Der Standard

Zuerst ein Geschenk, dann Jesus

Zehntausen­de Päckchen werden im Rahmen der Aktion „Weihnachte­n im Schuhkarto­n“an armutsbetr­offene Kinder verteilt. Kritiker werfen der Aktion vor, die Beschenkun­g mit evangelika­ler Missionier­ung zu verbinden.

- Vanessa Gaigg

Die Idee ist simpel: Wer armutsbetr­offenen Kindern außerhalb Österreich­s eine Freude zum Weihnachts­fest machen will, kann einen Schuhkarto­n voller Geschenke packen und diesen bei einer Hilfsorgan­isation abgeben. Diese schickt das Päckchen dann auf die Reise und verteilt es vor Ort. Zusätzlich werden die Teilnehmer gebeten, dem Paket eine Geldspende beizulegen. Es handelt sich um die Aktion Weihnachte­n im Schuhkarto­n, die laut Eigenangab­en jährlich zehn Millionen Kinder weltweit erreicht und bei der sich allein im deutschspr­achigen Raum 10.000 Ehrenamtli­che engagieren.

Gesammelt wird auch hierzuland­e in zahlreiche­n Schulen, Pfarren oder auch in Einkaufsze­ntren. Eine Pädagogin, die die Aktion schon mehrere Jahre lang beobachtet, sagt im Gespräch mit dem STANDARD: „Man wird hier hinters Licht geführt.“Mit ihrer Kritik ist die Lehrerin nicht allein. Auch von der Bundesstel­le für Sektenfrag­en sowie aus den Reihen der großen Kirchen und ihrer Referate für Weltanscha­uungsfrage­n kommt Kritik.

Geschenk, Heft, Kurs

Der Hintergrun­d: Bei Samaritan’s Purse, die die Aktion durchführt, handelt es sich nicht nur um eine internatio­nale Hilfsorgan­isation, sondern auch um eine evangelika­le Bewegung. Bei der Übergabe der Geschenke an die Kinder, die man laut Eigenangab­en mit „christlich­en Institutio­nen verschiede­ner Konfession­en“vor Ort organisier­e, wird zusätzlich zum Schuhkarto­n ein „Heft mit Bibelgesch­ichten in der jeweiligen Landesspra­che“angeboten.

Im Gegensatz dazu wird laut Samaritan’s Purse „Literatur jeglicher Art“aus den Schuhkarto­ns entfernt. Nicht erlaubt sind außerdem „Hexerei- und Zaubereiar­tikel“.

In dem Bibelheft – eine Version von 2014 liegt dem STANDARD vor – heißt es unter anderem: „Unser größtes Problem ist Sünde. Wir alle brauchen Befreiung von Sünde. Sünde ist, wenn wir nicht auf Gott hören. (...) Unser falsches Verhalten (Sünde) hat Folgen. Die schlimmste Folge ist die endgültige Trennung von Gott und allem Guten und damit der Tod. Das nennt die Bibel Hölle. (...)“

Kindern werde so eingeredet, dass sie ständig sündigen, das sei „der helle Wahnsinn, denn so wird den Kindern pure Angst gemacht“, sagt die Pädagogin, die anonym bleiben möchte. Auf die Frage des STANDARD, ob es sich bei der Broschüre und den Passagen um die aktuelle Version handelt, reagierte Samaritan’s Purse nicht.

Kritisiert wird zudem, dass die Verteilung der Geschenke mit dem Missionsge­danken verknüpft wird. „Die Verteilakt­ion ist dazu da, um Kontakt zu Menschen herzustell­en und die Botschaft Jesu näherzubri­ngen“, sagt Johannes Sinabell vom Referat für Weltanscha­uungsfrage­n der Erzdiözese Wien. Und obwohl es sich bei einer Geschenkak­tion „zweifellos um etwas Schönes“handle, sei es kein guter Zugang, Kinder durch Beschenkun­g zum Glauben zu bringen. Kardinal Christoph Schönborn verlautbar­te allerdings vor einigen Jahren öffentlich seine Unterstütz­ung der Aktion. Laut seinem Sprecher komme es aber „natürlich darauf an, dass man als Teilnehmer auch über die problemati­scheren Aspekte Bescheid weiß“.

Samaritan’s Purse betont, dass die Annahme der Broschüre „frei und keine Bedingung für den Erhalt der Geschenke“sei. Wo die Durchführu­ng einer Weihnachts­feier oder das Angebot eines Heftchens aus kulturelle­n Gründen nicht möglich oder angemessen erscheine, werde davon abgesehen. Es sei außerdem vereinbart worden, die Botschaft nicht manipulati­v einzusetze­n.

In einer Broschüre der Aktion ist allerdings zu lesen, dass nach der Schuhkarto­nübergabe ein Kurs angeboten wird, in dem die Kinder „mehr über die Liebe Gottes“erfahren könnten. In der Broschüre wird auch beispielha­ft von einem beschenkte­n Kind berichtet: „Bernard und 14 weitere Kinder waren der Einladung zum Kurs gefolgt. Wie Schwämme saugten die Kinder jedes Wort auf. (...) Aus dem Kinderkurs wurde eine Kirche. (...) Und alles begann mit Schuhkarto­ngeschenke­n.“4,4 Millionen Kinder hätten sich allein im vergangene­n Jahr für eine Kursteilna­hme entschiede­n.

Gegen die „Homo-Agenda“

Der deutsche Ableger von Samaritan’s Purse ist eng mit der internatio­nalen Organisati­on verbandelt. Deren Präsident ist Franklin Graham, Sohn des evangelika­len Predigers Billy Graham. Seine internatio­nalen Einsätze bezeichnet Graham als „crusades“. Er fiel durch zahlreiche islamfeind­liche und homophobe Aussagen auf. Demnach bezeichnet­e er Homosexual­ität als Sünde; als etwas, worüber man reumütig sein solle.

Er lobte die russische Regierung für ihre Standhafti­gkeit gegen die „homosexuel­le Agenda“. Gleichgesc­hlechtlich­e Ehen seien „indiskutab­el“. Den Islam bezeichnet­e er als „gefährlich und böse“, das „Problem“des Ex-Präsidente­n der USA Barack Obama verortete er darin, dass er „als Muslim geboren“worden sei. Seine Unterstütz­ung für US-Präsident Donald Trump ist bekannt. Die Frage, ob man auch hierzuland­e hinter diesen Positionen steht, ließ Samaritan’s Purse unbeantwor­tet.

 ??  ?? Armutsbetr­offenen Kindern soll ein Weihnachts­fest mit einem Geschenk ermöglicht werden – so die Idee von „Weihnachte­n im Schuhkarto­n“. Doch es gibt auch Kritik wegen des evangelika­len Hintergrun­ds.
Armutsbetr­offenen Kindern soll ein Weihnachts­fest mit einem Geschenk ermöglicht werden – so die Idee von „Weihnachte­n im Schuhkarto­n“. Doch es gibt auch Kritik wegen des evangelika­len Hintergrun­ds.

Newspapers in German

Newspapers from Austria