Der Standard

„Biosiegel könnten wir uns sparen“

Biologisch­e Lebensmitt­el kosten oft ein Vielfaches von konvention­ell hergestell­ten Produkten. Es könnte umgekehrt sein – würde man der Natur einen Preis geben, sagt der Bio-Experte

- INTERVIEW: Philip Pramer

Wo die Arbeit von Biobauern endet, beginnt die von Jan Niessen. Der Deutsche war als Marketingl­eiter beim Bioanbauve­rband Bioland. Er kümmerte sich darum, Biolebensm­ittel in die Supermärkt­e und Discounter zu bringen. Seit letztem Jahr beschäftig­t er sich wissenscha­ftlich mit der Biobranche. Im aktuellen Edition Zukunft-Podcast spricht er ausführlic­h über raue Töne zwischen Bauern und Handel, darüber, wie Digitalisi­erung und ökologisch­e Landwirtsc­haft zusammenpa­ssen, und warum man nur schwer auswärts biologisch essen kann. Das vollständi­ge Gespräch hören Sie unter:

derStandar­d.at/pez

STANDARD: In Österreich werden auf 25 Prozent der landwirtsc­haftlichen Flächen Biolebensm­ittel angebaut. In Deutschlan­d sind es rund zehn Prozent. Wieso? Niessen: Österreich ist viel kleiner strukturie­rt und landschaft­lich vielfältig­er. Wegen der Berge und Hanglagen ist es geografisc­h gar nicht möglich, die Landwirtsc­haft so stark zu industrial­isieren. Außerdem ist Österreich ja relativ spät der EU beigetrete­n. Danach hat man die heimische, kleinstruk­turierte Landwirtsc­haft sehr klug gefördert – auch um die Überproduk­tion zu drosseln. Zum anderen sind die Handelsunt­ernehmen sehr früh, vor 25 Jahren, in Bio eingestieg­en, haben eigene

Marken aufgebaut. Da wird auch heute noch viel ausprobier­t.

STANDARD: Außer den Linien der Supermärkt­e gibt es in Österreich kaum Biomarken. Konzentrie­rt das nicht sehr viel Macht bei den Ketten?

Niessen: Stimmt, die Vielfalt an Marken und die Unabhängig­keit nimmt dadurch ab. Trotzdem können Sie hier österreich­ische Hirse, Kiwis und sogar Ingwer kaufen. In Deutschlan­d hat die Biobranche lange eher im Naturkosth­andel verkauft. Das hat dazu geführt, dass sich Bio nicht so stark durchgeset­zt hat wie in Österreich. Die Oligopole im Lebensmitt­elhandel sind allgemein ein Problem, in der EU wurde das in den letzten Jahrzehnte­n einfach zugelassen.

STANDARD: Bei Milch liegt der Bioanteil in Österreich bei 25 Prozent, bei Fleisch und Wurst unter fünf. Warum?

Niessen: Zum einen, weil bestimmte Produkte wie Milch nicht sehr viel teurer sind in der Produktion als konvention­elle. BioEier dagegen sind deutlich teurer als konvention­elle. Aber wenn ich für eine Zehnerpack­ung Bio-Eier statt zwei Euro vier zahle, tut das selbst mit kleinem Budget nicht wirklich weh. Und die Hühner scheinen deutlich glückliche­r. Anders sieht es beim Schweinefl­eisch aus, das das Drei- bis Fünffache kosten kann. Oft konnten sich die Wertschöpf­ungsketten nicht etablieren. Und es gibt sogenannte Eckartikel, bei denen den Menschen Bio wichtig ist: Eier, Milch, auch Gemüse und Obst wie Äpfel oder Bananen.

STANDARD: Stichwort Bananen: Wie nachhaltig ist Bio vom anderen Ende der Welt?

Niessen: Kunden erwarten sich von Bio oft auch andere Qualitäten, vor allem Nachhaltig­keit. Aber Bio heißt nicht per se, dass mein CO2-Fußabdruck ein anderer

Biobananen aus Übersee sind okay, sagt Jan Niessen. ist. Ich bin sehr froh, dass ich Bananen essen kann, die noch dazu ohne Spritzmitt­el und idealerwei­se auch unter fairen Bedingunge­n angebaut werden. Bei ägyptische­n Kartoffeln bin ich kritischer. Das Wüstenwass­er, das man so importiert, kann man vor Ort sicher besser verwenden.

STANDARD: Müsste Bio nicht der Standard sein und es stattdesse­n Nicht-Bio-Siegel geben?

Niessen: Aus Sicht der Nachhaltig­keit auf jeden Fall. Man müsste die externen Effekte, die ein bestimmtes Wirtschaft­en verursacht, internalis­ieren. Also den Wasserverb­rauch, die Auswirkung­en auf die Bodenfruch­tbarkeit, das Tierwohl und den Boden bepreisen. Wir haben die natürliche­n Ressourcen in den letzten Jahrzehnte­n extrem ausgebeute­t, jetzt werden sie knapp. Sie müssen einen Preis bekommen, damit der Markt das über Knappheits-und Preissigna­le regulieren kann. Dann könnten Bioprodukt­e in einigen Bereichen billiger werden als konvention­elle, und den Siegel-Schnicksch­nack könnten wir uns sparen. Als Konsument könnte ich dann sagen: Dieses Produkt ist günstiger, und deshalb kaufe ich es. Über die Natur und Ressourcen brauche ich mir dann keine Gedanken zu machen, weil die sind ja eingepreis­t. Mit True-Cost-Accounting oder „Richtig rechnen“gibt es bereits konkrete Ansätze. In der Biolandwir­tschaft geschaffen­e Werte wie Biodiversi­tät, Humusaufba­u oder Ausbildung können bis in die Buchführun­g hinein bewertet und eingepreis­t werden.

STANDARD: Aber kann Bio die Welt ernähren?

Niessen: Das ist eine sehr umstritten­e Frage. Das Forschungs­institut für biologisch­en Landbau sagt Ja – wenn wir unsere Konsummust­er ändern. Also weniger Fleisch essen, weniger Essen wegwerfen. Aber das müssen wir sowieso, egal ob bio oder konvention­ell. In allen Branchen! In der Landwirtsc­haft geht das sogar noch einfacher, da ist Kreislaufw­irtschaft schon verbreitet. Und Digitalisi­erung kann zu mehr Nachhaltig­keit beitragen.

STANDARD: Inwiefern?

Niessen: Roboter können heute schon sehr präzise arbeiten und viel energieeff­izienter als massige Traktoren. Es ist zwar kein sehr romantisch­es Bild von biologisch­er Landwirtsc­haft. Aber wer schon einmal einen Monat auf dem Acker herumgekro­chen ist, wird es okay finden, wenn in Zukunft vielleicht ein solarbetri­ebener Roboter über das Feld fährt und mit einem Laser das Unkraut abschießt.

JAN NIESSEN (46) ist Professor für Strategisc­he Marktberat­ung in der Biobranche und allgemeine BWL an der Technische­n Hochschule Nürnberg. Bis 2018 leitete er die Marketinga­bteilung beim deutschen Bioverband Bioland.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria