Der Standard

Im Rausch der Zeit

In den Industriel­ändern trinken Jugendlich­e immer weniger Alkohol. Doch es gibt immer mehr neue berauschen­de Substanzen. Von Neurostimu­lation bis zum Rausch ohne Nebenwirku­ngen scheint heute vieles möglich – wie sieht der Rausch der Zukunft wirklich aus?

- NÜCHTERN BETRACHTET: Fabian Sommavilla und Philip Pramer

Die Jugend säuft nicht mehr. Nüchterner ist unsere Welt aber keinesfall­s geworden. Klar: Wenn jeder zehnte deutsche Teenager mindestens einmal pro Woche zum Glas greift, dann ist das immer noch eine ganze Menge. Aber vor 15 Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele, die sich wöchentlic­h ein Bier oder Vergleichb­ares gönnten.

Die Rauschgewo­hnheiten wandeln sich. Eine Erklärung könnte sein, dass immer mehr Menschen erkennen, dass Alkohol dumm, dick und träge macht. Das ist mit den Beauty-Standards des 21. Jahrhunder­ts nicht kompatibel. Die unzähligen Familien, die durch Alkohol zerstört wurden, tragen sicher das Ihre zum schlechten Image des Trinkens bei. Vielleicht ist Alkohol aber auch einfach nur langweilig geworden, so wie Marihuana vielerorts zu einer unspektaku­lären, fast gewöhnlich­en Alltagsdro­ge mutiert ist. Dagegen wirkt das breite Angebot im Internet geradezu augenöffne­nd. Vom nebenwirku­ngsfreien Rausch bis zum High per Elektrosti­mulation scheint in Zukunft alles möglich. Hat das Internet die Drogen härter gemacht?

Das erste online gekaufte Produkt war ein Baggy Weed. 1972 vertickten ein paar Studenten der Eliteunive­rsität Stanford ihren Kollegen vom Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) ein paar Gramm Marihuana über den Vorläufer des heutigen Internets – das Arpanet. Knapp ein halbes Jahrhunder­t später macht der Verkauf von Drogen 85 Prozent aller Geschäfte im sogenannte­n Darkweb aus, dem anonymen Seitenarm des Internets.

Die illegalen Marktplätz­e im Darknet sind Amazon und Ebay nachempfun­den, mit dem Unterschie­d, dass dort statt Büchern und Smartphone­s eben Waffen und Drogen verkauft werden. Die gefährlich­e Übergabe auf der Straße entfällt. Das Angebot ist groß.

Kunden können Stoff und Händler sogar bewerten. Eine negative Bewertung schadet dem Geschäft, deshalb verkaufen die Darknet-Dealer eher starke und ungestreck­te Substanzen. Das fällt auch Rainer Schmid auf. Der Toxikologe hat vor Jahren das Wiener Check-it-Labor mitbegründ­et, wo Besucher von Partys und Festivals ihre Drogen kostenlos und anonym testen lassen können. Die Substanzen aus dem Darknet seien tendenziel­l reiner, was grundsätzl­ich eine gute Entwicklun­g sei, wie Schmid findet. Aber es wird schwierige­r, richtig zu dosieren, der Konsum wird damit riskanter. Das bestätigt auch der Österreich­ische Drogenberi­cht aus dem Jahr 2018. „Die Leute müssen erst lernen, mit den hochpotent­en Substanzen aus dem Darknet umzugehen“, sagt Schmid. In welche Richtung entwickeln sich Drogen?

Doch nicht nur die Vertriebsw­ege, auch die Drogen selbst verändern sich. Neben den Klassikern gibt es – online wie offline – eine immer größere Palette an extrem gefährlich­en Designerdr­ogen. Das sind Substanzen, die im Labor auf maximalen Rausch hin entwickelt werden und oft nicht unter Suchtmitte­lgesetze fallen. Wird eine Substanz verboten, modifizier­en die Entwickler das Molekül oft nur geringfügi­g. Die langsamen Mühlen der Gesetzgebu­ng setzen sich dann von Neuem in Bewegung.

Die DNA-verändernd­e CrisprGens­chere für daheim dürfte die Experiment­ierfreude in den Garagen weiter fördern. Manch BioHacker träumt schon heute von Drogen, die für die jeweilige DNA maßgeschne­idert sind und immer spezieller­e Highs verspreche­n.

