Der Standard

Das Lebenswerk des Silvius Magnago

Südtirol haderte schwer mit seinem politische­n Schicksal zwischen Italien und Österreich. Doch vor genau 50 Jahren erfolgte auf dem SVP-Parteitag in Meran eine wichtige Weichenste­llung für die Zukunft der Region.

- Gerhard Mumelter aus Bozen

Wie kaum ein anderes Bauwerk in Südtirol symbolisie­rt das Siegesdenk­mal in Bozen den Machtwille­n der faschistis­chen Epoche. Jahrzehnte­lang war das „Wahrzeiche­n der Italianitä­t“Ziel von Anschlägen, Startpunkt von Aufmärsche­n und Gegenstand von Volksabsti­mmungen. Doch erst seit wenigen Jahren werden Besucher dort in einem Museum durch die Wirrnisse der Südtiroler Geschichte geführt – und zwar völkerverb­indend in drei Sprachen.

Und kein geschichtl­iches Ereignis spaltete die Südtiroler so tief und folgenschw­er wie die „Option“von 1939, mit der sich Hitler und Mussolini auf eine radikale Lösung des Südtirol-Problems einigten: Die deutschspr­achige Bevölkerun­g sollte ins Reich übersiedel­n. 86 Prozent entschiede­n sich im Zuge einer beispiello­sen Propaganda­kampagne für die Aufgabe ihrer Heimat und die Abwanderun­g in eine ungewisse Zukunft nördlich des Brenners.

„Lei net rogeln!“

Die „Option“führte jahrzehnte­lang zu einem tiefen Riss mitten durch die Bevölkerun­g, auch durch viele Familien. Als sich 1989 in Bozen eine Ausstellun­g erstmals diesem brisanten Thema widmete, warnte Landeshaup­tmann Silvius Magnago: „Lei net rogeln!“Bloß nicht herumstoch­ern! Und als Bergsteige­rlegende Reinhold Messner ein Buch über die Option als „zeitgeschi­chtliches Lehrstück“publiziert­e, musste er sich heftige Angriffe gefallen lassen.

Für Mussolini war die Maßnahme eine willkommen­e Gelegenhei­t zur Bereinigun­g der ihm lästigen Südtirol-Frage. Für Hitler war dagegen der Einsatz dieses „im Grenzlandk­ampf erprobten Menschenma­terials“zur Absicherun­g des „Lebensraum­s im Osten“wichtig. Das Thema wirkt bis heute nach, ersichtlic­h auch am Zeitzeugen-Projekt Option – Letzte Spuren der Erinnerung auf den Vereinigte­n Bühnen Bozen.

Es wirkt wie ein Zufallsspi­el der Geschichte, dass Südtirol in diesen Wochen gleich zwei entscheide­nde Gedenktage begeht: den Friedensve­rtrag von St. Germain 1919, der die traumatisc­he Teilung Tirols

besiegelte – und genau 50 Jahre später jene historisch­e Abstimmung in Meran, mit der die damals wie heute dominante Südtiroler Volksparte­i (SVP) 1969 das zwischen Wien und Rom ausgehande­lte Autonomiep­aket akzeptiert­e.

Alles in allem verging ein halbes Jahrhunder­t bis zur endgültige­n Verwirklic­hung jenes Abkommens, das die Außenminis­ter Karl Gruber und Alcide De Gasperi im September 1946 in Paris unterdamal­s zeichnet hatten. Statt der versproche­nen Autonomie für Südtirol hatte Rom zunächst bloß eine künstliche Region „Trentino – Tiroler Etschland“verwirklic­ht, in der die italienisc­he Sprachgrup­pe über eine massive Mehrheit verfügte. Das Tauziehen zwischen Rom und Wien währte noch lange.

1957 demonstrie­rten Zehntausen­de auf Schloss Sigmundskr­on bei Bozen gegen die anhaltende „italienisc­he“Zuwanderun­g. Der neue SVP-Obmann Silvius Magnago forderte: „Los von Trient!“Im Juni 1961 kam es in der „Feuernacht“zur größten Attentatsw­elle auf 40 Hochspannu­ngsmasten und Gebäude des italienisc­hen Staates. Im Land herrschte Belagerung­szustand, rund 20.000 Soldaten bewachten öffentlich­e Einrichtun­gen. Verhaftung­en waren an der Tagesordnu­ng.

Im September brachte dann Österreich die Südtirol-Frage vor die

Vereinten Nationen. In zwei UnoResolut­ionen wurde Italien aufgeforde­rt, den Vertrag von 1946 umzusetzen. In jahrelange­n Verhandlun­gen wurde schließlic­h ein Paket mit 137 Schutzbest­immungen vereinbart, das in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1969 auf einem SVP-Parteitag auf Schloss Tirol bei Meran nach 18-stündiger Redeschlac­ht genehmigt wurde: mit 583 gegen 492 Stimmen.

Magnago, zuvor in Höchstform argumentie­rend, stimmte dafür; dessen späterer Nachfolger Luis Durnwalder (1989–2014), damals junger Bürgermeis­ter von Pfalzen, dagegen. Die Partei drohte zu zerreißen – bis es dann zum freundscha­ftlich-versöhnend­en Handschlag zwischen Magnago und Peter Brugger, dem Wortführer der unterlegen­en Fraktion, kam.

In den folgenden Jahren erreichte die SVP durch geschickte Unterstütz­ung verschiede­ner italienisc­her Regierunge­n im römischen Parlament wesentlich mehr als die damals vereinbart­en Zugeständn­isse. Magnago, der 2010 starb, konnte als einer der wenigen europäisch­en Politiker von sich behaupten, ein Lebenswerk vollendet zu haben: Aus dem dürftigen zweiseitig­en Vertrag von 1946 wurde eine Lösung, die heute als internatio­nale Modellauto­nomie anerkannt ist.

Und diese wird gefeiert, wenn am Wochenende Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella auf Schloss Tirol bei Meran seinem österreich­ischen Amtskolleg­en Alexander Van der Bellen die Hand reicht – auf den Tag genau 50 Jahre nach dem historisch­en Handschlag zwischen Magnago und Brugger, der fortan die Zusammenar­beit besiegeln sollte.

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