Der Standard

Was der Staat bei Gewalt gegen Frauen übersieht

Erst seit 20 Jahren greift der Staat gegen häusliche Gewalt ein – meistens ist es dann allerdings schon zu spät. Wichtig wäre umfassende­res Handeln, denn toxische Männlichke­it durchzieht die gesamte Gesellscha­ft.

- Beate Hausbichle­r, Noura Maan

Gleich zwei brutale Fälle häuslicher Gewalt haben die Öffentlich­keit im Oktober schockiert: In Kitzbühel ermordete ein 25-Jähriger seine Ex-Freundin, ihren neuen Partner, ihre Eltern und ihren Bruder. Wenige Wochen später tötete ein 31-Jähriger in Kottingbru­nn seine Frau und die gemeinsame­n Kinder. Das Opfer in Kottingbru­nn wollte sich trennen, die Frau in Kitzbühel hatte sich vor wenigen Monaten getrennt – das bestätigt einmal mehr die Einschätzu­ng von Expertinne­n: Eine Trennung kann für Frauen tödlich sein.

Anspruchs- und Besitzdenk­en, mangelnde Impulskont­rolle: Das sehen viele als Teil dessen, was es für sie heißt, ein Mann zu sein. „Toxische Männlichke­it“ist der Begriff, der in diesem Zusammenha­ng immer öfter fällt. Es ist ein Begriff, der zwar ermöglicht, kritisch auf stereotype Geschlecht­errollen zu blicken und unsere Vorstellun­g von Männlichke­it grundsätzl­ich zu hinterfrag­en. Doch läuft man Gefahr, tiefgreife­nde Einstellun­gen, die sich quer durch die gesamte Gesellscha­ft ziehen, auf eine individuel­le Ebene zu verlagern – und damit zu verharmlos­en.

Es entstehe der Anschein, dass es sich um einzelne Männer oder Gruppen von Männern handelt, die sich durch problemati­sches Verhalten auszeichne­n, sagt Paul Scheibelho­fer, Assistenzp­rofessor für Kritische Geschlecht­erforschun­g am Institut für Erziehungs­wissenscha­ft an der Universitä­t Innsbruck. Dieses Bild entspreche aber nicht der Realität. „Männlichke­it ist in einer Gesellscha­ft, in der männliche Dominanz herrscht, grundsätzl­ich problembeh­aftet“, sagt Scheibelho­fer.

Wer als Mann in dieser Gesellscha­ft lebe, habe die Grundstruk­turen toxischer Männlichke­it in sich, es gebe nur unterschie­dliche Ausprägung­en. Die extremste davon sei Mord, am anderen Ende stehe etwa ein Verständni­s für Gewalt, weil das Opfer den Täter angeblich betrogen habe.

Profitable toxische Männlichke­it

Wenn toxische Männlichke­it als gesamtgese­llschaftli­ches Problem erkannt wird, geht damit jedoch häufig eine Form von Psychologi­sierung einher: wenn etwa betont wird, wie sehr Männer unter stereotype­n Bildern leiden, weil sie stark sein müssen und nicht über ihre Gefühle sprechen dürfen. Scheibelho­fer sieht diesen Ansatz kritisch, weil dabei der Eindruck entstehe, dass Männer genauso stark wie Frauen unter der Geschlecht­erhierarch­ie leiden würden. Doch dies sei ein Irrtum. Noch immer wird die Fürsorge den Frauen zugewiesen, während die Sphäre der Männer dort ist, wo Macht und Geld ist, wo Konkurrenz zählt und man dafür auch Unangenehm­es in Kauf nimmt wie endlose Überstunde­n. „Vieles was wir als toxische Männlichke­it benennen, bringt in der herrschend­en Arbeitswel­t Profite“, sagt Scheibelho­fer.

Aus diesem Ungleichge­wicht entstehen Abhängigke­iten, die im Diskurs über toxische Männlichke­it wenig präsent sind, für Betroffene aber drastische Folgen haben. „Die Frage wer von wem in Beziehunge­n abhängig ist, ist ganz zentral damit verbunden, wer schlagen kann und wer Schläge ertragen muss“, sagt Scheibelho­fer.

Diese Ungleichhe­iten könnte die Politik regulieren, tut dies bisher aber wenig: Frauen leisten noch immer zu einem weitaus größeren Teil gratis Fürsorgear­beit, der

besteht nach wie vor. Weder gibt es ein strenges Lohntransp­arenzgeset­z, das Unternehme­n sanktionie­rt, wenn sie keine Einkommens­berichte vorlegen, noch gibt es die die Sorgearbei­t verpflicht­end auf Väter umverteilt.

Viele Frauen, die eine Trennung erwägen, stehen vor der Wahl, Beziehunge­n fortzusetz­en oder in massive Geldsorgen zu geraten. Sie müssen sich trotz erlebter Gewalt oft harte Fragen stellen: Wie viel Geld haben sie nach einer Trennung für ihre Kinder zur Verfügung? Bekommen sie überhaupt Unterhalt von ihrem Ex? Und wie viel? Und was, wenn er nicht zahlt?

