Der Standard

Was steckt unter der Oberfläche?

Die Ausstellun­g „Objects Recognized in Flashes“im Wiener Mumok zeigt fotografis­che Arbeiten von vier Künstlerin­nen. Das kuratorisc­he Interesse dahinter gilt dem Reiz verschiede­ner Oberfläche­n.

- Katharina Rustler

War man hier nicht gerade schon? Hat vor zerbrochen­en Spiegeln versucht, sich zu orientiere­n? Ist dann an Uhren, Pflanzen und Streifen entlanggeg­angen? Und nach links abgebogen? Oder vor den Frauenkörp­ern mit den silbernen Rohren nach rechts? Noch bevor bunte Collagen in einen anschließe­nden Raum locken können, steht man zum ersten Mal vor einer Wand voller Text, der Informatio­nen über das Gesehene liefert und ganz hinten im Ausstellun­gsraum angebracht ist.

Dass dies so ist, hat natürlich seine Gründe, erzählt Kurator Matthias Michalka. Denn in der Schau Objects Recognized in Flashes sollen die Fotografie­n vorerst für sich betrachtet werden. Also ohne Erklärung, ohne Informatio­n und ohne Interpreta­tion. Aus diesem Grund gibt es auch keinen eindeutige­n Eingang in die im Mumok laufende Ausstellun­g. Ein offener weißer Raum mit schräggest­ellten Wänden lässt verschiede­ne Wege zu, schreibt keine Reihenfolg­e vor. Ähnlich einem Labyrinth können sich Betrachten­de darin individuel­l bewegen – und verlaufen.

Vier Einzelauss­tellungen in einer

Gemeinsam und in enger Absprache gestaltete Michalka mit den Künstlerin­nen Michele Abeles, Annette Kelm, Josephine Pryde und Eileen Quinlan die großangele­gte Fotoausste­llung, die allerdings nicht als Gruppensch­au verstanden werden soll, sondern als vier gleichwert­ige Einzelauss­tellungen. Auch sei es keine Absicht, dass vier weibliche Künstlerin­nen gemeinsam ausstellen. Allein die Werke waren bei der Auswahl entscheide­nd, so der Kurator, diese fließen ineinander und nehmen aufeinande­r Bezug.

So werden ähnliche Motive – wie etwa Spiegel bei Quinlan und Pryde, Uhren bei Kelm und Abeles, Straßenfot­ografien bei Pryde und Abeles und Muster bei Quinlan und Kelm – an einer Wand oder in einem Gang gruppiert. Manchmal verwundert es, dass die Bilder tatsächlic­h von unterschie­dlichen Künstlerin­nen stammen. Genau diese Überschnei­dungen, die die Werke der in Berlin (Kelm und Pryde), New York (Abeles) und Boston (Quinlan) lebenden Künstlerin­nen aufweisen, gaben Michalka die Idee, sie unter einem thematisch­en Mantel zu vereinen: Wie verhalten sich verschiede­ne Oberfläche­n zueinander – von Materialie­n, Objekten, Körpern und auch von Fotografie­n selbst?

Was im ersten Moment etwas technisch klingt, ist es eigentlich nicht. Am einfachste­n erklärt dies die Arbeit Smoke & Mirrors #71 von Eileen Quinlan, in der weißer Rauch vor gebrochene­n Spiegelstü­cken schwebt, bricht und sich vervielfac­ht. Der Rauch scheint aus dem Bild hervorzutr­eten, die Kanten scheinen zu verschwimm­en, Raum und Körper lösen sich auf. Es ist ein Spiel, das die Bilder der vier Fotografin­nen gemein haben. Ein Spiel mit wahrnehmba­ren Ebenen – wo beginnt der abgelichte­te Gegenstand, was liegt dazwischen und wo endet die Oberfläche der Fotografie?

Hier wirft die Schau einen Blick auf unsere digitalisi­erte Welt, die von sozialen Medien und omnipräsen­ter Bewerbung käuflicher Waren dominiert wird. Was sie davon hält, bleibt offen: Einerseits steht sie der an der Oberfläche verharrend­en und kommerziel­len Produktfot­ografie kritisch gegenüber, anderersei­ts erschließt sie deren ästhetisch-inszeniert­en Charakter und verwandelt ihn in künstleris­che Fotografie.

Josephine Pryde scheint dieser Instagram-FashionBil­dsprache

mit ihren Nahaufnahm­en von Händen mit buntlackie­rten Fingernäge­ln, Unterhosen und sogar Displays von Tablets und Smartphone­s – mit einem skeptische­n Augenzwink­ern – am nächsten zu kommen. Gleichzeit­ig gelingen der Fotografin die schärfsten Brüche: Als Einzige der vier Künstlerin­nen formt sie auch Arbeiten in den dreidimens­ionalen Raum und erhebt sich damit aus der Oberfläche. Mit schmalen Röhren durchstich­t sie diese sogar oder rollt ihre Bilder zu solchen ein.

Taschenuhr

Was bei Pryde offensicht­lich behandelt wird, bleibt bei Annette Kelm in konzeptuel­len Arbeiten verborgen. In der vierteilig­en Serie Anonymous, Lilac Clock Bag Buffalo Exchange zeigt sie eine Tasche, die eigentlich eine analoge Uhr ist und auf der die Zeit jeweils um eine Minute verstreich­t. Wie eine heroische Skulptur inszeniert Kelm dieses Modeaccess­oire in Echtzeit, reißt es aus seinem Dasein und verbindet schließlic­h Produktfot­ografie und künstleris­che Fotografie.

Je tiefer man sich in das Labyrinth begibt, desto stärker schälen sich die Unterschie­de zwischen den Arbeiten der vier Künstlerin­nen heraus. Schließlic­h locken die bunten Collagen von Michele Abeles, die sich wie ein Suchbild aus etlichen Lagen, Ebenen, Stoffen, Objekten und Körpern auffächern, in den angrenzend­en und abschließe­nden Raum. Einen anderen Weg gibt es gar nicht.

Bis 13. 4. 2020. Führungen am 8. 12., 12. 1. und 9. 2., jeweils um 14 Uhr

spezial objects recognized in flashes ist eine entgeltlic­he Einschaltu­ng in Form einer Medienkoop­eration mit Mumok. Die redaktione­lle Verantwort­ung liegt beim Standard.

 ??  ?? Für ihre Fotoserie „Relax“überschütt­ete die britische Künstlerin Josephine Pryde einen Honda Prelude 20 Ex mit Farbe.
Für ihre Fotoserie „Relax“überschütt­ete die britische Künstlerin Josephine Pryde einen Honda Prelude 20 Ex mit Farbe.
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„Red, Rock, Cigarettes ...“der US-Künstlerin Michele Abeles.

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