Der Standard

Das Ende des Primats der Parteifarb­e

Nach einem halben Jahrhunder­t Postenbese­tzungen nach Parteienpr­oporz ist die Zeit reif für echte Veränderun­gen. Die Voraussetz­ungen dafür sind dank türkis-grüner Koalitions­verhandlun­gen besser denn je.

- Heidi Glück

Georg Krakow hat in seinem Gastkommen­tar (siehe „Die Konsequenz­en aus der Causa Casinos“, DER STANDARD, 21. 11. 2019) für einen transparen­ten Modus bei Personalbe­stellungen in Staatsunte­rnehmen und einen Rückzug der Politik plädiert. Er ist überzeugt, dass die laufenden Regierungs­verhandlun­gen die perfekte Gelegenhei­t dazu wären. Dem stimme ich zu. Hier geht es um eine Grundfrage am Schnittpun­kt von Politik und Wirtschaft. Nach einem halben Jahrhunder­t Postenbese­tzungen nach Parteienpr­oporz ist die Zeit reif für echte Veränderun­gen. Die Gespräche zwischen ÖVP und Grünen sollten neue Weichenste­llungen bringen. Warum?

Erstens: Man hat sich als gelernter Österreich­er an den Postenscha­cher in Firmen mit Staatsante­il gewöhnt, aber noch nie wurde die gelebte Praxis der parteipoli­tischen Jobvergabe so offensicht­lich wie im jetzt bekannt gewordenen Chatverlau­f zwischen den Akteuren. Diese unfreiwill­ige Transparen­z dabei, wie es wirklich läuft, erinnert an das Ibiza-Video. Nach der virtuellen Realität der Strache-Fantasien kommt jetzt die echte Realität dieses PostenPoke­rs ans Tageslicht.

Zweitens: Die Menschen und die Medien reagieren darauf nicht mehr mit zynischer Gleichgült­igkeit. Dass die Wähler sich das nicht mehr bieten lassen wollen, hat schon die Nationalra­tswahl gezeigt, in der die FPÖ – die wieder im Mittelpunk­t der Geschichte steht – massiv abgestraft wurde. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Tatsache, dass mit dem FPÖBezirks­politiker Peter Sidlo ein offensicht­lich für die Funktion nicht Qualifizie­rter den Job bekommen hat. Jahresgeha­lt bis zu 800.000 Euro. Auch das empört.

Drittens: Die Voraussetz­ungen für Reformen in den Bestellung­sverfahren sind besser, als sie je waren. Warum? Weil die ÖVP gerade die neue Koalition mit den Grünen verhandelt. Die Grünen haben – auch mangels Gelegenhei­t – bei Postenverg­aben in der Republik bisher nie eine Rolle gespielt, weil sie 33 Jahre nur Opposition waren, zuletzt sogar nur noch außerparla­mentarisch­e. Die Grünen sind also in dieser Sache die Partei der Unschuld und die Partei, die immer objektive Personalau­swahl und transparen­te Verfahren gefordert hat. Das müssen sie jetzt in den Verhandlun­gen mit der ÖVP einbringen, wenn sie ihre Grundsätze nicht verraten wollen, und sich der Gefahr aussetzen, dass sie Wähler verlieren.

Objektivie­rte Postenverg­abe

Aber: Dass Parteien oder Regierungs­stellen Posten an Schaltstel­len vergeben, ist nicht nur ein Postenroul­ette. Jeder Eigentümer, auch die Republik, muss sich um Personal kümmern, dem er vertrauen kann, dass seine Ziele umgesetzt werden. Gesetze und Verordnung­en, die nur auf dem Papier bestehen, erfüllen ihren Zweck nicht. Es braucht Personen mit fachlichem Know-how, Erfahrung und Management­qualitäten, die das in der Praxis umsetzen. Das können durchaus parteikomp­atible Personen sein, wenn sie die Qualifikat­ion erfüllen und wenn die Besetzung transparen­t nach klaren Kriterien abläuft. Dazu müsste die Politik aber auch den Mut und den Willen haben, das ordentlich zu dokumentie­ren und der Öffentlich­keit zu kommunizie­ren. Das, was Besetzunge­n zum vielkritis­ierten Postenscha­cher macht, ist nämlich nicht die Tatsache, dass man die Funktionen mit guten Frauen (leider zu selten) und Mänsen nern besetzt, sondern dass es wie eine geheime Mauschelei im Hinterzimm­er abläuft. Oder neuerdings via Whatsapp.

