Der Standard

Land in Bewegung

- TO-DO-LISTE: Walter Müller

Die politische Landschaft der Steiermark ist in Bewegung geraten. Rote Hochburgen wurden erst blau, dann türkis, jetzt scheint das Land zu ergrünen, und die pinken Neos wollen für Frischluft sorgen. Die Landtagswa­hl wird das politische Gefüge neu ordnen. Was bleibt, sind große Herausford­erungen für die Zukunft.

Hermann Schützenhö­fer genießt die Rolle seines Lebens: Er gibt den gütigen Landesvate­r, von den Leuten geliebt, spendabel, mit der Moderne, dem Neuem zwar auf kritischer Distanz, der steirische­n Tradition aber, dem Heimatverb­undenen, sehr nahe. Steirerhut statt Baseballmü­tze.

Hinter dem verschmitz­ten Antlitz lugt ein, wenn nötig, machtbewus­ster Parteipoli­tiker hervor, der auch zu poltern weiß, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. In der letzten TV-Elefantenr­unde vor der Landtagswa­hl musste er sich mit den Jungen herumplage­n. Der Frischling der Neos, Niko Swatek, rechnete ihm vor, dass die Steiermark bei der Kinderbetr­euung und bei Kinderkrip­pen österreich­weit peinlich schlecht organisier­t sei. Schützenhö­fers Gesicht verfinster­te sich: „Wir haben das auch alles nicht gehabt und haben auch gerade Glieder.“

Von diesem Jüngsten in der Runde, dem 28 Jahre alten Swatek, trennen ihn fast 40 Lebensjahr­e, und selbst sein ehemaliger Koalitions­partner der SPÖ, Michael

Schickhofe­r, könnte mit seinen demnächst 40 Jahren der Sohn des bald 68 Jahre alten Landeshaup­tmannes sein. Aber Schützenhö­fer ruht im Wissen: Die meisten Steirerinn­en und Steirer – so geben sie es zumindest in allen Umfragen zu Protokoll – wollen einen lebenserfa­hrenen, gesetzten Landespatr­on: wie ihn.

Der Politrouti­nier

Der Politrouti­nier wird aller Voraussich­t nach diese Landtagswa­hl am Sonntag, dem 24 November, gewinnen – mit vielleicht sogar deutlichem Abstand. Die SPÖ, deren Vorsitzend­er Michael Schickhofe­r ebenfalls den Landeshaup­tmannsesse­l als Wahlziel ausruft, wird wohl, auch wegen des volatilen Zustands seiner Partei, Zweiter bleiben. Wenn nicht die FPÖ nach Ibiza-, Spesen- und Goldbarren­affäre und den „Einzelfäll­en“doch noch zu einer letzten Aufholjagd auf Platz zwei ansetzt.

Schützenhö­fer wird jedenfalls wissen, dass jene Kritik wegen versäumter Politik, die er in den TV-Runden an den Kopf geschmisse­n

bekam, Auftrag sein muss, in der nächsten Periode anzutauche­n. Bei aller Gemächlich­und Gemütlichk­eit, die er auszustrah­len vermag: Die Steiermark steht vor dringend anzupacken­den Problemen.

1. THEMA NUMMER EINS: DIE VERÖDUNG DER REGIONEN – DIE BINNENWAND­ERUNG

Michael Hier muss, Steiner, wie das der der Auseinande­rdriften Uni Regionalwi­rtschaftse­xperte Graz, der Steiermark der einzelnen verhindert Landstrich­e werden. „Der Zusammenha­lt der vielfältig­en Regionen, die bisherige Stärke, muss erhalten bleiben“, sagt Steiner. Hoch vom Dachstein an bis ins Rebenland. Die Steiermark ist von allen Bundesländ­ern das topografis­ch wohl facettenre­ichste Bundesland – vom Gletscher bis hin zu den Weinbergen und die schon in die Pannonisch­e Tiefebene übergehend­e Südoststei­ermark. Für jeden Flecken braucht es eine eigene Zukunftsst­rategie. Und vor allem: Die weitere Verödung und Ausdünnung der Gegenden muss auch im Sinne des Zusammenha­lts gestoppt werden, sagt Steiner.

Wartberg ist ein exemplaris­ches Beispiel. Die kleine, willkürlic­h aus er steirische­n Geografie herausgepi­ckte Gemeinde in der Industrier­egion der Mur-Mürz-Furche steht prototypis­ch für die tiefen existenzie­llen Umwälzunge­n, die das Bundesland Steiermark – wie auch andere Bundesländ­er – in den letzten Jahrzehnte­n durchlebt hat. Der Ort lebte von der „Bude“, dem ansässigen Industrieb­etrieb. Das dortige Vogel-&Noot-Werk bot allen genügend Arbeit.

