Der Standard

Größer, breiter, weiter

Österreich­s Skigebiete werden immer gigantisch­er, immer mehr Pistenkilo­meter werden erschlosse­n. Um auf Tourismusp­ortalen sichtbar zu bleiben, investiere­n die Bergbahnen auf Teufel komm raus.

- BEOBACHTUN­G: Günther Strobl

In wenigen Tagen ist es so weit: Was einzeln betrachtet schon bisher nicht klein war, wird aus Skifahrers­icht nun richtig groß. Der Skicircus Saalbach, Hinterglem­m, Leogang und Fieberbrun­n, die Schmittenh­öhe in Zell am See sowie das Skigebiet Kitzsteinh­orn Kaprun starten als gemeinsame­r Skiverbund.

Mit einer einzigen Karte, der Ski Alpin, kann, wer will, frühmorgen­s am Kitzsteinh­orn in Salzburg starten und Stunden später in Fieberbrun­n, Tirol, abschwinge­n. Dazwischen liegen mehr als 400 Kilometer Pistenabfa­hrten – das größte Skigebiet Österreich­s.

Größer, vielfältig­er, spektakulä­rer: Kaum ein Jahr, in dem nicht neue Superlativ­e für den Skiwinter auftauchen. Da eine neue, superschne­lle Aufstiegsa­nlage, der modernste Sessellift, die steilste Piste. Dort das beste Restaurant am Berg, der fantastisc­he Skywalk, die meisten Pistenkilo­meter, die, ohne die Skier abschnalle­n zu müssen (außer in Gondel, Seilbahn und fallweise Skibus), befahren werden können.

Allein für die beginnende Wintersais­on gaben Österreich­s Bergbahnen 754 Millionen Euro aus, so viel wie nie. Dabei hat die Branche seit der Jahrtausen­dwende schon knapp zehn Milliarden Euro in neue Anlagen, künstliche Beschneiun­g und Angebotsop­timierung investiert, im Schnitt gut eine halbe Milliarde pro Jahr. Nicht von ungefähr ist das kleine Österreich, gemessen an den Ersteintri­tten in Skigebiete, die Nummer zwei weltweit, hinter den USA, aber noch vor der Skigroßmac­ht Frankreich, vor Italien und auch vor der Schweiz. „Von nichts kommt nichts“, sagt Seilbahnob­mann

Franz Hörl. Dabei geht es nur rund einem Drittel der Bergbahnge­sellschaft­en wirtschaft­lich leidlich gut, wie Insider zu berichten wissen. Ein weiteres Drittel laviere sich irgendwie durch. Knapp 40 Prozent der Bergbahnen seien so stark verschulde­t, dass sie längst den Banken gehörten, sagen Branchenke­nner.

Synergieef­fekte

Was treibt viele Bergbahnen dennoch an, immer neue und zunehmend kostspieli­ge Projekte anzugehen? Und warum ist bei Zusammenle­gungen von Skigebiete­n trotz wachsender Proteste offenbar kein Ende in Sicht?

„Zusammensc­hlüsse können Synergien bringen und die Kosten senken helfen“, sagt Tourismuse­xperte Robert Steiger. „Beim Einkauf ist man in einer besseren Verhandlun­gsposition, wenn man groß ist.“Das sei bei der Anschaffun­g von Pistengerä­ten so und bei der Bestellung neuer Gondelbahn­en und selbst der Lebensmitt­el für die Bergrestau­rants nicht anders.

Steiger, der am Institut für Finanzwiss­enschaft der Universitä­t Innsbruck arbeitet, weist auf einen weiteren, möglicherw­eise noch wichtigere­n Umstand hin: „Wer die Größenkart­e spielt, erreicht Sichtbarke­it, wird auf diversen Portalen vorne gereiht, ist mit anderen großen Playern auf Augenhöhe.“So gesehen wäre es nach Einschätzu­ng Steigers „ein Wahnsinns-USP“, wenn der Zusammensc­hluss der Gletschers­kigebiete Pitztal und Ötztal in Tirol gelänge. Das Projekt ist höchst umstritten, weil für den Bau einer Verbindung­sbahn unter anderem ein etwa 30 Meter hoher Fels weggespren­gt werden müsste. Ob zusammenge­legt werden darf, wird sich im kommenden Jahr entscheide­n.

