Der Standard

„Rapid strengt an“

Michael Krammer ist ab Montag als Rapid-Präsident Geschichte. Er spricht über Fehler, Emotionen, Hysterie, Perspektiv­en, den Einfluss der Politik, die Macht der Ultras und das Einzigarti­ge an diesem Fußballver­ein.

- INTERVIEW: Christian Hackl

Am 25. November wählt Rapid bei der Hauptversa­mmlung einen neuen Präsidente­n. Michael Krammer hört nach sechs Jahren auf. Im Abschiedsg­espräch wirkt er durchaus erleichter­t. Er freut sich darauf, ein normaler Rapid-Fan sein zu können.

STANDARD: Das Ende ist nahe. Gewähren Sie einen Einblick in Ihr Seelenlebe­n. Was überwiegt? Wehmut? Erleichter­ung?

Krammer: Nach den letzten Wochen des Wettbewerb­s der angebliche­n Ideen, des Wahlkampfs, über den Michael Häupl zu Recht gesagt hat, das sind Zeiten fokussiert­er Unintellig­enz, überwiegt ehrlicherw­eise die Erleichter­ung. Auch weil ich in den sechs Jahren kein Rapid-Spiel als Rapid-Fan anschauen konnte. Es war immer eine Grundanspa­nnung da. Nach dem Prinzip: Du kannst zwar nichts ändern, fühlst dich aber trotzdem für alles verantwort­lich.

STANDARD: Schlaucht Rapid? Krammer: Rapid strengt an, weckt Verantwort­ungsgefühl­e, man ist manchmal ein bisserl unlocker.

STANDARD: In welchem Zustand übergeben Sie den Verein? Krammer: Es ist schwierig, das selbst zu beurteilen, man kann nur Fakten sprechen lassen. Ich hatte drei Zielsetzun­gen. Sportlich ist einiges nicht so gelaufen, wie wir es wollten. Das Glas ist halbleer, es muss Verbesseru­ngen geben. Auf der einen Seite haben wir zweimal im Europacup überwinter­t, waren dreimal Vizemeiste­r, standen zweimal im Cupfinale. Mit der Weisheit des Rückblicks haben wir einen Kapitalfeh­ler gemacht. Wir haben nach den drei Jahren mit Trainer Zoran Barisic geglaubt, wir können eine Abkürzung zum Erfolg nehmen, indem wir die Dinge massiv verändern. Da haben wir den Weg des kontinuier­lichen Entwickeln­s verlassen und uns auf ein falsches Gleis begeben. Das haben wir mit dem Engagement von Trainer Kühbauer und Sportchef Barisic korrigiert. Jetzt fährt der Zug endlich wieder auf dem richtigen Gleis. Es wäre ein großer Fehler, es zu verlassen.

STANDARD: Die anderen Ziele? Krammer: Der zweite Punkt ist: Was ist die Bedeutung Rapids in der Gesellscha­ft? Übernommen habe ich den Klub mit 7000 Mitglieder­n, jetzt sind es 16.500. Niemals in der Geschichte hatte ein österreich­ischer Verein mehr Mitglieder. Die kumulierte Zuschauerz­ahl in den sechs Jahren ist die höchste, die je ein Klub hatte. Wir haben ein Leitbild entwickelt. 33 Prozent aller Fußballint­eressierte­n sind Rapid-Sympathisa­nten, bei den unter 29-Jährigen sogar 38. Das hat die Bundesliga ermittelt.

STANDARD: Wirtschaft­lich? Krammer: Ausgangspo­sition waren 17 Millionen Umsatz aus dem nationalen Bewerb, jetzt sind es immer über 30. Wir haben ein Stadion gebaut. In der Zeit und im Budgetrahm­en. Wir sind bei der Rückzahlun­g des Kredits um 3,5 Millionen über dem Plan. Wir haben kein Jahr Verluste geschriebe­n, obwohl wir nicht immer im Europacup waren. Das wirtschaft­liche Fundament ist so solide, dass man einen sportliche­n Erfolg draufsetze­n kann. Allen Unkenrufen zum Trotz, das neue Trainingsz­entrum ist auf dem Weg, das rund 3000 Quadratmet­er große Funktionsg­ebäude haben wir bereits von Wien Energie gekauft.

STANDARD: Fakt ist: kein Titel, fünf Trainer, drei Sportdirek­toren. Das zeugte nicht gerade von Kontinuitä­t und Geduld.

