zerschlage­n und zugelassen, dass deren Vertreter in der neuen Ordnung an die Spitze gelangen. Man habe zwar den Markt reformiert, aber nicht das Justizwese­n. „Die Staatsanwa­ltschaft arbeitet immer noch im sowjetisch­en Stil“, sagte er. Es sei auch nicht gelungen, eine freie Presse zu schaffen. Die Marktrefor­men hätten in einigen Fällen autoritäre Kräfte gestärkt und ihnen die Mittel gegeben, um die Menschen zu unterdrück­en.

Fischer bezeichnet­e hingegen 1989 als „große Erfolgsges­chichte“. Das Leben von Millionen Menschen habe sich dramatisch verbessert. Dazu habe auch die Großzügigk­eit der EU beigetrage­n, die dies aber schlecht verkaufe. Den Anstieg des Nationalis­mus in Europa begründet der Ex-Grüne damit, dass der äußere Feind weggefalle­n ist. „Das Schlimmste, was die Sowjetunio­n dem Westen angetan hat, war zu verschwind­en.“

Zu viele hätten außerdem die Folgen des früheren Nationalis­mus vergessen, sagte Fischer und zitierte ein deutsches Sprichwort: „Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis.“Die Folge davon seien stets gebrochene Beine.

 ??  ?? Joschka Fischer, deutscher Außenminis­ter 1998–2005, und Madeleine Albright, US-Außenminis­terin 1997–2001, an der CEU in Wien.
Joschka Fischer, deutscher Außenminis­ter 1998–2005, und Madeleine Albright, US-Außenminis­terin 1997–2001, an der CEU in Wien.

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