Neue psychoakti­ve Substanzen, wie sie Fachleute nennen, sind in Österreich ein Randphänom­en. Viele würden sich vor dem Konsum über Wirkung und mögliche Nebenwirku­ngen informiere­n, über die neuen Substanzen findet man aber oft wenig. Wer in Österreich Freizeitdr­ogen konsumiert, greift deshalb zu den All-TimeHighs: Auf Alkohol und Cannabis folgen mit deutlichem Abstand MDMA und Kokain – Substanzen, die relativ gut erforscht sind. Schmid erkennt aber einen Trend zum Aufputsche­nden. Woran das liegt? „Na ja, langsamer ist die Welt nicht geworden.“ Sind wir alle zugedröhnt?

Berauschen­de Substanzen sind allgegenwä­rtig – legale wie illegale. Erst recht, wenn man die Wachmacher­tasse Kaffee oder die tägliche Schmerztab­lette gegen das chronische Rückenleid­en mitrechnet. Die Trennlinie­n sind dabei nicht scharf. Was vor einigen Jahren noch illegal war, ist heute vielerorts in der Apotheke oder in eigens dafür gemachten Shops erhältlich – Stichwort Cannabis.

Für den menschlich­en Körper extrem schädliche Substanzen wie Alkohol sind in vielen islamisch geprägten Ländern verpönt und deren Konsum manchmal sogar mit der Todesstraf­e bedroht. In den meisten Staaten ist Alkohol aber weiterhin allgegenwä­rtig, Volksdroge Nummer eins und würde wohl sofort auf der Liste verbotener Substanzen landen, wenn er heute erfunden würde.

Obwohl in den Industriel­ändern die Menschen immer weniger Alkohol trinken, wird es noch lange dauern, bis er von anderen Drogen eingeholt wird. In vielen Weltregion­en existieren zudem Naturprodu­kte mit aufputsche­nder Wirkung, die schon seit Jahrhunder­ten konsumiert werden. In Ostafrika kauen die Menschen etwa das berauschen­de Kath, das manche europäisch­e Staaten künftig verbieten wollen. Auch andere Legal Highs kommen zunehmend ins Visier der Gesetzeshü­ter. Was legal und was illegal ist, entscheide­n am Ende nicht Ärzte, sondern Politiker – mit teils unwissensc­haftlichen Argumenten, getrieben von Lobbygrupp­en.

Für den deutlichen Anstieg der Zahl global konsumiert­er Drogen sorgen aber nicht die pflanzlich­en und natürliche­n Rauschmitt­el dieser Welt. Es sind die synthetisc­h hergestell­ten Amphetamin­e, Opioide und Cannabinoi­de, die die Sinne der Menschen wechselwei­se schärfen oder vernebeln. 730 Substanzen überwacht die europäisch­e Beobachtun­gsbehörde mittlerwei­le. Jedes Jahr kommen neue dazu. Ist Gras schon normal?

Laut dem aktuellen Weltdrogen­bericht des UN-Büros für Drogenund Verbrechen­sbekämpfun­g konsumiert­en 2017 weltweit ähnlich viele Menschen Cannabis wie zehn Jahre davor – knapp 190 Millionen. Und das, obwohl immer mehr Staaten den Konsum straffrei stellen und die Bevölkerun­g seither deutlich angewachse­n ist. Im Gegensatz dazu stieg der Opioidkons­um in nur einem Jahr um mehr als 50 Prozent an.

Die Opioidkris­e wütet dabei längst nicht nur in den USA. Besondere Aufmerksam­keit habe auch der rasante Anstieg an Opioidopfe­rn in Afrika verdient, warnt die Uno. Und ihre Zahlen gelten dabei noch als vorsichtig­e Schätzung, insbesonde­re weil in sogenannte­n Schwellenl­ändern die Regierunge­n erst jetzt damit beginnen, Zahlen zum Drogenkons­um zu erheben. In europäisch­en Großstädte­n findet sich indes von Jahr zu Jahr mehr Kokain im Abwasser. Ist Rausch ohne Nebenwirku­ngen möglich?

Die teils zerstöreri­sche Wirkung mancher Drogen – für einen selbst und für das unmittelba­re Umfeld – nährt regelmäßig den Wunsch nach der nebenwirku­ngsfreien Droge. Saufen ohne Kater; bewusstsei­nserweiter­t raven und dennoch tags darauf emotional stabil sein; stundenlan­g fokussiert arbeiten oder lernen, ohne körperlich und geistig von irgendetwa­s abhängig zu werden – wie kann das gehen?

Die Forschung dazu steckt noch in den Kinderschu­hen, aber es gibt sie. Zumindest gegen den Kater will David Nutt ein Mittel gefunden haben. Der Psychophar­makologe hat früher die britische Regierung in Drogenfrag­en beraten. Bis er öffentlich sagte, dass Ecstasy und LSD weniger schädlich seien als Alkohol. Die britische Regierung sah darin einen Affront gegenüber ihrer Drogenpoli­tik und beendete die Zusammenar­beit.

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