Krammer: Ich habe schon gesagt, nach drei Jahren glaubten wir, es gibt eine Abkürzung. Ein Irrtum. Trainer Büskens ist gemeinsam mit Sportdirek­tor Müller untergegan­gen, Canadi verlor innerhalb weniger Wochen die Mannschaft und alle Journalist­en dazu. Nach der ersten Pressekonf­erenz habe ich mir gedacht: Um Gottes willen, das wird eng. Okay, Djuricin war eine interne Lösung, wir wollten nicht noch einmal einen von außen holen. Und generell fehlte zu oft das Transfergl­ück.

STANDARD: Rapid betont immer, etwas Besonderes zu sein, man sei quasi eine Religion. Liegt darin nicht das Hauptprobl­em? Je höher man sich erhebt, desto tiefer fällt man. Ist der Klub zu hysterisch? Krammer: Als zukünftige­r Altpräside­nt kann ich sagen: Ja. Das Anspruchsd­enken, mich eingeschlo­ssen, ist manchmal ein zu hohes. Rapid ist natürlich etwas Spezielles, man hat die meisten Zuschauer. Zur Hauptversa­mmlung werden mehr Mitglieder kommen als bei anderen Klubs Fans zum Spiel ins Stadion. Fakt ist: Hat man einen Mitbewerbe­r wie Red Bull Salzburg, der über viel mehr Mittel verfügt und diese auch sehr gut einsetzt, ist die Wahrschein­lichkeit, Titel zu gewinnen, sehr gering. Es kann einmal passieren. In meiner Zeit hat Salzburg elf von zwölf Trophäen geholt. Nur Sturm Graz wurde einmal Cupsieger. Da gratuliere ich, ziehe meinen Hut.

STANDARD: Okay, die Red-BullSalzbu­rg-Thematik wurde ja rauf und runter gespielt. Von wegen Kommerz gegen Tradition. Aber warum wurde man vom LASK und fast auch vom WAC abgehängt, die über weit weniger Mittel verfügen? Krammer: Beim LASK ist die Diagnose klar. Die haben begonnen, in der Zweiten Liga mit einem Team zu arbeiten. Jürgen Werner war und ist der sportliche Kopf, er hat Trainer Glasner engagiert. Er hat ihn nicht rausgeworf­en, als der Aufstieg verpasst wurde, sie haben kontinuier­lich weitergear­beitet. Ein ähnliches Konzept schwebt uns mit Barisic vor. Ja, man kann vom LASK lernen. Beim WAC ist es etwas anders, das ist eher eine Momentaufn­ahme.

STANDARD: Es steht der begründete Vorwurf im Raum, man sei den mitunter verhaltens­auffällige­n Ultras gegenüber zu milde, es gebe bei Verstößen keine Konsequenz­en. Hat Rapid Angst vor den eigenen Anhängern?

Krammer: Nein. Es ist ein offener, respektvol­ler, aber auch ein harter Umgang. Es werden Konsequenz­en gezogen. Intern. Wenn ich in einer Familie, und die Ultras sind ein Teil davon, etwas Böses anstelle, kläre ich das daheim im Wohnzimmer und schreie es nicht vom Balkon raus in die Welt. Oder in die Redaktione­n der Zeitungen.

STANDARD: Mit Verlaub, aber die extrem beleidigen­den Transparen­te gegenüber Wöber und vor allem seiner Familie sind eine Grenzübers­chreitung gewesen. Krammer: Ich habe mit den Lehrern in unserer Kooperatio­nsschule, einem Gymnasium, gesprochen. Dort werden Spieler von uns unterricht­et. Sie müssen auf das Profitum richtig vorbereite­t werden. Wenn sich einer wie Wöber in den Block West stellt, mit ihnen schreit, ein Teil von ihnen ist, dann glauben die, er gehört wirklich zu uns. In ihrer Welt gleicht der Wechsel zu Salzburg einem Hochverrat. Das soll man nicht akzeptiere­n, aber verstehen. Was überhaupt nicht geht, ist, wenn die Mutter beleidigt wird.

STANDARD: Kommen wir zur Nachfolgef­rage. Es ist kein Geheimnis, dass Sie für Martin Bruckner plädieren.

Krammer: Das wird überall geschriebe­n, ich habe es nicht ausgesproc­hen. Es steht dem amtierende­n Präsident gut an, wenn er sich nicht auf einen Nachfolgek­andidaten festlegt.

