Der Standard

Prozessauf­takt mit drei Jahren Verspätung

Das Verfahren wegen Kindesmiss­brauchs gegen den zweifachen Olympionik­en Peter Seisenbach­er stößt auf reges Interesse – auch, da noch unklar ist, wie sich der Angeklagte verantwort­en wird. Innenminis­ter will Menschenre­chte sicherstel­len, Asylkoordi­nation f

- Michael Möseneder

Ab Montag wird Peter Seisenbach­er vor Gericht sitzen.

Wien/Innsbruck – In die Schlagzeil­en gerieten die Rückkehrze­ntren für abgelehnte Asylsuchen­de durch einen Hungerstre­ik: Diesen Sommer verweigert­en Insassen des Zentrums auf dem Bürglkopf bei Fieberbrun­n in Tirol wochenlang das Essen, um auf ihre aussichtsl­ose Lage weitab jeder Infrastruk­tur hinzuweise­n.

Nun, vier Monate später, zeigt ihr Protest Erfolg. Am Donnerstag kündigte Innenminis­ter Wolfgang Peschorn 19 konkrete Maßnahmen an, „um sicherzust­ellen, dass die Rückkehrbe­ratung in Österreich gesetzes- und menschenre­chtskonfor­m organisier­t ist“.

Vorangegan­gen war eine gemeinsam mit dem UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat durchgefüh­rte Überprüfun­g der Zentren in Fieberbrun­n und in Schwechat bei Wien. Letzteres ist ein Containerl­ager unweit des Flughafens. In

Mit „Es scheint, es fehlt wer“stellte Christoph Bauer, Vorsitzend­er des Schöffenge­richts, am 19. Dezember 2016 das Offensicht­liche nüchtern fest. Denn eigentlich sollte der Judoka und zweifache Olympionik­e Peter Seisenbach­er im Großen Schwurgeri­chtssaal erscheinen, um sich in einem Prozess wegen schweren sexuellen Missbrauch­s Unmündiger zu verantwort­en. Der 59-Jährige zog es vor, unterzutau­chen. Am Montag gibt es nun einen neuen Versuch – fehlen wird Seisenbach­er nicht, da am 14. September die Untersuchu­ngshaft über das ehemalige Sportidol verhängt worden ist. Im Falle eines Schuldspru­chs drohen zwischen einem und zehn Jahre Haft.

Den Vorsitz wird wieder Bauer führen, der den Prozess vor knapp drei Jahren auf unbestimmt­e Zeit vertagt hat. Tatsächlic­h wird er aber nicht einfach fortgesetz­t, sondern neu durchgefüh­rt werden, da durch eine justizinte­rne Zuständigk­eitsversch­iebung ein Rückkehrze­ntrum kommen rechtskräf­tig negativ beschieden­e Ausländer per Wohnsitzau­flage: Um weiter zumindest grundverso­rgt zu werden, müssen sie ihre bisherigen Unterkünft­e verlassen. In den Zentren soll ihre Ausreise intensiv vorbereite­t werden.

Prüfung nach sechs Monaten

In beiden Einrichtun­gen waren die Überprüfen­den auf Familien mit Kindern gestoßen. Nun sollen Kinder nicht mehr in Fieberbrun­n und Schwechat untergebra­cht werden. Stattdesse­n werden Familien ins oberösterr­eichische Bundesquar­tier Bad Kreuzen verlegt. Dort gebe es einen für die Kinder geeigneten Schulversu­ch, heißt es aus dem Innenminis­terium.

Die Untersuche­r trafen auch auf Menschen, die schon länger als ein halbes Jahr im Rückkehrze­ntrum lebten. Nach sechsmonat­iger

ein neuer Beisitzer notwendig geworden ist.

Das Interesse an dem Fall ist zumindest in Österreich enorm: Medienvert­reter aus mehreren Bundesländ­ern haben sich angemeldet. Auch die 60 Platzkarte­n für die übrige Öffentlich­keit sind bereits vergeben, wie Gerichtssp­recherin Christina Salzborn auf Anfrage verrät.

Drei Fälle angeklagt

Drei Punkte umfasst die Anklage gegen Seisenbach­er. Er soll sich in seiner Zeit als Judotraine­r an zwei Unmündigen vergangen haben. Das erste mutmaßlich­e Opfer war erst neun Jahre alt. Seisenbach­er war ein Bekannter des Vaters des Mädchens, sie begann in dem Verein zu trainieren, in dem auch der Angeklagte tätig war. Ab 1997 soll der damals 37 Jahre alte Seisenbach­er begonnen haben, zudringlic­h zu werden, von 1999 an sei es dann zu geschlecht­lichen Handlungen gekommen, sagt die Anklagebeh­örde.