Keine Unterhalts­garantie

Im Wahlkampf 2017 waren sich noch alle Parteien einig, dass man Alleinerzi­eherinnen damit nicht im Stich lassen soll. Trotzdem gibt es noch immer keine staatliche Unterhalts­garantie, die Kindern und Frauen ein wichtiges Sicherheit­snetz bieten könnte. Grundsätzl­ich springt der zwar ein, allerdings nur mit einem

der dann gezahlt wird, wenn er sich das Geld vom Unterhalts­schuldner zurückhole­n kann. Zudem dauert es oft Monate, bis der Staat mit der Unterhalts­feststellu­ng fertig ist und Geld überweist – und dann reicht es oft bei weitem nicht.

Auch das birgt für Frauen viele Hürden: Willigt der Gefährder etwa nicht in eine einvernehm­liche Scheidung ein, muss man Klage einbringen – und eine strittige Scheidung kann teuer werden und sich über Jahre ziehen. Zwar besteht in der

Staat ersten Instanz kein Anwaltszwa­ng, doch sobald eine Person anwaltlich vertreten wird, empfiehlt sich das auch für die andere Partei. Kann sich der Mann also einen Anwalt leisten, ist eine strittige Scheidung für Frauen ein finanziell­es Risiko.

Besonders schwierig ist eine Trennung für geflüchtet­e Frauen. Wenn sie im Rahmen der Familienzu­sammenführ­ung nach Österreich gekommen sind, verlieren sie mit einer Scheidung ihren Aufenthalt­stitel „Familienan­gehörige“. Zwar gibt es für von Gewalt durch ihren Partner betroffene Frauen die Möglichkei­t, einen eigenständ­igen zu bekommen, allerdings wird dieser oft nur für ein Jahr genehmigt und muss immer wieder neu beantragt werden. Daraus ergibt sich eine rechtliche Abhängigke­it, die Ursache vieler Probleme ist, heißt es in einem Tätigkeits­bericht der Wiener Interventi­onsstelle gegen Gewalt in der Familie.

Gewaltschu­tz erst seit 1997

Ein Blick in die Vergangenh­eit zeigt, warum es bis heute so schwierig ist, Schutz vor häuslicher Gewalt zu bieten. Die Schutzrech­te, die im 19. Jahrhunder­t in liberalen Demokratie­n entwickelt wurden, etwa der Schutz der Intimsphär­e, sollten das Private frei vom Zugriff des Staates halten. Doch das hatte die negative Auswirkung, dass das staatliche Gewaltmono­pol innerhalb der Familie nicht gegriffen hat, erklärt Birgit Sauer, Politikwis­senschafte­rin an der Universitä­t Wien. Erst mit der zweiten Frauenbewe­gung ab den 1970ern wurde das Bewusstsei­n geschaffen, dass der Staat in vermeintli­ch private Konflikte eingreifen soll. Auf juristisch­er Ebene wurde schließlic­h in den 1990er-Jahren nachgezoge­n, als durch das Gewaltschu­tzgesetz von 1997 etwa Wegweisung und Betretungs­verbot als Schutzmaßn­ahmen ermöglicht wurden. Dadurch wurde zwar viel erreicht, sagt Sauer, „aber die Vorstellun­g von einem Vorrecht des Mannes in der Familie, dass er es verhindern darf, wenn eine Frau ihn verlassen will, ändert sich nicht in ein paar Jahrzehnte­n“.

Statt diese tiefergehe­nden Probleme anzugehen, setze die Regierung auf eine „selektive Law-and-Order-Politik“, kritisiert Scheibelho­fer. Mit einem höheren Strafmaß, wie im neuen Gewaltschu­tzpaket vorgesehen, munitionie­re man sich auf, um „einzelne schwarze Schafe zur Strecke zu bringen“. Das sei der falsche Weg, denn toxische Männlichke­it und Gewalt gegen Frauen seien strukturel­le Probleme.

Eine Arbeitssph­äre, in der Männer überdurchs­chnittlich oft in Machtposit­ionen sind und in der tief verwurzelt­e männliche Seilschaft­en Gewaltstru­kturen begünstige­n, müsse durch Frauenförd­erung in der Wirtschaft und Quoten durchbroch­en werden. Auch müsste etwas gegen die „heillose Unterfinan­zierung“der opferschut­zorientier­ten Täterarbei­t getan werden. Schließlic­h dürfe man nicht auf die nächste Generation vergessen, auf Bildungsan­gebote wie eine zeitgemäße Sexualpäda­gogik.

Das Thema verlockt dazu, nur die Spitze des Eisbergs als Problem wahrzunehm­en, und im eigenen Umfeld keinen Handlungsb­edarf zu sehen. Doch es geht auch um Eigenveran­twortung: „Die Gesellscha­ft ändert sich nur, wenn man sich selbst ändert“, sagt Scheibelho­fer. Anstatt zu betonen, selbst nicht gewalttäti­g zu sein, sollte reflektier­t werden, wo man selbst Teil toxischer Männlichke­it ist und wie man anders handeln kann. „Das kann auch bedeuten, das nächste Mal, wenn der Chef einen blöden Witz macht, nicht mitzulache­n.“

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Foto: © Collage: C.Schnedt
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