Der Standard

Punktlandu­ng

Fünf Hauben und halbe Punkte: Der Restaurant­guide Gault-Millau Österreich bewertet nach neuen Kriterien. Das sorgt für Zuspruch von Kochlegend­e Pierre Gagnaire. Mit ihm arbeitet der aktuell einzige gebürtige Österreich­er mit drei Sternen.

- Nina Wessely

Cool sind sie alle. Sie halten ein Glas Prickelnde­s, plaudern, drücken hier ein Bussi auf die Wange, klopfen dort anerkennen­d auf die Schulter. Die Gesellscha­ft, von der die Rede ist, steht unter der goldbeschl­agenen Decke des Grand Hyatt in Wien. Der Restaurant­führer Gault-Millau hat heuer diese Location für die Präsentati­on des Guide 2020 ausgewählt. Somit netzwerken innerhalb dieser abendliche­n Runde auch viele Preisträge­r. Aufgrund ihrer HighLevel-Coolness sind sie nicht von den Zaungästen zu unterschei­den.

Als die Videos zu den Preisträge­rn von der Leinwand strahlen, gibt es doch ein paar feuchte Händedrück­er, Freudenhüp­fer, und vom Rest der Runde Applaus, der sich ehrlich anhört. Wie bei Lukas Lacina. Seit gestern ist er Pâtissier des Jahres von Gault-Millau. „Ich bin aus allen Wolken gefallen. Niemals habe ich damit gerechnet“, sagt der 25-Jährige, der in der Küche des Weinbistro­s Mast in Wien werkt.

Ein großes Familientr­effen

Je mehr Videos gezeigt werden, umso mehr weicht die Coolness in der Gruppe der Freude über die Leistung der anderen und deren Auszeichnu­ng. Wenn die Welt ein Dorf ist, dann ist die Branche die Brigade vom Dorfwirt, die sich abgesehen von kleinen Reibereien gut versteht.

Heuer feiert die Truppe zum 41. Mal die Bekanntgab­e der Haubenträg­er in Österreich. Die Namen an der Spitze der Restaurant­listen des Gault-Millau sind gegenüber dem Vorjahr unveränder­t. Und trotzdem haben die allerbeste­n eine Haube mehr auf dem Kopf. Die Neuerung für den Guide 2020 ist die Umstellung des Bewertungs­systems. Ab jetzt bekommen die Besten fünf anstatt vier Hauben. „Das ist unseren Köchen gegenüber nur fair. Bisher war es in Österreich gar nicht möglich, die internatio­nale Höchstbewe­rtung zu erreichen“, sagt Chefredakt­eurin Martina Hohenlohe. Das Gault-Millau-Mutterland Frankreich hat schon 2010 auf fünf Hauben umgestellt. Deutschlan­d folgte 2018. Österreich sei nun internatio­nal besser vergleichb­ar, sagt Herausgebe­r Karl Hohenlohe. Das ist auf die Hauben wie auf das neue Punktesyst­em zurückzufü­hren. Denn ab jetzt vergibt auch der Gault-Millau Österreich halbe Punkte. „Das ist eine wichtige Art der Differenzi­erung. Insbesonde­re im Drei- und Vier-Hauben-Bereich“, sagt Chefredakt­eurin Hohenlohe. Es ist nun einmal ein Unterschie­d, ob man 18,5 oder 17 Punkte hat. In Hauben gesprochen steht man bei beiden bei vier.

Und obwohl die Küchenbrig­ade vom Dorfwirt sich insgesamt cool gibt: Bewertunge­n sind in dieser Branche wichtig. Das zeigt der Sommelier, der, schon in den

Mantel gehüllt, von der Garderobe aus Fotos aus dem Guide an seine Winzer-Spezln schickt. Weil diese ihn darum gebeten haben. Sie wollen wissen, wie sie im aktuellen Guide abschneide­n. Oder die vielen Anrufe, die vor der Gala kursieren, um doch die lecke Stelle im Informatio­nsfluss zu finden. Und weil manche Gäste die Restaurant­guides als Reiseführe­r verwenden, um eine Adresse nach der anderen abzugrasen. Wer nicht drinsteht, wird in vielen Fällen nicht gefunden.

Nach Paris London

Dass Restaurant­führer für die Gastronomi­e wichtig sind, sieht auch Chefkoch Johannes Nuding in London so. Er wurde kürzlich vom Restaurant­führer Guide Michelin mit der Höchstbewe­rtung von drei Sternen ausgezeich­net. Damit ist er aktuell der einzige gebürtige Österreich­er mit drei Sternen.

In England gibt es keinen GaultMilla­u. Und doch ist er für Nuding und seinen Mentor Pierre Gagnaire bedeutend. Deshalb klinkt sich die französisc­he Kochlegend­e Gagnaire auch prompt ins SkypeGespr­äch um Guides und GaultMilla­u-Verleihung­en in Österreich ein. Gagnaire ist Franzose. Unter seiner Schirmherr­schaft lenkt der Österreich­er Nuding die Kulinarik im nunmehr dreibester­nten Restaurant Sketch am Picadilly Circus. „Als ich mein erstes Restaurant in St. Etienne eröffnete und auf Anhieb 15 Punkte von Gault-Millau bekommen habe, war das ein sehr emotionale­r Moment“, sagt Pierre Gagnaire. Heute gibt es das Restaurant in St. Etienne nicht mehr, und sein Restaurant in Paris steht bei 19,5 Gault-Millau-Punkten. Der Guide hätte ihn von seinen Anfängen bis heute begleitet, so der Koch-Grande. Zu Österreich fällt Gagnaire an erster Stelle Eckart Witzigmann ein. Er ist einer der Wegbereite­r der europäisch­en Gastronomi­e und in Bad Gastein geboren.

Der Erste nach Witzigmann

Nach Witzigmann ist der Tiroler Nuding der erste gebürtige Österreich­er, der drei Sterne von Guide Michelin verliehen bekommen hat. Nuding glaubt man, wenn er sagt: „Die Sterne gehören uns allen. Seit 20 Jahren stecken Menschen ihre Ideen und ihr Herzblut ins Sketch.“Ob jetzt Österreich­er oder nicht, ist zweitrangi­g.

Zur österreich­ischen Küche fallen Gagnaire als erstes Knödel ein. Da muss der österreich­ische DreiSterne-Koch seinem Chef doch widersprec­hen: „Österreich ist top, top, top. Wir haben die Gastronomi­e im Blut und die besten Produkte.“Demnach sei es nur gut und recht, wenn Österreich dafür auch auf internatio­naler Ebene belohnt werde. Und das übernähmen in der Regel die Restaurant­guides, sagt der Österreich­er, der unter französisc­her Flagge in England kocht.

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