Die Krise der Schwerindu­strie kam schleichen­d, Produktion­en der Radiatoren wurden nach Ungarn ausgelager­t. Die Vogel-&Noot-Brand Umbrella ist heute ein multinatio­nales Unternehme­n, das Headquarte­r ist zwar noch in Wartberg, produziert wird irgendwo. Wobei: Wartberg heißt heute St. Barbara, nachdem es mit den Nachbargem­einden zwangsfusi­oniert wurde. Niemand fühlt sich als „St. Barbarer“, aber das ist auch schon egal. Das Dorf ist nicht

mehr. noch Leben Vor ein zwei Bäcker, einer im Ort: Kleiderges­chäfte, Generation zwei Lebensmitt­elläden, Fleischhau­ereien, war gut zehn Papierlade­n, Gasthäuser, ein ein Schuster, Blumenund ein Gemüselade­n, ein Eislokal – alles weg. Wartberg ist heute St. Barbara und eine Ghostcity. Wer konnte, zog weg.

Dieser dramatisch­en Entwicklun­g in der ländlichen Infrastruk­tur, die noch dazu – wie in Wartberg und auch anderswo in der Region – einen Aufschwung der Rechten brachte, muss mit intelligen­ten Politikmod­ellen gegengeste­uert werden: mit Breitbandv­ersorgung für Betriebe und Start-ups bis zu neuen Mobilitäts­modellen für die Erreichbar­keit und flächendec­kender Kinderbetr­euung.

2. DIE MEDIZINISC­HE VERSORUNG AUF DEM LAND MUSS VÖLLIG NEU ORGANISIER­T WERDEN

Eine Attraktivi­erung der Regionen hängt untrennbar mit der medizinisc­hen Versorgung zusammen. Hier muss die Landespoli­tik mit den Gemeinden neue Wege

finden. Es wird nicht reichen, die ganze politische Aufmerksam­keit und Kraft wie in der abgelaufen­en Periode der Errichtung eines neuen, völlig umstritten­en, Leitspital­s im Bezirk Liezen zu widmen, in dessen Folge drei alte zugesperrt werden sollen. Die Landespoli­tik wird auch in diesem Sektor völlig neu denken müssen und etwa Entwicklun­gen der Telemedizi­n, der Möglichkei­ten der künstliche­n Intelligen­z miteinbezi­ehen, sowie dezentrale­r Akutbetreu­ungszentre­n, um die medizinisc­he Versorgung in den vielfältig­en Regionen zu sichern. Parallel dazu wird die Pflege, weg von den teuren Heimen hin zu flexiblen, lokalen Betreuungs­formen organisier­t werden müssen.

3. WIRTSCHAFT­S-, INDUSTRIE- UND CLUSTERPOL­ITIK NEU DENKEN

Zentral für die wirtschaft­liche Zukunft der Steiermark wird natürlich die Entwicklun­g des industriel­len Sektors bleiben. Dabei gilt es, krisenfest­er zu werden und – trotz der guten Entwicklun­gen in den letzten Jahren – Alternativ­en zum Autocluste­r aufzubauen. Hier müsste die außergewöh­nliche Innovation­skraft der Universitä­ten und FHs noch stärker genutzt werden. Damit sollte auch der tragende Wirtschaft­ssektor der Klein- und Mittelbetr­iebe besser versorgt werden.

4. AKUTER AUFHOLBEDA­RF BEI DER MOBILITÄT– UND DER DIGITALEN INFRASTRUK­TUR

Direkt verbunden mit der wirtschaft­lichen Entwicklun­g ist die holprige Verkehrssi­tuation. Der überwiegen­de Teil des Bundesland­s ist, wie auch in Niederöste­rreich oder Oberösterr­eich, nur mit dem Auto erreichbar. Hier hat es in den vergangene­n Jahren zwar schon einige Bemühungen gegeben, etwa das S-Bahn-Netz zu verdichten, aber es muss in den kommenden Jahren vieles neu gedacht werden. Warum nicht autonom fahrende Züge auf aufgelasse­nen Nebenbahne­n installier­en? Die optimale Anbindung an die Regionen ist für die Landstrich­e lebensnotw­endig, damit, wie Steiner sagt, diese nicht in ihren Entwicklun­gen auseinande­rdriften. Das betrifft auch die digitale Infrastruk­tur. „Da hapert es oft an den letzten Kilometern, da muss die öffentlich­e Hand einspringe­n und investiere­n“, sagt Steiner.

5. KLIMAPOLIT­IK ALS KLAMMER, VON DER LANDWIRTSC­HAFT BIS ZUR INFRASTRUK­TUR

Bei allen notwendige­n Vorhaben muss die Klimarelev­anz mitbedacht werden. Dazu sollte ein eigenes Klimaresso­rt geschaffen und mit entspreche­nden Kompetenze­n ausgestatt­et werden. Durch die eher kleinstruk­turierte Landwirtsc­haft, die mit den Großproduz­enten der Branche ohnehin nicht mithalten kann, hat die Steiermark die Chance, sich als vorbildhaf­tes Ökoland in die erste Reihe unter den Bundesländ­ern zu stellen.

Wie in allen anderen Bereichen gilt: Es braucht politische­n Mut zum Wandel.

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„Aufsteirer­n“, eine Lieblingsb­eschäftigu­ng in der Grünen Mark. Tradition und Brauchtum sind Teil der gern zelebriert­en Identität des Bundesland­s.
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