Die Tschechische Philharmonie im Musikverein
Man schätzt die Nachbarn aus dem Norden nicht nur wegen ihres freundlichen Wesens, sondern auch wegen ihrer Küche. Der Schweinsbraten mit Sauerkraut und Petersilerdäpfel mit zerlassener Butter, die gefüllten Knödel ... Deftige Klangkost kredenzten die Tschechische Philharmonie und Semyon Bychkov auch beim zweiten Gastspielabend im Musikverein, der Tschaikowsky gewidmet war. Obwohl: Renaud Capuçon servierte dessen Violinkonzert eher in Allerweltsmanier.
Er fegt durch die Ecksätze und präsentierte die poetischen Melodien gleichförmig. Im Mittelsatz fesselte er mit einem idealen Mix aus Intimität und Intensität, selbst das leiseste Flüstern in der Canzonetta war präzise artikuliert. Leise war bei Tschaikowskys Pathétique nicht viel. Die tumultuösen Vorgänge vor dem verklärenden Ende des Kopfsatzes waren von elementarer Kraftentfaltung. Sämig und sinnlich wurde das Hauptthema im 2. Satz angerührt, etwas mehr an Grazie hätten gut getan. Im 3. Satz wurde bald in voller Montur marschiert: Dramatik wie in einer Verdi-Oper.
Zu Beginn des Finalsatzes erinnerten die Tschechen erst an einen Chor von Klageweibern, um sich danach mit der Präsenz von Ringkämpfern ins letzte Gefecht zu stürzen. Bychkovs Deutungen waren mal von der exaltierten Tragik einer Stummfilmtragödie, mal einfach nur geil laut. Der Schluss war kein Verlöschen, kein Aushauchen, sondern harthölzerne Widerborstigkeit bis zum letzten Pizzicato. Jubel. (sten)