Im Rausch der Zeit
In den Industrieländern trinken Jugendliche immer weniger Alkohol. Doch es gibt immer mehr neue berauschende Substanzen. Von Neurostimulation bis zum Rausch ohne Nebenwirkungen scheint heute vieles möglich – wie sieht der Rausch der Zukunft wirklich aus?
Die Jugend säuft nicht mehr. Nüchterner ist unsere Welt aber keinesfalls geworden. Klar: Wenn jeder zehnte deutsche Teenager mindestens einmal pro Woche zum Glas greift, dann ist das immer noch eine ganze Menge. Aber vor 15 Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele, die sich wöchentlich ein Bier oder Vergleichbares gönnten.
Die Rauschgewohnheiten wandeln sich. Eine Erklärung könnte sein, dass immer mehr Menschen erkennen, dass Alkohol dumm, dick und träge macht. Das ist mit den Beauty-Standards des 21. Jahrhunderts nicht kompatibel. Die unzähligen Familien, die durch Alkohol zerstört wurden, tragen sicher das Ihre zum schlechten Image des Trinkens bei. Vielleicht ist Alkohol aber auch einfach nur langweilig geworden, so wie Marihuana vielerorts zu einer unspektakulären, fast gewöhnlichen Alltagsdroge mutiert ist. Dagegen wirkt das breite Angebot im Internet geradezu augenöffnend. Vom nebenwirkungsfreien Rausch bis zum High per Elektrostimulation scheint in Zukunft alles möglich. Hat das Internet die Drogen härter gemacht?
Das erste online gekaufte Produkt war ein Baggy Weed. 1972 vertickten ein paar Studenten der Eliteuniversität Stanford ihren Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein paar Gramm Marihuana über den Vorläufer des heutigen Internets – das Arpanet. Knapp ein halbes Jahrhundert später macht der Verkauf von Drogen 85 Prozent aller Geschäfte im sogenannten Darkweb aus, dem anonymen Seitenarm des Internets.
Die illegalen Marktplätze im Darknet sind Amazon und Ebay nachempfunden, mit dem Unterschied, dass dort statt Büchern und Smartphones eben Waffen und Drogen verkauft werden. Die gefährliche Übergabe auf der Straße entfällt. Das Angebot ist groß.
Kunden können Stoff und Händler sogar bewerten. Eine negative Bewertung schadet dem Geschäft, deshalb verkaufen die Darknet-Dealer eher starke und ungestreckte Substanzen. Das fällt auch Rainer Schmid auf. Der Toxikologe hat vor Jahren das Wiener Check-it-Labor mitbegründet, wo Besucher von Partys und Festivals ihre Drogen kostenlos und anonym testen lassen können. Die Substanzen aus dem Darknet seien tendenziell reiner, was grundsätzlich eine gute Entwicklung sei, wie Schmid findet. Aber es wird schwieriger, richtig zu dosieren, der Konsum wird damit riskanter. Das bestätigt auch der Österreichische Drogenbericht aus dem Jahr 2018. „Die Leute müssen erst lernen, mit den hochpotenten Substanzen aus dem Darknet umzugehen“, sagt Schmid. In welche Richtung entwickeln sich Drogen?
Doch nicht nur die Vertriebswege, auch die Drogen selbst verändern sich. Neben den Klassikern gibt es – online wie offline – eine immer größere Palette an extrem gefährlichen Designerdrogen. Das sind Substanzen, die im Labor auf maximalen Rausch hin entwickelt werden und oft nicht unter Suchtmittelgesetze fallen. Wird eine Substanz verboten, modifizieren die Entwickler das Molekül oft nur geringfügig. Die langsamen Mühlen der Gesetzgebung setzen sich dann von Neuem in Bewegung.
Die DNA-verändernde CrisprGenschere für daheim dürfte die Experimentierfreude in den Garagen weiter fördern. Manch BioHacker träumt schon heute von Drogen, die für die jeweilige DNA maßgeschneidert sind und immer speziellere Highs versprechen.
Neue psychoaktive Substanzen, wie sie Fachleute nennen, sind in Österreich ein Randphänomen. Viele würden sich vor dem Konsum über Wirkung und mögliche Nebenwirkungen informieren, über die neuen Substanzen findet man aber oft wenig. Wer in Österreich Freizeitdrogen konsumiert, greift deshalb zu den All-TimeHighs: Auf Alkohol und Cannabis folgen mit deutlichem Abstand MDMA und Kokain – Substanzen, die relativ gut erforscht sind. Schmid erkennt aber einen Trend zum Aufputschenden. Woran das liegt? „Na ja, langsamer ist die Welt nicht geworden.“ Sind wir alle zugedröhnt?
