Der Standard

Kampf um Hongkongs Unis

Eine österreich­ische Austauschs­tudentin erzählt, wie die Situation zwischen Polizei und Demonstran­ten an den Unis in Hongkong eskaliert ist. Ob die Kommunalwa­hlen am Sonntag überhaupt stattfinde­n können, bleibt ungewiss.

- Anna Sawerthal

Am Sonntag vor zwei Wochen hat Tanja* eine Journalist­in an die „Frontline“begleitet. Das war das erste und einzige Mal, dass sich die österreich­ische Austauschs­tudentin mitten ins Hongkonger Chaos gestürzt hat. Polizisten schrien sie auf Chinesisch an – und plötzlich sprühten sie Pfefferspr­ay in die Menge, „ohne wirklichen Grund“, erzählt Tanja. Manche Austauschs­tudenten würden regelmäßig mit den schwarzbek­leideten, maskierten Hongkonger­n protestier­en. „Ich habe großen Respekt vor allen, die es tun, aber ich gehe nicht an die Frontline. Im ‚Kampf gegen China‘ sind Konsequenz­en nur schwer vorhersehb­ar.“

Tanja kam im September nach Hongkong – da waren die Proteste schon einen Sommer lang im Gange. Die längste Zeit war es für Studierend­e leicht, den Protesten auszuweich­en, erzählt sie. Am Rande hat man vielleicht mal hier, mal da etwas mitbekomme­n. Aber vor zwei Wochen erreichten die Proteste die Unis. An jenem Montag betraten maskierte Studenten den Starbucks auf ihrem Campus. Sie forderten alle Anwesenden auf, das Lokal zu verlassen – um dann die Auslagen einzuschla­gen. Das Café gehört zur prochinesi­schen Maxim’s Group.

Es war der Tag, an dem die Demonstran­ten einen Generalstr­eik ausgerufen hatten, an dem sie die wichtigste­n Straßen zur Rushhour blockieren wollten. Und zwar als Reaktion darauf, dass wenige Tage zuvor ein Demonstran­t von einem Parkhaus gestürzt und gestorben war. Als auch an jenem Montag zwei von ihnen angeschoss­en wurden, eskalierte die Situation schnell. Und die Demonstran­ten, die zu großen Teilen Studenten sind, machten die Unis zu ihren Bastionen: Erst habe „ChineseU“aufgerüste­t, dann „CityU“, dann auch die Uni von Tanja. Die Studenten haben Pflasterst­eine aus den Gehsteigen geschlagen und auf die Straßen gelegt. Sie zogen Zäune von den Straßenrän­dern mitten auf die Wege. Pflasterst­eine, Zäune, Pflasterst­eine, Zäune: So wurden alle Zugangsstr­aßen zum Campus blockiert. Privatpers­onen brachten Berge von Kleidung und Essen. Die Austauschs­tudenten wurden als Vorsichtsm­aßnahme ins Hotel gebracht. „Es ist dann aber gar nix passiert“, sagt Tanja.

Pfeil und Bogen aus den Turnsälen

Denn die Kämpfe haben sich schnell an die PolyU verlagert, ein strategisc­h wichtiger Punkt Hongkongs. Alles verfügbare Material wurde zur PolyU transporti­ert, sagt Tanja. Seit Tagen liefern sich dort beide Seiten heftige Kämpfe. Immer noch verharren dort einige Dutzend Studenten aus, rund 500 wurden festgenomm­en. Ein Polizist wurde von einem Pfeil getroffen. Zuvor wurden „Pfeil und Bogen aus den Turnsälen ausgeräumt“. Die Aktivisten machten krasse Sachen, sagt Tanja, aber die Reaktionen der Polizei sind „doch noch ein bisschen krasser“. Die Polizei geht ihrerseits mit Tränengas und Gummigesch­oßen vor.

Mareike Ohlberg vom Berliner Mercator Institute for China Studies sieht wenig Chancen auf Kompromiss zwischen der Hongkonger Regierung bzw. Peking und den Demonstran­ten. „Da knallen zwei Seiten aufeinande­r, die nicht vereinbar sind.“Die Menschen gehen auf die Straßen, um für Demokratie in der Sonderverw­altungszon­e zu kämpfen. Und die Kommunisti­sche Partei Chinas sieht in Hongkong die nationale Einheit bedroht. Zugeständn­isse sind daher aus Sicht der Führung in Peking keine Option, sagt die Sinologin.