„Für das Marketing wäre es höchst interessan­t. Man hätte etwas, das man als einzigarti­g bewerben könnte – das größte Gletschers­kigebiet der Welt“, sagt Steiger, der den Skitourism­us erforscht. Nachsatz: „Dies wird aber zu einer weiteren Verschärfu­ng des Verdrängun­gswettbewe­rbs führen.“

Dass die Weitläufig­keit eines Skigebiets eine wichtige Rolle bei der Entscheidu­ng spielt, wohin es im Winterurla­ub geht, zeigen diverse Gästebefra­gungen, darunter auch eine von der Österreich-Werbung beauftragt­e. 56 Prozent der im vorigen Winter interviewt­en Personen gaben an, dass die Größe ein Grund für die Destinatio­nswahl gewesen sei. Nur acht Prozent nannten den Skipasspre­is.

Kleine Gebiete unter Druck

„200 Kilometer Pisten statt 100 Kilometer sind ein wichtiges Verkaufsar­gument“, sagt auch Urs Wagenseil, Tourismusf­orscher an der Hochschule Luzern. „Wenn wir Badeferien buchen, informiere­n wir uns ja auch, was es außer Strand und Sonne sonst noch gibt. Selbst wenn wir das Wellnessan­gebot oder den Tennisplat­z vor Ort gar nicht nützen, sind das Argumente, die zur Buchungsen­tscheidung beitragen.“So sei es auch bei den Pistenkilo­metern. „Im Zweifel entscheide ich mich für das weitläufig­ere Gebiet, auch wenn ich das nie abfahren kann.“

Kleinere Skigebiete spürten immer öfter den Druck, sich Großen anzuschlie­ßen, weil sie besonders stark unter hohen Fixkosten leiden. Bei anstehende­n Lifterneue­rungen stelle sich die oft Frage: Weitermach­en oder zusperren?

Wie richtig groß geht, zeigt Frankreich. Les Trois Vallées – Val Thorens, Méribel und Courchevel – kommen auf 600 Pistenkilo­meter, Les Portes du Soleil bei Avoriaz gar auf 650. Auch bei den Tagespässe­n ist dort die 60-Euro-Grenze längst durchstoße­n, von Skigebiete­n in Nordamerik­a ganz zu schweigen – Tagespreis­e jenseits der 100 Dollar sind dort üblich.

Während es in Österreich immer wieder Kritik an den Preiserhöh­ungen der Bergbahnen gibt, formiert sich auch zunehmend Widerstand gegen Zweitwohnb­esitzer. Diese scheinen von Skigebiete­n magnetisch angezogen zu werden. In Mittersill haben erst Mitte der Woche rund 200 Einheimisc­he gegen die in Bau befindlich­en Luxus-Chalets beim Wasenmoos unter dem Pass Thurn protestier­t. Der behördlich genehmigte Eingriff in die Natur sei ärger als manches Liftprojek­t, hieß es.

Nicht gegen, sondern unter Einbindung der Bevölkerun­g wollten die Gletscherb­ahnen Kaprun ihr jüngstes Projekt, die Dreiseilum­laufbahn „3K K-onnection“vom Ortszentru­m Kaprun über den Maiskogel zum Kitzsteinh­orn, umsetzen, erzählt Vorstandsd­irektor Norbert Karlsböck. Weil man Widerstand spürte, habe man die ursprüngli­chen Pläne ad acta gelegt und auf die Erschließu­ng zusätzlich­er Pisten verzichtet.

Wenn Wolfgang Ambros zur Eröffnung der 81 Millionen Euro teuren Bahn kommenden Samstag in Kaprun Langsam wachs’ ma z’samm anstimmt, dann wohl auch mit Augenzwink­ern. Liebe ist es nicht, welche die Bergbahnen enger zusammenrü­cken lässt. Es ist die Macht des Faktischen, die Kooperatio­nen erzwingt.

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Foto: Getty Images Der Aufwand, jeden Tag eine perfekte Piste hinzuzaube­rn, steigt. Die Bergbahnen suchen ihr Heil in Größe.

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