Berauschende Substanzen sind allgegenwärtig – legale wie illegale. Erst recht, wenn man die Wachmachertasse Kaffee oder die tägliche Schmerztablette gegen das chronische Rückenleiden mitrechnet. Die Trennlinien sind dabei nicht scharf. Was vor einigen Jahren noch illegal war, ist heute vielerorts in der Apotheke oder in eigens dafür gemachten Shops erhältlich – Stichwort Cannabis.
Für den menschlichen Körper extrem schädliche Substanzen wie Alkohol sind in vielen islamisch geprägten Ländern verpönt und deren Konsum manchmal sogar mit der Todesstrafe bedroht. In den meisten Staaten ist Alkohol aber weiterhin allgegenwärtig, Volksdroge Nummer eins und würde wohl sofort auf der Liste verbotener Substanzen landen, wenn er heute erfunden würde.
Obwohl in den Industrieländern die Menschen immer weniger Alkohol trinken, wird es noch lange dauern, bis er von anderen Drogen eingeholt wird. In vielen Weltregionen existieren zudem Naturprodukte mit aufputschender Wirkung, die schon seit Jahrhunderten konsumiert werden. In Ostafrika kauen die Menschen etwa das berauschende Kath, das manche europäische Staaten künftig verbieten wollen. Auch andere Legal Highs kommen zunehmend ins Visier der Gesetzeshüter. Was legal und was illegal ist, entscheiden am Ende nicht Ärzte, sondern Politiker – mit teils unwissenschaftlichen Argumenten, getrieben von Lobbygruppen.
Für den deutlichen Anstieg der Zahl global konsumierter Drogen sorgen aber nicht die pflanzlichen und natürlichen Rauschmittel dieser Welt. Es sind die synthetisch hergestellten Amphetamine, Opioide und Cannabinoide, die die Sinne der Menschen wechselweise schärfen oder vernebeln. 730 Substanzen überwacht die europäische Beobachtungsbehörde mittlerweile. Jedes Jahr kommen neue dazu. Ist Gras schon normal?
Laut dem aktuellen Weltdrogenbericht des UN-Büros für Drogenund Verbrechensbekämpfung konsumierten 2017 weltweit ähnlich viele Menschen Cannabis wie zehn Jahre davor – knapp 190 Millionen. Und das, obwohl immer mehr Staaten den Konsum straffrei stellen und die Bevölkerung seither deutlich angewachsen ist. Im Gegensatz dazu stieg der Opioidkonsum in nur einem Jahr um mehr als 50 Prozent an.
Die Opioidkrise wütet dabei längst nicht nur in den USA. Besondere Aufmerksamkeit habe auch der rasante Anstieg an Opioidopfern in Afrika verdient, warnt die Uno. Und ihre Zahlen gelten dabei noch als vorsichtige Schätzung, insbesondere weil in sogenannten Schwellenländern die Regierungen erst jetzt damit beginnen, Zahlen zum Drogenkonsum zu erheben. In europäischen Großstädten findet sich indes von Jahr zu Jahr mehr Kokain im Abwasser. Ist Rausch ohne Nebenwirkungen möglich?
Die teils zerstörerische Wirkung mancher Drogen – für einen selbst und für das unmittelbare Umfeld – nährt regelmäßig den Wunsch nach der nebenwirkungsfreien Droge. Saufen ohne Kater; bewusstseinserweitert raven und dennoch tags darauf emotional stabil sein; stundenlang fokussiert arbeiten oder lernen, ohne körperlich und geistig von irgendetwas abhängig zu werden – wie kann das gehen?
Die Forschung dazu steckt noch in den Kinderschuhen, aber es gibt sie. Zumindest gegen den Kater will David Nutt ein Mittel gefunden haben. Der Psychopharmakologe hat früher die britische Regierung in Drogenfragen beraten. Bis er öffentlich sagte, dass Ecstasy und LSD weniger schädlich seien als Alkohol. Die britische Regierung sah darin einen Affront gegenüber ihrer Drogenpolitik und beendete die Zusammenarbeit.