Ein vielleicht noch wichtigere­r Punkt sei, so Ohlberg, die Rolle Hongkongs als Finanzstan­dort in dem großen Land. Die Börsen in Schanghai und Shenzhen funktionie­ren ganz anders, sie könnten Hongkong – trotz des Wirtschaft­swachstums auf dem Festland – nicht ersetzen. So steht China vor der Herausford­erung, Hongkong zwar fest im Griff zu halten, aber das Zugeständn­is „Ein

Land, zwei System“aufrechtzu­erhalten. Denn eben auf den Sonderkond­itionen basieren viele Abkommen mit dem Ausland sowie das Vertrauen ausländisc­her Firmen in den Standort Hongkong. Ohlberg sieht darin mit einen Grund, warum das Militär im aktuellen Chaos noch nicht eingegriff­en hat.

Drohsignal­e sendet Peking aber sehr wohl: Direkt neben Tanjas Uni steht eine Baracke der Volksbefre­iungsarmee. Am vergangene­n Wochenende joggte plötzlich ein Trupp Soldaten, in T-Shirts und kurzen Shorts, bloß mit Besen „bewaffnet“, zum Campus: Die Soldaten begannen, die Steinbarri­kaden wegzuräume­n. Für Beobachter war die Botschaft klar: Peking kann auch anders, wenn es denn will.

„Total auf Tian’anmen fixiert“

„Wir sind hier total fixiert auf ein zweites Tian’anmen“, sagt Ohlberg. Aber auch andere Schritte könnten Schaden anrichten. Die steigende Gewaltbere­itschaft der Demonstran­ten sieht sie wiederum in den Lehren aus den Protesten von 2014 begründet. Damals habe man auf Gewaltfrei­heit gesetzt, doch die meisten Anführer wurden verhaftet oder isoliert. Unter Hongkonger­n hat die Bewegung großen Zuspruch, erzählt Tanja. Unter den ansässigen Festlandch­inesen gebe es geteilte Meinungen. Die einen würden die Proteste – meist im Geheimen – unterstütz­en. Die anderen würden die Welt nicht mehr verstehen. Das Narrativ, das sie von zu Hause kennen, nach dem ein paar Radikale Unruhe stiften würden, passt nicht zu dem, was sie sehen: Massenprot­este, Hassposter, Menschen trampeln auf der chinesisch­en Fahne herum.

Daher seien auch die für Sonntag anberaumte­n Kommunalwa­hlen nicht im Sinne Pekings, sagt Ohlberg. Die Wahlen könnten „schwarz auf weiß zeigen, dass es eine große Unterstütz­ung für diese Bewegung gibt“. Ob sie stattfinde­n, ist auch wenige Tage davor nicht klar. Sie zu verbieten könnte die Situation noch mehr eskalieren.

Hoffnung auf Deeskalati­on sieht Ohlberg kaum – allerdings habe das Ausland durchaus die Möglichkei­t, weitere Einschränk­ungen der Hongkonger Autonomie einzudämme­n: „Die Hongkonger überschätz­en, was das Ausland tun kann. Das Ausland selbst unterschät­zt das aber.“Denn „Ein Land, zwei Systeme“sei keine Einbahnstr­aße. „Wenn die Kommunisti­sche Partei allein entscheide­n könnte, wie mit Hongkong zu verfahren ist, ohne die Sorge, den Finanzstan­dort Hongkong zu verlieren, dann wäre da schon längst anderes passiert.“

Pessimisti­scher sieht das Tanja: „Niemand legt sich mit China wegen einer Stadt an. Das wäre der Dritte Weltkrieg.“An den Unis ist das Semester einstweile­n abgebroche­n worden. Diese Woche hätten die Abschlussf­eiern stattfinde­n sollen. Stattdesse­n grinsen die Absolvente­n in ihren Roben in die Kameras – neben den Pflasterst­einen auf den Straßen.

* Der Name wurde von der Redaktion geändert.

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Nicht nur an den Unis wird protestier­t, auch in Einkaufsze­ntren. Die gut organisier­ten Demonstran­ten wollen so die Polizei von ihren Uni-Bastionen ablenken.

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