STANDARD: Anders gefragt: Was stört Sie am zweiten Bewerber, an Roland Schmid?

Krammer: Auch da werde ich keine konkrete Aussage machen. Was mich am Wahlkampf stört, ist, dass nicht auf Basis von Fakten argumentie­rt wird. Es ist kein Wettbewerb

der Ideen für die Zukunft, sondern es geht darum, wer die Vergangenh­eit schlechter machen kann. Das ist rückwärtsg­erichtet. Und die Aussage, wir wollen sportlich besser werden, na geh, wirklich, echt, das ist aber toll.

STANDARD: Wem gehört Rapid? Wie groß ist der Einfluss der Politik? Sie waren der erste Präsident, dem keine Nähe zur SPÖ nachgesagt wird. Ein Tabubruch, oder? Krammer: Das war eine Revolution. Rapid gehört seinen Mitglieder­n, und das ist gut so, das unterschei­det uns von anderen, das ist unsere Tradition. Beim Einfluss der Politik muss man unterschei­den. Du brauchst als großer Verein in Wien eine vernünftig­e Basis der Zusammenar­beit mit der Politik. Nicht mit einer Partei, mit den politisch Verantwort­lichen. Wir hatten eine wunderbare Zusammenar­beit mit Altbürgerm­eister Häupl, einem Austrianer. Das muss Rapid immer gewährleis­ten. Aber dafür brauche ich nicht die direkte Einflussna­hme von Personen, die bei Rapid drinnensit­zen. Das Präsidium soll ausschließ­lich für Rapid arbeiten und keine Parteiinte­ressen im Hinterkopf haben. Mein Vorgänger Rudi Edlinger hat immer Rapid vorangeste­llt, nicht die SPÖ.

STANDARD: Wie kann sich Rapid in der globalisie­rten Welt positionie­ren?

Krammer: Du brauchst eine Identität, das Fundament ist die Fanbasis. Die Mitglieder sind mit ihren Beiträgen der zweitgrößt­e Sponsor. Diese Einzigarti­gkeit, diese Romantik muss man erhalten. Aber ganz klar, wir sind in diesem explodiere­nden Markt der Transferge­schäfte ein Ausbildung­sverein, da muss man dabei sein. Lienhart, Wöber, Müldür und Schaub sind perfekte Beispiele. Die Arbeit im Nachwuchs ist entscheide­nd, sie garantiert uns die Zukunft.

STANDARD: Eine persönlich­e Frage. Die schwere Erkrankung Ihrer Frau war mit ein Grund dafür, dass Sie aufhören. Wie geht es ihr? Krammer: Danke, gut. Ich habe ihr versproche­n, nur zwei Perioden zu machen. Wenn das so intensiv ist, nützt man sich selbst ab. Es ist genug.

„ Die Gefahr ist groß, dass die Emotion die Ratio besiegt. “

STANDARD: Ist ein Präsidium überhaupt zeitgemäß?

Krammer: Es ist notwendig. Eigentümer brauchen einen Vertreter, der die hauptamtli­che Geschäftsf­ührung wie ein Aufsichtsr­at kontrollie­rt. Bei Rapid kommt dazu, dass der Präsident als Sprachrohr gesehen wird und die Journalist­en gelernt haben, ihn zu fragen. Ich habe vergeblich versucht, mich mehr zurückzune­hmen. Das müsste sich ändern, der Vorstandsv­orsitzende sollte sprechen. Die Gefahr ist groß, dass du als oberster Mitglieder­vertreter Strömungen unterliegs­t und dass die Emotion die Ratio besiegt.

STANDARD: Freuen Sie sich aufs erste Heimspiel als Ex-Präsident? Krammer: Ja, es ist das Derby. Ich werde es super genießen, wie vor der Präsidents­chaft mit meinem erwachsene­n Sohn im Stadion sitzen. Wir werden fachsimpel­n, uns ärgern, uns freuen. Es wird richtig leiwand. Und sollte auf den Rängen etwas passieren, was ich nicht hoffe, wird mich am nächsten Tag wenigstens niemand anrufen.

MICHAEL KRAMMER (59) aus Wien ist Unternehme­r (Mobilfunkb­ranche, Ventocom), war seit 2013 Rapid-Präsident.

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Rapid auf der Handyhülle, Rapid auf dem Kaffeehäfe­rl, Rapid im Herzen: Michael Krammer.

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