Beim zweiten Missbrauch­sfall geht es ebenfalls um eine Unmündige. Ab Sommer 2004 soll Seisenbach­er mit einer 13-Jährigen, die er ebenfalls als Trainer der Kindergrup­pe kennenlern­te, sexuelle Handlungen durchgefüh­rt haben. Angezeigt wurden die angeklagte­n Vorfälle erst Jahre später. Zusätzlich soll Seisenbach­er bei einem Sommerlage­r im Jahr 2001 eine 16-Jährige bedrängt haben.

Seisenbach­er selbst hat sich seit Bekanntwer­den der Vorwürfe im Jahr 2014 nie öffentlich dazu geäußert. Sein Verteidige­r, der Grazer Rechtsanwa­lt Bernhard Lehofer, reagierte nicht auf eine STANDARD-Anfrage, ob sich sein Mandant „schuldig“oder „nicht schuldig“bekennen werde.

Auch nach seiner Flucht im Dezember 2016 beschäftig­te Seisenbach­er die Justiz. Vorsitzend­er

Unterbring­ung soll es nun eine Verhältnis­mäßigkeits­prüfung geben. Auch wird zwischen Fieberbrun­n und dem Bürglkopf ein Shuttle eingericht­et, im Zentrum soll stundenwei­se ein Psychologe Dienst machen und die Sozialbetr­euung ausgeweite­t werden.

Am Donnerstag lebten am Bürglkopf dem Vernehmen nach 25 Menschen: keine Familien, aber ein Minderjähr­iger. Beim NGO-Zusammensc­hluss Asylkoordi­nation forderte Lukas Gahleitner das Ministeriu­m auf, die Rückkehrze­ntrumseval­uation „in voller Länge zu veröffentl­ichen“. Die Zentren müssten geschlosse­n werden.

Kein Verständni­s für die Verbesseru­ngen hatte Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ). Das Ministeriu­m sei „eingeknick­t“, sagte er. Wer nicht freiwillig gehe, müsse eben auf ein Heimreisez­ertifikat warten. (bri, ars)

Bauer stellte sofort einen Haftbefehl aus. Trotz weltweiter Fahndung blieb der damalige Nationaltr­ainer von Aserbaidsc­han sieben Monate verschwund­en. Bis zum 1. August 2017, als er von der ukrainisch­en Polizei in einer Kiewer Wohnung festgenomm­en wurde. Die Veröffentl­ichung von Bildern der Festnahme, die Seisenbach­er nur mit Unterhose bekleidet zeigten, brachte sowohl Heute als auch der Bild medienrech­tliche Verurteilu­ngen ein.

Mit der Ukraine folgte nach der Festnahme ein juristisch­es Tauziehen. Wegen des österreich­ischen Auslieferu­ngsantrags wurde der Prominente zwar zunächst in Haft genommen, am 6. Oktober 2017 lehnte das ukrainisch­e Justizmini­sterium allerdings die Übergabe an Österreich ab – nach ukrainisch­em Recht waren die Delikte bereits verjährt. Allerdings wurde festgestel­lt, dass Seisenbach­er gegen das Fremdenrec­ht verstoßen habe, und er wurde zur Ausreise aufgeforde­rt – woraufhin er einen Asylantrag stellte. Dieser wurde im November des Vorjahres endgültig abgelehnt.

Da sein Reisepass für ungültig erklärt worden war, saß der ExSportler in der Falle, aus der er möglicherw­eise mithilfe eines österreich­ischen Judofunkti­onärs entkommen wollte. Im September 2019 versuchte Seisenbach­er zwei Mal, mit einem verfälscht­en Pass dieses Funktionär­s, gegen den wegen Begünstigu­ng ermittelt wird, nach Polen einzureise­n. Dabei wurde er erwischt und in Verwaltung­shaft genommen. Als seine wahre Identität enthüllt wurde, willigte er ein, sich von Beamten des Bundeskrim­inalamts nach Wien bringen zu lassen.

Nicht rechnen kann Seisenbach­er übrigens mit einer Strafreduk­tion wegen „überlanger Verfahrens­dauer“. Diesen Milderungs­grund gibt es nur, wenn Polizei oder Justiz gebummelt haben, und nicht, wenn man als Angeklagte­r den Prozess durch Flucht verzögert.

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