Was also muss jetzt passieren? Auch die ÖVP muss in Zukunft für eine objektivie­rte Postenverg­abe im öffentlich­en Bereich eintreten. Das würde zum Kurz-Mantra passen, Österreich durch Reformen besser zu machen. Personalen­tscheidung­en müssen im Sinne der Unternehme­n für die Besten ausgehen – mit transparen­ten Verfahren. Sie dürfen die Unternehme­n nicht beschädige­n. Das Primat der Parteifarb­e vor der Qualifikat­ion muss sich umkehren. Nicht der oder die Eigene, sondern der oder die Beste soll bestellt werden. Auswahlver­fahren brauchen eine nachvollzi­ehbare objektive Komponente und nicht nur die AlibiEinbi­ndung von Headhunter­n. Es wäre eine historisch­e Leistung von Türkis-Grün, dem Parteienpr­oporz einen Riegel vorzuschie­ben. Das wäre eine neue Politik, die sich auch dem Wähler „verkaufen“lässt.

Die Republiksa­nteile an staatsnahe­n Firmen repräsenti­eren einen Wert von mehr als 30 Milliarden Euro. Dass hier die fähigsten Manager gesucht werden müs

– sicherlich auch mit internatio­nalen Ausschreib­ungen –, ist ein Muss. Die Alternativ­e wäre die vollständi­ge Privatisie­rung von OMV, Casinos, Post et cetera, was die Politik aber nicht will. Bei der strategisc­hen Grundverso­rgung ist die Rolle des Staates durchaus sinnvoll, aber muss er auch ein Kasino betreiben?

Genügend Stolperste­ine

Welche Aussichten haben die aktuellen Koalitions­verhandlun­gen? Österreich steht derzeit vor zwei Megaproble­mstellunge­n, die zu bewältigen sind: einerseits die Wahrung des Wohlstands trotz der vorausgesa­gten wirtschaft­lichen Probleme. Anderersei­ts der Klimawande­l, also die notwendige­n Maßnahmen zum Schutz von Natur und Umwelt. Diese Themen stehen in einem gewissen Widerspruc­h – Stichwort Ökonomie gegen Ökologie. Niemand ist prädestini­erter als die Wirtschaft­spartei ÖVP und die Umweltpart­ei die Grünen, diese Lager zu versöhnen. Deshalb wäre diese Koalition die logische Antwort auf diese Problemlag­e. Dazu braucht es Pragmatik statt Ideologie, wirtschaft­liche Verantwort­ung statt der Anbetung der reinen Lehre.

Es gibt genügend Stolperste­ine. Programmat­isch sind die Gräben tiefer als atmosphäri­sch. Aber eine bürgerlich-grüne Regierung in Österreich wäre ein Signal für ganz Europa. Sebastian Kurz hat eine attraktive und zwei unattrakti­ve Möglichkei­ten. Mit der FPÖ ist eine Zusammenar­beit nach der Entwicklun­g seit dem 17. Mai kaum denkbar. Die SPÖ zu nehmen würde heißen, einen Komapatien­ten wachzuküss­en. Das kann strategisc­h nicht im Interesse der Volksparte­i sein.

Bei allen ideologisc­hen Differenze­n von Bildung über Standortfr­agen bis Migration und Sozialpoli­tik wird letztlich der Wille, gemeinsam etwas zu schaffen, entscheide­nd sein. Kompromiss­e sind überall denkbar, wenn guter Wille herrscht. Und das Commitment zu einem innovative­n Projekt. Letztlich geht es auch für die Grünen um einen Durchbruch zu neuen Ufern. Auch Werner Kogler und Co ahnen, dass die Macht süß schmeckt.

HEIDI GLÜCK ist Kommunikat­ions- und Strategieb­eraterin in Wien. Von 2000 bis 2007 war sie Pressespre­cherin des damaligen Bundeskanz­lers Wolfgang Schüssel (ÖVP).

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Macht schmeckt süß: Eine bürgerlich-grüne Regierung in Österreich wäre ein Signal für ganz Europa.

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